Russland

Freund oder Feind?

Ich antworte direkt auf die Hauptfrage. Feinde, die durch die russischen Medien künstlich geschaffen werden, gibt es zuhauf, aber sie alle haben keine lange Lebensdauer. Feinde werden bei uns schnell zu Freunden, und Freunde driften schnell wieder in die Kategorie der Feinde ab. Das ist keine Besonderheit der letzten Jahre – das gab es schon immer. Erinnern wir uns doch an die plötzliche Freundschaft der UdSSR mit Hitlerdeutschland Ende der 30er, und an die genauso plötzliche – hmhm – Moritz, sag du mal, was wir damals hatten. Viele Verlagshäuser kommen bei den wechselnden Trends, die im Staatsfernsehen, dem größten Sprachrohr der Propaganda, verkündet werden, gar nicht mehr hinterher. Dieses Hin-und Hergerissensein sehen wir auch jetzt – IN GENAU DIESER SEKUNDE –, schalten wir doch mal das russische Fernsehen ein und beobachten den realen Wahnsinn: Die Journalisten wissen nicht, wie sie jetzt über die USA sprechen sollen. In ein paar Tagen wird die Euphorie „Putin hat das Weiße Haus eingenommen“ verfliegen und es wird völlig unklar sein, wer denn nun unser größter Feind ist. Mit der Türkei sind wir jetzt Freunde. Auf die BRD sehen wir herab, Frankreich – ja Frankreich ist eben Frankreich, die Ukraine ist nur eine kleine Marionette, die haben alle schon vergessen, die wird jeden Moment ganz abgeschrieben – das alles ist nur meine grobe Wiedergabe der Messages, die man dem Zuschauer schickt. Wie geht’s weiter? Natürlich verstehen wir alle, dass ein Wechsel des amerikanischen Staatschefs noch lange nicht den Beginn einer großen Freundschaft mit Moskau bedeutet. Diese Illusion wird sich spätestens nach dem ersten Auftritt Trumps (oder seines Vizepräsidenten, noch so ein Bilderbuch-Militarist) zum Thema europäische Sicherheit in Luft auflösen. Aber vorerst macht Moskaus Propagandawagen eine Kehrtwende mit quietschenden Reifen und Amerika verwandelt sich wieder in unseren Freund. Hier wäre interessant zu wissen, wie der einfache Fernsehzuschauer dieses Hin und Her vom „Feind zum besten Freund“ wahrnimmt.
Pawel, wie steht es denn um den „Feind im Inneren“ in den russischen Medien? Ich habe den Eindruck, sie hätten sich in letzter Zeit ein bisschen beruhigt, stimmt das?
Erinnert ihr euch noch, wie irgendein einflussreicher Redakteur (ich glaube der New York Times) gesagt hat, ein Journalist sollte seinen Leser wie einen klugen Menschen behandeln, aber nie vergessen, dass er ein Idiot ist. Nun ja, wenn „einfache Fernsehzuschauer“ auftauchen, dann verwandeln wir uns in Gurus, in Kenner der Wahrheit. Jeder von uns kennt das doch: „Du bist Journalist? Dann erklär mal, was da vor sich geht.“ Wie gehen wir mit der Versuchung um, die „objektive Wahrheit“ zu verkünden? Was machen wir mit unseren eigenen Hirngespinsten? Passen sie zur Redaktionslinie? Haben Journalisten eine Botschaft?
Ich beantworte zuerst meine eigene Frage: Menschen können ihre Überzeugungen (und bei uns werden aufgedrängte Überzeugungen sofort zu eigenen) nicht von einem Tag auf den anderen ändern! Die letzten 10 Jahre hindurch, gleich nach der Münchner Rede, wurden aus dem Westen und den USA unsere schlimmsten Feinde gemacht. Diesen Trend konnte nicht einmal Medwedew mit seinem Skolkowo stoppen – bestenfalls ein bisschen bremsen. Die Propaganda gießt, ohne es zu wollen, Öl ins Feuer des Systems. Sie zerstört alle Sicherungen, macht die Leute verrückt, um