Russland

Was sollten wir dagegen tun?

Mich interessiert die Frage: „Was tun?“ Überhaupt nichts? Es gibt verschiedene Varianten: 1. Den allen bekannten EU Disinformation Review (https://euvsdisinfo.eu/). 2. Den Vorschlag des Europäischen Demokratiefonds: eine Content-Fabrik schaffen und auf der Basis von bestehenden unabhängigen Medien eine russischsprachige Konkurrenz zu den staatlichen Medien aufbauen. Nachzulesen hier: https://www.democracyendowment.eu/news/bringing-plurality-1/ oder 3. Russische Medien verbieten – von Sputnik bis Perwy Kanal.
Ein paar Ideen aus dem Bericht des Europäischen Demokratiefonds waren sehr vernünftig. Die wichtigste Aufgabe ist meiner Meinung nach den Journalismus und die Medienkritik zu stärken. Vor allem letztere ist in vielen Ländern kaum vorhanden. Ein Bürger muss fähig sein, Medien richtig zu nutzen und Fakten von Bullshit zu unterscheiden. Die Medien selbst müssen ehrlicher werden und sich besser selbst kontrollieren, wenn es beispielweise um die Verwendung von PR-Texten geht. Das gilt auch für das „Native Advertising“ – auch das ist Propaganda. Das heißt, der Kampf gegen die Propaganda muss viel weiter gehen, als dass man einfach eine einzelne Lobbygruppe beschuldigt und alle anderen ignoriert.
Auf die Frage „Was tun?“ würde ich mir selbst zunächst raten: „Sich an die eigene Nase fassen“ und darüber nachdenken, ob ich alles richtig mache, ob ich unzulängliche Fakten womöglich in bereits feststehende Schlussfolgerungen einpasse usw. Ich zeige nicht mit dem Finger auf irgendjemanden, ich rede wirklich nur über mich selbst: Ich habe mir die Inhalte meiner Seite aus dem letzten Jahr angesehen und verstanden, warum mir manche Leute sagen: „Das ist dieselbe Propaganda, nur unter anderen Vorzeichen.“ Ohne das bringen auch „Content-Fabriken“ nichts. Die Ideologisierung der Faktenprüfung führt nur dazu, dass die Kluft zwischen den Sprechenden und den Angesprochenen tiefer wird und dass alle nichts anderes mehr machen als sich gegenseitig der „Fake News“ und der „Propaganda“ zu beschuldigen (wie es gerade passiert). Ich kann ganz klar sagen, was man nicht tun sollte, nämlich die dritte Variante. In der modernen Welt lassen sich keine Informationen „verbieten“, und ein Verbot sorgt immer nur für mehr Anziehung, wie das Beispiel mit dem lettischen Sputnik beweist. Außerdem gibt es einen Nebeneffekt: Ihr könnt euch sicher sein, dass jedes ineffektive Verbot von der russischen Propaganda selbst als ein Plus verbucht wird. Ich meine das genau so, die Chefredakteurin von RT und „Rossija Sewodnja“ Margarita Simonjan sammelt ganz beflissen alle Meldungen über die „Gefahr der russischen Propaganda“, übersetzt sie und veröffentlicht sie stolz mit Kommentaren à la „Schaut mal, wie sie vor uns zittern“. Ich zweifle nicht daran, dass sie gerade auf Grundlage der Anzahl solcher Panik-Artikel über sich selbst ihr Budget für das nächste Jahr bekommt.
Was meinst du mit „Ideologisierung der Faktenprüfung“?
Ich meine solche Sachen wie bei der EU Disinfo Review aus dem obengenannten Beispiel, oder wenn Seiten wie Politifact Antworten von Clinton und Trump auf ein und dieselbe Frage als „Mostly True“ bei Clinton und „Mostly False“ bei Trump einstufen, obwohl beide dasselbe geantwortet haben.
Oder hier, ein britisches Beispiel: Den Brexit haben zwei Webseiten beleuchtet – infacts.org und fullfact.org. Das erste ist eine klare „Partisanen“-Seite (d.h. offen für den Verbleib in der EU), die zweite ist eher neutral und objektiv. Letztendlich ist die erste völlig untergegangen, sowohl bei den Seitenaufrufen als auch insgesamt, weil ihre Partei verloren hat. Und ich kann auch gut nachvollziehen, warum sie untergegangen ist: Sie wollten im Grunde nur die Anhänger der anderen Partei umstimmen, haben aber die Politiker, die für den Brexit waren, als irgendwelche Goblins, die in Mülltonnen hocken usw. dargestellt. Natürlich war das Publikum, das sie erreichen wollten, davon angewidert. Genau das meine ich mit der Ideologisierung der Faktenprüfung – die Annahme, dass die vermeintlich „Unsrigen“ doch nicht im Unrecht sein können.
