Deutschland

Plastinator geht ans andere Ufer

Berlin/Posen (n-ost) - Die Arbeitslosenquote in Sieniawa, einem kleinen polnischen Ort kurz hinter der Neisse, liegt bei annähernd 30 Prozent. Als ein Deutscher hier Ende 2004 einen alten Fabrikkomplex im Ortszentrum kaufte und versprach, 300 neue Arbeitsplätze zu schaffen, war die Euphorie zunächst riesengroß. Gut ein Jahr später liegt die Fabrik immer noch brach, denn die Sache hatte einen Haken, der in den polnischen Medien heftig diskutiert wurde: Bei dem Investor handelte es sich um den umstrittenen Heidelberger Leichenpräparator Gunter von Hagens. Der Mann mit dem Joseph-Beuys-Hut legt menschliche Leichen in Plastik ein, präpariert sie und erhebt sie zu Ausstellungsobjekten. „Plastinator“ nennt er sich selbst, „Doktor Tod“ nennen ihn Zeitungen. Seine „Körperwelten“-Ausstellungen tingeln durch die ganze Welt. Wo immer sie gastieren, teilt sich das Publikum in Freund und Feind, in faszinierte Besucher und aufgebrachte Ethiker.

Als Gerüchte die Runde machen, von Hagens wolle in Sienawia Leichenteile von Menschen und Tieren plastinieren, in Scheiben schneiden und für den internationalen Versand vorbereiten, schlagen im katholischen Polen die Emotionen hoch. Vergleiche mit Methoden der Nazis in Auschwitz werden gezogen. Und als von Hagens 90-jähriger Vater Gerhard Liebchen, der in Sieniawa die Geschäfte führte, vom „Spiegel“ als ehemaliger SS-Mann enttarnt wurde, sah man in Polen die schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Gerhard Liebchen soll im damaligen Warthegau an der Verfolgung von Polen maßgeblich beteiligt gewesen sein. Für seine Heirat soll er eine besondere Form der SS-Eheweihe gewählt haben. Dem Paar wurde am 10. Januar 1945 ein Sohn geboren, den es auf den Namen Gunter Gerhard Liebchen taufte. Eben jener Sohn, der versuchte, vom späteren Wohnsitz der Familie in der DDR nach Westen zu flüchten, gefasst wurde, dann von der Bundesrepublik freigekauft wurde und später als Anatom in Heidelberg Karriere machte und dann den Namen seiner Ehefrau „von Hagens“ übernahm.

Nach diesen Enthüllungen in Serie wuchs der Widerstand gegen die Fabrikpläne des Leichenpräparators in Polen derart, dass von Hagens in einer Einwohnerversammlung regelrecht niedergeschrieen wurde und am Ende resigniert aufgab: „Ich muss ganz klar sagen, ich habe mich geirrt. In 100 Jahren, wenn ich selbst ein Exponat sein werde, bin ich mir sicher, wird es dann auch in Polen ein Museum für meine Exponate geben. Ich bin eine Generation zu früh hierher gekommen.“

Dies war im Mai 2005. Fast genau acht Monate später, scheint sich im brandenburgischen Guben am anderen Ufer der Neiße die Geschichte zu wiederholen: Wieder hat von Hagens ein teilweise brachliegendes Industriegelände – eine ehemalige Wollfabrik – für seine Pläne ins Auge gefasst. Wieder geht es um die Einlagerung und Produktion von plastinierten Leichenteilen für Forschungseinrichtungen in aller Welt und um dringend benötigte Arbeitsplätze in einer strukturschwachen Region. Die Zahlen sind im Vergleich zu den polnischen Plänen etwas niedriger – von 200 Arbeitsplätzen statt 300 ist die Rede und von einer Investition von sieben statt zehn Millionen Euro. Wieder findet eine Infoveranstaltung statt, diesmal aber zu Beginn und nicht zum Ende einer langen Debatte. Von Hagens hat offensichtlich seine Lehren aus der polnischen Informationspolitik gezogen. Den Gubener Stadtverordneten schrieb er einen Brief, in dem er sich über die ungerechte Behandlung beschwert, die ihm und seinem Vater in Polen widerfahren sei und wie provinziell die polnische Seite denken würde. So etwas kommt an auf der deutschen Seite der Neisse.

Zu der von den Stadtverordneten organisierten Infoveranstaltung bringt von Hagens dann einen ganzen Bus voller Mitarbeiter aus seinem Heidelberger Institut mit. Dazu strömen 700 der 21000 Gubener Einwohner in die Sporthalle und dürfen sich unter anderem einen plastinierten Gorilla aus der Nähe ansehen. Diesmal verlässt von Hagens nach seinem Vortrag als umjubelter Sieger die Stadt. Als er das Publikum fragt, wer gegen die Verwirklichung seiner Pläne ist, regt sich kaum ein Dutzend Hände. Bürgermeister Klaus-Dieter Hübner (FDP), den Plastinator von Hagens während der Versammlung als „weisen Bürgermeister“ pries, ist von der Abstimmung völlig elektrisiert: „Das Ergebnis schließt eigentlich eine Bürgerbefragung aus“, sagte er in Richtung Stadtverordnetenversammlung, aus der es zuvor kritische Stimmen gegeben hatte. „Ich verstehe das Votum als Auftrag an die Verwaltung, jetzt möglichst schnell zu handeln und einen Vertrag auszuarbeiten.“

Von Hagens sei den Gubenern „wie eine Lichtgestalt in dunkler Nacht“ erschienen, kommentiert später die kritische Chefreporterin der Lausitzer Rundschau, Simone Wendler und fragt skeptisch, warum von Hagens „nach seinem Rückzug aus Polen unbedingt so nahe an der Grenze bleiben will.“ Einen Teil der Antwort gab von Hagens bereits während der Gubener Versammlung: Zumindest einige der in Sieniawa bereits rekrutierten polnischen Arbeitskräfte möchte er nun jenseits der Neiße in Guben einsetzen. Wie viele es sein werden und ob sie zu deutschen Konditionen arbeiten werden, oder ob umgekehrt sich die deutschen Kollegen an die für Polen üblichen Löhne von 300 Euro monatlich gewöhnen müssen, wird man erst nach Genehmigung aller Pläne wissen. Geht es nach dem Bürgermeister, soll von Hagens bereits Mitte des Jahres anfangen.

Die wenigen Gegner des Vorhabens, die es in Guben gibt, wurden vom Auftritt von Hagens in Guben völlig in die Defensive gedrängt. „Das war eine reine Propagandaveranstaltung. Die Menschen sind so leicht verführbar“, klagt der katholische Pfarrer Michael Domke, der während der Versammlung niedergeschrieen wurde. Ein wenig neidisch blickt Domke zu seinen Kollegen jenseits der Neiße. „In Polen hat das nicht geklappt, weil dort 90 Prozent der Menschen gläubig sind und ethische Aspekte viel stärker verwurzelt sind.“ In Guben seien dagegen nur noch zehn Prozent der Einwohner mit einer Kirche gebunden.

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