Russland

Der Platz des Sieges bleibt Lenins Revier

Kaliningrad (n-ost). Andrej Schewzow kam in seinem Bronzegießerleben schon
manches unter die Hände, doch Lenins Nase zu polieren, so ein Job war noch
nicht dabei. „Natürlich ist das kein Auftrag wie jeder andere“,
sagt er, während er puderfeinen Quarzsand für das Strahlgebläse nachfüllt.
Aber mit der Politik um dieses Thema solle man ihm vom Hals bleiben.
“Wir sollen dieses Denkmal restaurieren, und das werden wir tun.
Lenin ist bei uns in guten Händen.“

Wie Gulliver im Land der Zwerge liegt er da, der große Sowjetführer, in der spärlich beleuchteten Halle der Kaliningrader Gießerei Petschatnaja. Der Anblick ist leicht gespenstisch. Ein verwitterter Grünspankoloss, die
Bronzefaust trotzig in Richtung Hallendach geballt. Saurer Regen und die
Abgase der Großstadt haben ihm arg zugesetzt, Schewzow wird noch gut zu tun haben, wenn es mit der Wiederauferstehung termingerecht klappen soll. Am 22. April, Lenins Geburtstag, soll die Statue auf ihren Sockel am Platz des Sieges zurückkehren. Auch wenn bislang kaum jemand dran glauben mag im einstigen Königsberg.

Monatelang tobte um Kaliningrads zentrales Lenindenkmal ein skurriler
Streit. Seit 1958 überragt der Gründer des Sowjetimperiums auf seinem acht
Meter hohen Sockel den Siegesplatz. Zuvor hatte an gleicher Stelle Stalin gestanden. Jetzt aber stört das Monument die Russisch-Orthodoxe Kirche. Die zieht hinter dem Rücken des Revolutionärs ihre Christi-Erlöser-Kathedrale hoch, Russlands zweitgrößte Kirche wird es werden mit vier goldenen Zwiebeltürmen und einer 70 Meter hohen Kuppel, die alles andere überragen soll in der alten Preußenmetropole. Doch je höher die neobyzantinische Baukunst wuchs, desto deplatzierter wirkte Lenin. Darum plante die Stadtverwaltung, das Denkmal ein paar hundert Meter zu versetzen, auf die andere Seite des Platzes. Der Führer des Weltproletariats passe nun einmal nicht vor den Eingang einer Kirche, befand Kaliningrads Oberbürgermeister Jurij Sawenko. “Wir machen uns lächerlich.“

Doch als im November auf seine Weisung ein Bautrupp anrückte, um in einer
Nacht-und-Nebel-Aktion die Seitentribünen des Denkmals abzureißen, war tags darauf der Teufel los. Kommunisten und Kriegsveteranen mobilisierten ihre Anhänger, die Leute stürmten auf den Siegesplatz, ketteten sich an das Monument, stellten Mahnwachen auf. Die Aktion hatte Erfolg. Erst zog die Brigade mit den Presslufthämmern ab, dann bekam der Stadtsowjet kalte Füße und beschloss fast einstimmig: Lenin bleibt. Vom Sockel heben ließ Sawenko ihn trotzdem. Das Denkmal müsse restauriert und dafür in eine
Spezialwerkstatt gebracht werden, hieß es kurz darauf aus dem Rathaus. Als
ein Schwertransporter den tonnenschweren Ideologen Mitte Januar vom
Siegesplatz fortschaffte, glaubten die meisten Kaliningrader an einen
listigen Vorwand, Lenin doch noch loszuwerden.

Ginge es nach Oleg Kopylow, verschwände das Denkmal in der Versenkung, und
zwar für immer und ewig. Lenin stehe vor allem für das Übel in Russlands
Geschichte, findet der Kaliningrader Architekt. „Solche Figuren
gehören ins Museum.“ Dass man nach Lenins Demontage im Sockel
Grabsteine von einstigen Königsberger Friedhöfen fand, ist für ihn ein
bezeichnendes Symbol. „Dieses Denkmal war auf Sünde gebaut.“
Oleg Kopylow hat die Pläne für die Neugestaltung des Siegesplatzes
gezeichnet. Mit viel Naturstein-Pflaster, historisierenden Straßenlaternen, Springbrunnen, Blumenbeeten und Gehölzgruppen will er die zu sowjetischen Zeiten asphaltierte Aufmarschfläche in einen Platz alteuropäischen Aussehens zurückverwandeln. „Diese Stadt braucht ein Zentrum, ein lebendiges Herz.“ Der Platz soll wieder einladen - wie im alten Königsberg, als am damaligen Hansaplatz der Eingang zur Ostmesse lag und die Züge zu den Badeorten an der Ostsee abfuhren. Als Krönung spendierte Kopylow seinem Projekt eine Marmorsäule, 25 Meter hoch, mit einem goldenen Friedensengel obendrauf“ und just anstelle des Lenindenkmals, das der bekennende Paris-Fan schon gar nicht mehr auf dem Zettel hatte. Nun haben Lenins Denkmalschützer Kolylows Pläne gründlich durchkreuzt.

Die Bauarbeiten begannen trotz des Zanks. Es wurde höchste Zeit: Noch knapp ein halbes Jahr, dann soll Kaliningrads neuer Siegesplatz soweit fertig sein, dass Präsident Wladmir Putin und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder drüber spazieren können. Das Treffen der beiden Staatschefs markiert nach bisheriger Regie den politischen Höhepunkt des Festprogramms zur 750-Jahrfeier Kaliningrad-Königsbergs, mit der Russlands westlichste Gebietshauptstadt Anfang Juli zugleich auch deutscher Geschichte gedenkt.

Ritter des Deutschen Ordens gründeten 1255 nach dem Sieg über die
heidnischen Pruzzen am Pregelstrom unweit der Ostsee eine Burg. Sie nannten sie Königsberg, zu Ehren ihres slawischen Heerführers Ottokar II., König von Böhmen. An Ottokar erinnert in Kaliningrad nur noch eine Skulptur in der Fassade des Königstores am Litauer Wall, flankiert von Herzog Albrecht von Brandenburg und Preußenkönig Friedrich I.. Doch den Figuren fehlen bis heute die Köpfe. Soldaten der Roten Armee schossen sie den “Feinden“ im April 1945 ab. Bis zum Sommer sollen auch diese 60
Jahre alten Spuren von Hass und Rache beseitigt und die Figuren restauriert werden. Das Königstor ist offizielles Symbol der 750-Jahrfeier
Kaliningrad-Königsbergs.

Stadtgründer Ottokar bekommt seinen Kopf zurück und die Kommunisten ihren
Lenin. Keine ernsthafte Chance indes dürfte eine Forderung haben, die
Wladimir Joshikow, Chef der ultrapatriotischen Bewegung „Grenze der
Heimat“, dieser Tage in der Gebietsduma vorbrachte: Anlässlich des
Jubiläums solle man Josef Stalin im Stadtzentrum wieder ein Denkmal setzen. Begründung: Stalin sei schließlich der eigentliche Gründer Kaliningrads gewesen.

*** ENDE *** 

Thoralf Plath


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