Polen

Die Schlacht hat erst begonnen

Deutschpo polsku

Aus dem Polnischen von Lisa Palmes, n-ost

Ich war zwei Mal schwanger und habe zwei Kinder (die medizinische Rechenformel dafür, dass ich weder jemals abgetrieben habe noch eine Fehlgeburt hatte). Ich verhüte mit einem Intrauterinpessar, auch „Spirale“ genannt. Wenn sie nicht mehr wirkt, lasse ich mir eine neue einsetzen. Und danach wieder eine neue, und immer so weiter, es sei denn, ich komme in die Wechseljahre und es ist nicht mehr notwendig.

Warum ich darüber schreibe? Das ist doch meine Privatangelegenheit. Und die sollte eigentlich niemanden, außer vielleicht meinen Arzt, etwas angehen. Oder?

Die Fruchtbarkeit der Frauen war noch nie ihre Privatangelegenheit. Seit jeher stellt die Kontrolle darüber, ob, wie und wessen Kinder sie gebären, ein wichtiges Instrument der Machtausübung dar. Sowohl im häuslichen Bereich im Rahmen der Familie, als auch in der Politik. Das hatte ich nur vergessen in den letzten 15, 20 relativ ruhigen Jahren, als das Thema Abtreibung in der Öffentlichkeit meines Landes wenig präsent war. Wirksam war ein Abtreibungskompromiss, der in Wirklichkeit kein Kompromiss war, was ich auch vergessen hatte.


Zum Abtreiben nach Tschechien

Ähnlich dachten sicher viele Frauen in vergleichbaren Lebenssituationen. Schließlich haben wir unsere Gynäkologen in Privatpraxen, die uns die Pille verschreiben oder eine Spirale einsetzen. Und falls wir doch einmal ungeplant schwanger würden, könnten wir in unsere Wohnungen zur Not noch ein weiteres Babybett stellen. Wir könnten die Kinderfrau für zusätzliche Stunden buchen und uns Arbeit aus der Redaktion ins Homeoffice mitnehmen.

Und wenn wir wirklich kein Kind mehr wollten? Dann gäbe es immer noch die Pille danach, und falls es dafür zu spät wäre, die Abtreibungspille. Letztere ist zwar in Polen nicht zugelassen, aber schließlich haben wir Kontakte und sind versiert im Umgang mit dem Internet. Damit lässt sich alles regeln. Und wenn es auch für dieses Mittel zu spät wäre? Dann würden wir eben nach Tschechien fahren oder in die Slowakei. Eine Abtreibung kostet in den dortigen Kliniken, die häufig auf Klientinnen aus Polen eingestellt sind, zwischen 350 und 400 Euro. Viel Geld, das sich aber mit zwei zusätzlichen Artikeln oder ein paar Vorlesungsstunden mehr wieder reinholen lässt.

Und wenn wir unter einen der drei erlaubten Fälle im herrschenden Abtreibungsgesetz – diesem sogenannten „Kompromiss“ – fielen? Wenn wir vergewaltigt worden wären, wenn die Schwangerschaft unser Leben gefährden würde oder wenn der Embryo schwere genetische Defekte aufwiese? Wir würden kaum eine zweite Alicja Tysiac werden, die im Jahr 2000 schwanger wurde und der man eine legale Abtreibung verweigerte, obwohl sie durch die Geburt ihr Sehvermögen zu verlieren drohte. Sie bekam das Kind. Der Fall gelangte bis nach Straßburg, am Ende musste der polnische Staat Alicja Tysiac 25.000 Euro Entschädigung zahlen. Heute ist ihre jüngste Tochter 16. Und sie selbst wird allmählich blind; auf einem Auge sieht sie bereits nichts mehr.

Wir dagegen wären sicher sofort nach Tschechien oder in die Slowakei gereist, ohne uns damit aufzuhalten, in Polen um eine legale Abtreibung zu kämpfen. Wir gehen ja auch in eine private Zahnarztpraxis, obwohl uns selbst in einer öffentlichen Klinik nun wirklich niemand aus Gewissensgründen die Zahnbehandlung verweigern könnte.