Ich würde einfach noch ein eigenes Beispiel anführen: unsere Seite NewsMaker. Anfangs wurde sie grob gesagt vom US-Außenministerium finanziert. Später dann vom EED, und jetzt auch noch vom NED. Wir können uns zwar nicht mit Seitenaufrufen im Bereich der 700 Tausend wie Sputnik rühmen, aber wir sind uns sicher, mittlerweile eine Informationsquelle zu sein, der die Menschen vertrauen. Und wir setzen unsere Arbeit fort – wir informieren. Es gibt eine große Nachfrage für verlässliche Information. Von Zeit zu Zeit machen wir etwas Ähnliches wie StopFake, oder besser gesagt eine Art Analyse: Wir nehmen uns eine Story, die große Wellen geschlagen hat, und zeigen, dass sie nicht wahr ist. Die Leser sind uns danach immer sehr dankbar.
Gibt es denn eine Möglichkeit, solche Projekte auch kommerziell erfolgreich zu machen?
Bisher sieht es bei uns mit dem kommerziellen Erfolg ziemlich traurig aus. Wir sind zwei Jahre alt. Die Gründung war im August 2014, als die regionale Krise an allen Fronten wütete. Das tut sie hier auch immer noch. Außerdem ist der Markt, wie ich schon gesagt habe, monopolisiert, auch der Werbemarkt.
Aber führt das „hinter denen steht das US-Außenministerium“ denn nicht dazu, dass die Leser euch als „prowestlich/gekauft“ wahrnehmen?
In Russland wäre das sicher ein diskreditierender Faktor. Sogar für ein loyales Publikum. Vom illoyalen ganz zu schweigen. Ich finanziere mein Projekt selbst und muss mir dennoch täglich die Leier von der „Nutte des US-Außenministeriums“ anhören.
In gewissem Maße, ja. Jemand schreibt regelmäßig in die Kommentare: „aber mit denen ist doch alles klar, die sind doch der Arm des US-Außenministeriums“. Aber mein Ausgangspunkt ist folgender: Dass sich erstens kein US-Außenministerium in unsere Redaktionspolitik einmischt. Als Nuland unseren größten Bösewicht zärtlich hinterm Ohr kraulte, haben wir darüber berichtet: Die drehen hier ihr verdammtes eigenes Ding. Zweitens konnte mir bisher niemand Fakten zu unserem angeblichen Engagement vorlegen. Spricht das dafür, dass wir der Arm Moskaus, oder der Arm des US-Außenministeriums, oder der Arm Moskaus vom Geld Washingtons sind?
Danke für die Antwort, ich weiß genau: Wenn man dich beschuldigt gleichzeitig das Sprachrohr des FSB und des FBI zu sein, dann machst du alles richtig. :)
Vytautas, wie stehst du zu dem „Kampf gegen die Trolle“ durch eure „Elfen“, über die die Washington Post neulich berichtet hat? https://www.washingtonpost.com/world/europe/lithuanian-elves-combat-russian-influence-online/2016/12/28/3b086946-ccee-11e6-85cd-e66532e35a44_story.html?utm_term=.49aa53ee5b7e
Nun ja, das ist eine Privatinitiative. Sie kommt natürlich nicht völlig ohne staatliche Unterstützung und bestimmte Strukturen aus, vermute ich. Nichtsdestoweniger kann sich in einem freien Land jeder die Zeit vertreiben wie er möchte. Ja, in unserem Facebook gibt es Roboter und Trolle und sie machen ihre Arbeit. Aber ihr Effekt ist meines Erachtens äußerst dürftig, genau wie der des „Kampfes“ gegen sie. Aber das ist ja auch nicht das Ziel. Sondern die Show, die soziale Selbstdarstellung. Ich führe drei Punkte an. Erstens: Jegliche Ministerien für Wahrheit und andere Strukturen der „staatlichen Antipropaganda“ sind Schwachsinn, Verschwendung vom Geld des Steuerzahlers und einfach nur Show der Politiker, Staatsbeamten, Militärs und anderer Propagandisten. Genau wie „richtige“ Medien. Und vor allem ist es ein direkter Angriff auf die Grundprinzipien einer Demokratie. Zweitens: Das Problem, auch wenn es nicht so apokalyptisch ist wie man es darstellt, besteht. Der Kreml wird auch weiterhin versuchen mit offenen oder verborgenen Mitteln auf innere gesellschaftliche und politische Vorgänge der wichtigsten westlichen Länder Einfluss zu nehmen. In erster Linie dadurch, dass er die Probleme dieser Länder benutzt – das sind vor allem Migration und Terrorismus. Das ist offensichtlich. Dagegen muss man sich wehren. Ein anderes Amerika als starke und unabhängige Medien, die sich unmittelbar mit der Dekonstruktion und Analyse der Propaganda, aber auch des russischen Regimes insgesamt befassen, werden wir nicht entdecken. Danach kommt eine starke und selbstständige politische Elite. Eine kritisch und demokratisch denkende Gesellschaft. Und der Rest läuft dann nach Schema F. Und drittens: Mir ist klar, dass in unseren Gesellschaften mit einem positiven Umbruch in diese Richtung in naher Zukunft nicht zu rechnen ist. Eher noch mit einer Verschlechterung. Also liegt die Hoffnung in der russischen Diktatur selbst. Sie wird letztendlich doch, wie immer, alles selbst kleinhauen, verpfuschen und versauen. Wie soll es anders sein?
Ich danke euch allen für die offene Diskussion.
Übersetzung: Maria Rajer

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