Immer wieder Einsamkeit
Auf den ersten Blick lassen sich die aktuellen osteuropäischen Produktionen auf keinen gemeinsamen Nenner bringen. Zu unterschiedlich haben sich die ehemaligen Bruderstaaten in den vergangenen zwanzig Jahren entwickelt, zu verschieden sind ihre Gebrechen. Und doch gibt es bei näherem Hinsehen Gemeinsamkeiten. So bietet das osteuropäische Autorenkino immer noch vorwiegend schwere Kost. Zu lachen gibt es wenig, der Leinwand-Alltag von Wladiwostok über Zagreb bis in die polnischen Grenzgebiete ist deprimierend und grau. Immer besorgter, ernsthafter und tiefgründiger sezieren die heimischen Filmemacher Einzelschicksale, um auf subtile Art und Weise die Folgen des gesellschaftlichen Wandels zu kritisieren. Im Mittelpunkt stehen dabei häufig einsame Menschen, die sich sehnen nach Zugehörigkeit, Anerkennung, Freundschaft und Liebe.
Der polnische Spielfilm „Piggies“ („Swinki“)
Auffallend radikal in ihrer Gesellschaftskritik sind die Polen. Ähnlich wie schon Katarzyna Roslaniec in ihrem Erstling „Shopping girls“ („Galerianki“) durchleuchtet Regisseur Robert Glinski in „Piggies“ („Swinki“) die Moralvorstellungen der Jugend in einer postsozialistischen Gesellschaft – bis es den Zuschauer schmerzt. Er erzählt von Musterschüler Tomek (hervorragend gespielt von Filip Garbacz), der zusammen mit seiner Schwester und den Eltern in einem polnisch-deutschen Grenzstädtchen lebt. Der Junge verliebt sich in die gleichaltrige, konsumsüchtige Marta, die immer teurere Geschenke von ihm verlangt. Um sie zu halten, wird Tomek zum „Schweinchen“, einem jener Jungen und Mädchen, die sich für Geld an deutsche Sextouristen verkaufen. Doch der Sumpf aus Gewalt und Perversion bietet bald nur noch einen schrecklichen Ausweg.
„Die Grenzen sind gefallen, nicht nur die wirtschaftlichen, auch die moralischen. Das betrifft vor allem die junge Generation, die plötzlich das Gefühl hat, dass sie alles machen kann und dass Geld sehr einfach zu beschaffen ist“, sagt Glinski. Die Werte in seinem ehemals erzkonservativen Heimatland haben sich verschoben und Autoren wie er scheuen sich nicht, das abzubilden.
Die neuesten Handys, schicke Klamotten und teure Parfums stehen heute auf den Wunschzetteln vieler junger Polen. Anfällig dafür ist jeder, impliziert der Regisseur. Immerhin hat Tomek Eltern, die sich um den Jungen sorgen. Aber die Kommunikation zwischen ihnen läuft ins Leere, Kinder und Eltern haben sich nicht mehr viel zu sagen. Tomek fühlt sich isoliert und muss bald erkennen, dass auch vermeintliche Liebe und Freundschaft vor Einsamkeit nicht schützen.
Aus Russland: „Tale in the Darkness“(„Skazka pro temnotu“)
Diese Erfahrung muss die hübsche, intelligente Russin Angelika (Alisa Khazanova), genannt Gela, wohl schon vor langer Zeit gemacht haben. Ernst, ihre Uniform wie eine Rüstung tragend, wandelt sie durch den russischen Alltag. Dass sie sich als Polizistin um vernachlässigte Kinder kümmert, sieht man ihrem Aufzug nicht an. Für Außenstehende ist sie meist bloß Teil des ungeliebten Polizeiapparates.
Isolation ist das große Thema von Nikolay Khomerikis „Tale in the Darkness“ („Skazka pro temnotu“). Zwar suchen die Protagonisten darin nach gegenseitigem Verständnis, doch fehlt ihnen eine gemeinsame Sprache. Mit einem illegalen Hilfsarbeiter und einem alten, reichen Poeten bandelt Gela zwar an. Wahre Freude zeigt ihr kühles, gleichgültiges Antlitz dabei aber nicht. Natürlich ist es in Wladiwostok für eine alleinstehende junge Frau, die auch noch Polizistin ist, nicht leicht, ihren Traum-Mann zu finden. Aber Gela ist eine Meisterin darin, aufkommende Chancen schnellstmöglich zu zerstören.
Einzig mit ihrem unförmigen, älteren Kollegen Dimych ((Boris Kamorzin) scheint Gela eine kalte Zuneigung zu verbinden. In den Raucherpausen stehen beide in einem schmucklosen Flur, von dessen Wänden die Farbe bröckelt – fast ein Symbol für ein Land, das verfällt und dessen Menschen sich verlassen fühlen. Wie sein Kollege Aleksey Mizgirev in „Buben Baraban“ inszeniert Nikolay Khomeriki in „Tale in the Darkness“ eine Liebesgeschichte, der die Liebe fehlt, deren Ende aber möglicherweise als Happyend interpretiert werden kann.
Kroatisch-serbisch-bosnische Koproduktion „Metastasen“
Weit entfernt davon ist die kroatisch-serbisch-bosnische Koproduktion „Metastasen“ („Metastase“) von Branko Schmidt. Anhand von vier Nachbarsjungen – dem Ex-Junkie Filip, dem drogenabhängigen Dealer Dejo, dem rassistischen Schläger Krpa und dem gutmütigen Alkoholiker Kyzo – zeigt er, wie sich Gewalt, Nationalismus, Alkoholismus und Drogenabhängigkeit durch das Nachkriegskroatien schlängeln wie die Metastasen eines Krebsgeschwürs.
Filip ist nach einer längeren Entziehungskur in Spanien zurück gekehrt nach Hause, in einen Vorort Zagrebs. Dort trifft er seine ehemaligen Freunde, mit denen er wie früher auf Sauftour geht. Jedem der Mittdreißiger ist ein rasantes Kapitel gewidmet. Die Männer haben ihre Jugendzeit im Krieg verbracht und können heute nicht mehr als saufen, prügeln und den lokalen Fußballverein anfeuern. Sie sind Teil einer wütenden, entfremdeten Generation, die sich den neuen sozialen Regeln und Marktanforderungen nicht anpassen kann.
Ernsthafte Kommunikation findet weder zu Hause mit den Eltern noch untereinander statt. Jeder lebt sein eigenes Leben, ohne partnerschaftliche Bindung, ohne Kinder, ohne Ziele. Einzig Kyzo glaubt sich in der Gemeinschaft der Freunde geborgen, bis er eine große Enttäuschung erlebt und die dann gefühlte Einsamkeit ihm zum Verhängnis wird.
Um ihre bloße Existenz fürchten müssen die Menschen in all diesen Filmen nicht. Kriege, neue Marktgesetze und die Konsumgesellschaft haben ihnen zugesetzt. Weder die Familie noch die Religion geben ihnen Halt oder Erlösung. Jeder ist auf sich gestellt – ganz allein.