Russland

„Fukushima wird zum Warnsignal – wie Tschernobyl“ / Interview mit Alexej Jablokow

Was haben Sie gedacht, als Sie von dem Reaktorunglück in Japan hörten?

Ich habe gleich an Tschernobyl gedacht. Ich bin der Meinung, dass man die beiden Situationen immer wieder vergleichen muss, obwohl es natürlich viele Unterschiede gibt: In Tschernobyl beispielsweise hatten wir einen Reaktor mit einer Graphitummauerung. Die hat stark gebrannt, deshalb ist die Asche sehr weit und über eineinhalb Kilometer hoch geflogen und konnte sich über ganz Europa verteilen. In Japan gibt es andere Reaktoren ohne Graphit. Wie schwer die Folgen in Japan sein werden, hängt davon ab, wie viel Brennstoffe es im Reaktor gibt und wie stark der Wind ist. Vieles ist noch unklar, zum Beispiel was genau in Fukushima explodiert ist. Darüber gibt es noch keine Informationen.

Deswegen wird die Verschmutzung nicht so groß wie vor 25 Jahren?

Die lokale Verschmutzung kann sehr stark sein, aber ich würde sagen, sie wird sich nicht so rasant verbreiten wie bei Tschernobyl. Doch es gibt noch ein anderes Problem, das bislang nicht in den Medien diskutiert wurde: die Lager für die bereits abgebrannten Brennelemente. Dort gibt es viel mehr Atombrennstoff als im Reaktor selbst. Wenn das Kühlwasser auch für die ausgelagerten Elemente nicht ausreicht, können auch diese anfangen zu glühen. Die radioaktiven Folgen könnten dann tatsächlich schwerwiegender sein.

Die japanische Kommunikationspolitik ist undurchsichtig – lange Zeit hielt die Regierung die Öffentlichkeit über eine mögliche Kernschmelze im Ungewissen. Macht die Regierung die gleichen Fehler wie damals die Sowjets?

Jablokow: Es ist nicht ganz so schlimm wie damals, aber trotzdem ist die japanische Kommunikationspolitik schlecht. Die Informationen kommen spät und sie sind nicht eindeutig. Zum Beispiel wurde erst gesagt, es habe keine große Explosion gegeben. Danach kommt plötzlich die Anweisung an die Bewohner, alle Körperstellen zu bedecken und nur noch mit Mundschutz zu atmen. Und selbst danach sieht man noch Menschen ohne Schutzmasken im Fernsehen. Selbst wenn die Strahlung schon nachgelassen hat, bedeutet das noch lange nichts Gutes. Erst lösen sich nämlich die kurzlebenden Radionuklide auf. Doch langlebige Nuklide wie Strontium oder Caesium strahlen noch viel länger.

Wie reagiert Russland auf die Katastrophe?

Jablokow: Neben Rettungshilfen hat die Regierung auch Spezialisten von Rosenergoatom, dem staatlichen russischen Atomkonzern, nach Japan geflogen – das finde ich gut. Aber gerade heute hat auch Ministerpräsident Wladimir Putin gesagt, dass Russland seine Pläne im Bereich der Kernenergie nicht ändern wird. Russland wird weiter neue Kernkraftwerke bauen, und plant auch Kernkraftwerke auf schwimmenden Plattformen im In-und Ausland. Das finde ich kurzsichtig und unvernünftig. Ich denke, Fukushima wird jetzt zum Warnsignal für die ganze Welt – genau wie Tschernobyl. Und das bedeutet: Wir können nicht weitermachen wie bisher.


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