Serbien

Spontane Hilfe für Flüchtlinge

Der Rasen des Parks vor wirtschaftswissenschaftlichen Institut in Belgrad ist total braun, dazwischen schaut der trockene Erdboden durch. Das liegt am heißen Sommer, aber vor allem daran, dass sich hier täglich hunderte Menschen niederlassen, schlafen, essen, die Zeit verbringen, bis abends die Züge und Busse an die ungarische Grenze fahren.

Wie der 36-jährige Mohammadi mit seiner Frau Jena und den fünf Kindern. Die Familie kommt aus dem Nordosten Afghanistans, sie ist schon seit 25 Tagen unterwegs. „Ich bin Architekt“, sagt Mohammadi, „aber was ich baue, wird wieder zerstört.“ Er ist geflohen, damit seine Kinder etwas lernen können. „Die Taliban spritzen Säure auf Mädchen, die in die Schule gehen.“ Jetzt will er nach Deutschland, „woanders gehe ich nicht hin“. Deutschland und Afghanistan seien doch gute Freunde. Am Abend werden sie mit dem Bus nach Subotica an die Grenze fahren und im Schutz der Dunkelheit nach Ungarn laufen, in die EU, ins Schengenland.


Chips und Kinderkleider

Noch ist Mohammadi in Belgrad, in Serbien. Am Vorabend ist ein heftiger Regen niedergegangen, die Familie hat unter einem Parkdeck Schutz gesucht. Jetzt sitzen sie alle im Park, die Kinder spielen rundherum. Die Stadtverwaltung hat einen Tankwagen mit Frischwasser aufgestellt, wo sich die Flüchtlinge waschen können. Zwischen den Gruppen laufen Passanten durch, die zum Bahnhof wollen, der gleich auf der anderen Straßenseite liegt.

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Viele Flüchtlinge suchen vor dem Regen Schutz unter einem Parkdeck in Belgrad. / Foto: Marko Risovic, n-ost

Niemand schimpft, dass der Park belegt ist, dass hier Müll liegen bleibt. Im Gegenteil: Ein älterer Herr taucht auf, er fragt Mohammadi, ob er Kinderkleider brauchen kann. Aus einem Sack suchen sich Jena und die Kinder ein paar Sachen aus. Zwischendurch spaziert eine große blonde Frau mit voller Einkaufstasche vorbei und drückt Jena wortlos eine Flasche Cola und eine Tüte Chips in die Hand.

Die Belgrader reagieren mit spontaner Hilfe auf den Menschenstrom, der sich seit etwa einem halben Jahr in ihre Stadt ergießt. „Wir waren selber Flüchtlinge“, sagt der ältere Herr mit den Kinderkleidern. Der 75-jährige Petar ist vor 20 Jahren aus der Umgebung von Sarajevo nach Belgrad geflohen, als die bosnische Hauptstadt am Ende des Bürgerkriegs der kroatisch-muslimischen Föderation zugeschlagen wurde. Sehr wach ist in Belgrad auch die Erinnerung an den Feldzug Oluja vom August 1995, als kroatische Truppen mehr als 200.000 Serben vertrieben.


Die Flüchtlinge schlafen in der Belgrader Innenstadt. Sie erfahren große Solidarität seitens der Bevölkerung. / Foto: Marko Risovic, n-ost


Die meisten wollen nach Deutschland

Nur von Politikern Rechtsaußen kommt in Serbien der Vorschlag, an der Grenze zum südlichen Nachbarn Mazedonien, wo die meisten Flüchtlinge einreisen, einen Zaun zu bauen – nach dem Vorbild Ungarns, das gerade dabei ist, die Grenze zu Serbien abzuriegeln. Die Parteien im Parlament in Belgrad sind sich einig, dass solch ein Zaun nicht in Frage komme. Außenminister Ivica Dacic rechnet damit, dass die Flüchtlinge in Zukunft den Weg über die EU-Länder Kroatien und Bulgarien nehmen – dass sie also weiterhin nur durchreisen und dass Serbien keine Camps bauen müsse. Weil die kalte Jahreszeit naht, soll aber in Belgrad ein Aufnahmezentrum entstehen. Das kündigte am Mittwoch Morgen Premier Aleksandar Vucic an, der die Flüchtlinge im Park besuchte. „Viele von ihnen wollen nach Deutschland“, sagt der Syrer Muhamad, der als Übersetzer für den Hilfsverein Adra arbeitet, „dort muss ja alles voll sein.“

Rund 70 Prozent der Flüchtlinge stammen aus Syrien. Wie der 30-jährige Laurence aus Damaskus, der die Nacht im Busbahnhof verbracht hat, „die Hotels hier waren alle voll“. Gerade ist er unterwegs, er will für seine Frau, die Schwägerin und seine drei Kinder Hühnchen kaufen. Der Lehrer für Physik und Chemie möchte weiter nach Schweden. „Mein Haus in Damaskus ist zerstört.“ Belgrad und die Leute hier findet er sympathisch. Im Auffanglager an der mazedonischen Grenze sei die Polizei aber richtig aggressiv gewesen.

Quellen:

Stimmen der Flüchtlinge: Vor-Ort-Recherche in Belgrad

Zitat Außenminister Dacic: http://www.danas.rs/danasrs/politika/dacic_necemo_graditi_ni_zid_ni_kampove.56.html?news_id=306612


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