Bulgarien

Boulevard als Westimport

An der neuen Gesellschaft mit Sitz in Zürich sollen Ringier und Axel Springer jeweils zur Hälfte beteiligt sein. Axel Springer bringt sein Geschäft in Polen, Tschechien und Ungarn ein, Ringier das in Serbien, der Slowakei, Tschechien und Ungarn. Das gemeinsame Unternehmen wird mit 100 Printtiteln und mehr als 70 Websites Marktführer in Osteuropa sein.


„Sie brachte den Virus nach Rumänien“, titelte eine der drei führenden Boulevard-Zeitungen Rumäniens, als das Land im Mai 2009 seinen ersten Schweinegrippen-Fall vermeldete. Die drei Zeitungen veröffentlichten umgehend Name, Alter, Foto der Erkrankten und machten die Betroffene zum Staatsfeind Nummer 1: „Sie läuft frei durch Bukarest herum. Hüten Sie sich!“ Die Frau war längst in ärztlicher Betreuung, sie hatte sich umgehend bei den Behörden gemeldet, als sie erste Symptome spürte.

Osteuropas Boulevardpresse: "Agressiver als 'Bild'"

Eine solche Meldung samt Fotos würde in westlichen Boulevard-Redaktionen zu einem Aufschrei führen, glaubt Marius Hagger, der in Rumänien die Geschäfte des Schweizer Medienhauses „Ringier“ leitet. „Rumänische Boulevard-Blätter sind aggressiver als ‚Bild‘ oder ‚The Sun‘.“ Das gleiche gilt auch für Medien in Bulgarien oder Polen. Ihren Anteil daran haben auch westliche Verlage wie die WAZ-Gruppe, der Axel-Springer-Verlag oder „Ringier“. Die Boulevardisierung der osteuropäischen Presse hat direkt nach der Wende als Antwort auf die trockene Verwaltungssprache der Staatsmedien eingesetzt.

Bulgarien: WAZ seit 1996 aktiv

Als erster ausländischer Investor auf dem bulgarischen Medienmarkt hat die deutsche WAZ Mediengruppe 1996 unter anderem die beiden auflagenstärksten Titel „24 Chasa“ (24 Stunden) und „Trud“ (Arbeit) übernommen. Sie vereinen Elemente der Qualitäts- und der Boulevardpresse. Auch wenn der Boulevardstil kein Importprodukt durch die WAZ-Mediengruppe war, habe sie die Zeitungen in Bulgarien gravierend beeinflusst, erzählt Vesislava Antonova, Journalistin bei der Wochenzeitung „Kapital“. „Sie brachten ein neues Grafikdesign mit: Größere Schlagzeilen, eine knappere Sprache, große Bilder auf der ersten Seite.“

Journalisten wie Vesislava Antonova kritisieren, dass WAZ von ihrer Unabhängigkeit vor Ort kaum Gebrauch macht. Auf ihrem 10-jährigen Jubiläum habe WAZ sich von Politikern aller Couleur den Hof machen lassen, erinnert sich die Journalistin. „WAZ pflegt einen konfliktlosen Umgang mit der Politik“, sagt Medienexperte Georgi Losanov. Die WAZ Mediengruppe selbst betont dagegen die hohe Qualität der eigenen Produkte und, so der Hauptgeschäftsführer von WAZ in Bulgarien Axel Schindler, dass sie Wert auf journalistische Standards lege. Vesislava Antonova sieht das in der Praxis jedoch widerlegt: „WAZ hat zwar den Ethik-Kodex unterschrieben, hält ihn aber oft nicht ein.“

Und so sind viele Medienexperten vom Engagement der WAZ in Bulgarien enttäuscht. Große Hoffnungen auf mehr Qualität in der Medienlandschaft seien mit dem Eintritt eines ausländischen Investors in Bulgarien verbunden gewesen. „Das Potential, die Leserschaft langsam an andere Qualitätsstandards heranzuführen, wurde von WAZ nicht genutzt“, beklagt Orlin Spassov, Medienwissenschaftler an der Universität Sofia. Leider seien die Leser mittlerweile an den Boulevardstil gewöhnt und fänden die seriöse Presse langweilig.