es ganz einfach zu sagen. Zu Moritz' Frage: Das Thema des „Feindes im Inneren“ hat sich in den vergangenen Monaten in nichts aufgelöst. Nicht zuletzt wegen der Bemühungen der Regierung selbst, die offenbar verstanden hat, dass es sehr gefährlich ist, die Bevölkerung über die Maßen mit Xenophobie aufzuladen. Die Wende kam vermutlich kurz nach dem Mord an Nemzow. Aber ein Trend, der angefacht wurde, lässt sich nicht so leicht stoppen. Noch nicht einmal, wenn dir alle Fernsehsender und der Großteil der Zeitungen unterstehen. Wir sehen die Auswirkungen bis heute: Die ganzen Chirurgen-Biker, „Offiziere Russlands“ und sonstige Deppen können nicht einfach so aufhören. Das sind die professionellen Verrückten, die letzten Endes das System zerstören.
Woran merkst du, dass sich das Feind-Thema in nichts aufgelöst hat? Ist es einfach von den Fernsehbildschirmen verschwunden? Oder meinst du das, wie Peskow den Chirurgen-Biker nach der Sache mit Rajkin zurechtgewiesen hat?
Es hat sich im letzten halben Jahr bis Jahr allmählich in Luft aufgelöst. Sowohl Peskow als auch Medinski hätten in dem Prozess (bei den vermittelnden Gesprächen mit Rajkin) gern einen Punkt gesetzt, aber der Biker fand, dass er das letzte Wort haben sollte, und Kadyrow hat sich ihm angeschlossen. Das zeugt davon, dass unsere Hass-Maschine kein Sportwagen ist, mit dem man nach Lust und Laune beschleunigen und dann wieder bremsen kann. Sie ist ein Tanker, eine Titanic, ein Kreuzer…
Was Feindbilder sind, haben wir mehr oder weniger geklärt. Stellt sich die Frage: Wie soll man diesen Prozess aufhalten? Wer kann als Verteidiger der Journalisten auftreten, die ihre Arbeit ehrlich und unvoreingenommen machen? Solche Verteidiger werden immer weniger. Immer mehr „Meinungsführer“ bevorzugen es, sich des Wortschatzes zu bedienen, der von einer der Streitparteien entwickelt wurde. Sie wählen immer häufiger die Seite der Propaganda statt der Seite des gesunden Menschenverstandes – „im Interesse des Staates“. Sie nutzen die Dummheit und Unbildung der Menschen immer häufiger aus. Ich finde diese Tendenz sehr gefährlich, in Anbetracht des Paradigmas, in dem wir uns gerade befinden – Trupms Wahlsieg, der Brexit, Sympathien für Marine Le Pen. Die postfordistische Gesellschaft neigt heutzutage zu konservativen Ideen aus Angst vor Terrorgefahr, ökonomischem Abstieg, Wertverlust der Arbeit und Gott weiß was. Und nur die Medien haben die Möglichkeit all diese Prozesse zu diskutieren, darüber zu sprechen, was wirklich passiert.
Medien allein werden an der Situation nichts ändern und sie nicht aufhalten. Hier braucht es die vereinten Kräfte von politischen Parteien, demokratischen Institutionen, NGOs, der Kultur (und natürlich auch der Medien) bei der Suche nach einer Alternative zu dieser primitiven Denkweise.
Die privaten Medien, die Inhalte verkaufen müssen, werden keinen objektiven, gemäßigten Umgang einführen, das ist ausgeschlossen. Leider. Und die staatlichen zurzeit auch nicht.
Genau darin liegt der Nutzen von öffentlich-rechtlichem Fernsehen und Radio, wie es in Deutschland oder England existiert. Sie müssen an ihren Inhalten nicht „verdienen“. Und sie können der Regierung dennoch unbequem werden. Das ist wohl der Grund, warum das Projekt in der Ukraine gescheitert ist.
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Übersetzung: Maria Rajer

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