Polen: "Fakt" vom Springer Verlag

Auch der Axel-Springer-Verlag fiel bei seinem Engagement beispielsweise in Polen negativ auf. Ein wahrer Zeitungskrieg war während der Europameisterschaft 2008 zwischen dem polnischen Springer-Blatt „Fakt“ und der deutschen „Bild“ ausgebrochen. „Fakt“ hatte in einer Fotomontage Michael Ballack, Kapitän des deutschen Fußballteams, im Ordenritter-Kampf gegen Leo Beenhakker, Trainer der Fußballer aus Polen, gezeigt. Es folgte ein Schlagzeilen-Abtausch, den „Bild“ mit „EM-Krieg gegen uns! Polen-Zeitung köpft Jogi & Ballack“ auf der Titelseite beendete.

Die Redaktionen bestreiten, den Inhalt den Artikel vereinbart zu haben. Die „Bild“ wolle Polen und Deutsche nicht gegeneinander aufhetzen, sondern spiele mit Stereotypen, hieß es damals. Michał Fijoł von Axel Springer Polska sagte, es handele sich um eine Polemik, die nur beweise, dass im Verlagshaus Pluralismus herrscht. Doch der deutsch-polnische Konflikt scheint für Springer schon lange eine Methode zu sein: ob im Streit um das Vertriebenenzentrum in Berlin und Erika Steinbach, um die SS-Mitgliedschaft von Günter Grass oder eine angebliche Präsidentenbeleidigung durch eine deutsche Tageszeitung.

Rumänien: Ringier-Presse seit Mitte der 90er Jahre

Auch für das Schweizer Medienhaus Ringier in Rumänien gehört Boulevard zum Kerngeschäft. Der Konzern hatte Mitte der 90er-Jahre die erste Boulevard-Zeitung in Rumänien herausgebracht: „Libertatea“ („Freiheit“). Sie ist laut rumänischer Medienanalyse mit rund 235.000 Verkaufsexemplaren das auflagenstärkste Blatt im Land. Von seinen zwei anderen Flaggschiffen in Rumänien hat sich „Ringier“ wegen der Wirtschaftskrise bereits wieder getrennt – und so den Konkurrenzblättern inländischer Herausgeber das Feld ein Stück weit überlassen.

Doch die Rivalen von „Ringier“, deren Boulevardblätter innerhalb kürzester Zeit mit 100.000 Exemplaren eine beachtliche Auflage erreichten, sind längst an zahlreichen landesweiten Fernseh- und Hörfunkstationen beteiligt. Damit können sie auf unterschiedlichen Kanälen ein Thema nach vorn bringen, so dass der Eindruck entsteht, es sei in allen Medien präsent. Entscheidend aber ist, dass die rumänischen Medienbesitzer kräftig in Wirtschaft und Politik mitmischen. Das kann in der Realität bis zu dem Deal gehen, dass Politiker eine von den Medienbesitzern gewünschte Gesetzgebung verabschieden und im Gegenzug Sendezeiten und eine wohlgesinnte Presse erhalten, erzählen rumänische Journalisten.

„Nicht die Boulevardzeitungen sind unser Problem“, sagt Medienexpertin Ioana Avadani vom Zentrum für Unabhängigen Journalismus in Bukarest, „sondern die Boulevardisierung aller anderen Medien. Sie bezeichnen sich als Qualitätsmedien, doch in Wirklichkeit verkaufen sie haufenweise unseriöse Nachrichten.“ Dass sich die rumänischen Journalisten gegen die Manipulation ihrer Herausgeber zu Wehr setzen werden, ist bislang nicht zu erwarten. Vielmehr werden sie von den rumänischen Medienbesitzern seit Jahren mit Gehaltserhöhungen geködert, um das gefährliche Spiel mitzumachen.


Weitere Artikel