Aus meiner Komfortzone riss mich erst der Entwurf für ein neues, äußerst rigides Anti-Abtreibungsgesetz, der im Frühjahr 2016 von einer Gruppe konservativer Aktivisten und Juristen präsentiert wurde. Sie hatten sich zum Bürgerkomitee „Stoppt Abtreibung“ zusammengeschlossen und eine Unterschriftensammlung angekündigt, um ihren Entwurf dem Sejm vorlegen zu können.


Ideen für ein völliges Abreibungsverbot gab es schon immer

Nicht, dass vorher noch niemand den Gedanken eines völligen Abtreibungsverbots geäußert hätte. Was es jedoch noch nie gegeben hat, ist eine derartige Übermacht konservativer Gruppierungen im polnischen Parlament. Zahlreiche radikale Abgeordnete der Regierungspartei lobten den Entwurf – um dann reihenweise in den Medien die „eugenische Abtreibung“ zu verteufeln, die der polnische Staat ihrer Meinung nach billigt, indem er die Abtreibung von Embryonen mit schwerwiegenden Gendefekten zulässt.

Sie tadelten den „Mord an kleinen Kindern“ und forderten die Verurteilung dieser lasterhaften Frauen, die zuerst mit jedem X-Beliebigen ins Bett hüpften und danach das Kind wegmachen lassen wollten. Ein Abgeordneter verstieg sich sogar zu der Formulierung, dass zur Zeit „in Polen ein Drittel aller Personen (!) mit Down-Syndrom abgetrieben“ würden.

Anfang Juli gelangte der radikale Entwurf, unterzeichnet von einer halben Million Bürger, vor den Sejm. Vorgesehen waren Haftstrafen von bis zu fünf Jahren – nicht mehr nur für die Ärzte, sondern auch für die Frauen. Gestattet sein sollte die Abtreibung erst in einer „akut lebensbedrohenden Situation für die Frau“. Jetzt war Schluss mit lustig. Wäre es in Kraft getreten, hätte das neue Gesetz für Frauen, die schlechter gestellt oder weniger mobil sind als ich und meine Freundinnen, die ohnehin verschwindend geringen Chancen auf eine legale Abtreibung gänzlich zunichte gemacht.


An einer Eileiterschwangerschaft sterben?

Die Vorstellung, ich müsste unter Qualen an einer Eileiterschwangerschaft sterben, da kein Arzt mir helfen wollte, aus Furcht, die akute Gefahr für mein Leben nicht hinlänglich beweisen zu können, nahm mit einem Mal durchaus reale Gestalt an. So wie auch die Vorstellung, dass bei einer meiner Freundinnen oder Cousinen einen Tag, nachdem sie ihr Wunschkind durch eine Fehlgeburt verloren hätte, die Polizei vor der Tür stände, um zu untersuchen, ob die Fehlgeburt nicht vielleicht künstlich herbeigeführt worden sei.

Im September bearbeitete der Sejm zeitgleich zwei Entwürfe: „Stoppt Abtreibung“ hieß der eine, der andere hatte den Titel: „Retten wir die Frauen“. Letzterer, der die aktuelle Gesetzeslage liberalisieren sollte, wanderte in den Müll – ersterer auf den Tisch der Sejm-Menschenrechtskommission.

Und da verfiel eine berühmte polnische Schauspielerin, Krystyna Janda, auf die Idee mit dem Schwarzen Montag, also einem Frauenstreik in ganz Polen. Den Gedanken griffen nicht nur die gesellschaftlichen Kreise auf, die schon seit Jahren für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechtes kämpfen, nicht nur linke Aktivisten und PiS-Kritiker vom Dienst, sondern auch viele Menschen, die sich bis dahin nicht an den Protesten gegen die Regierung beteiligt hatten.

So auch ich: Am Montag, dem 3. Oktober, sagte ich meine Seminare ab, kleidete mich ganz in Schwarz und ging zur Demonstration. Ähnlich wie ich handelten fast 100.000 Frauen in ganz Polen. Noch nie hatte ich so stark das Gefühl, dass die regierenden Politiker tief in meine privaten Angelegenheiten eingreifen wollten. Noch nie hatte ich mich so sehr vor den Konsequenzen ihrer Entscheidung gefürchtet.


Kaczynski in der Falle

Die Regierungspartei erschrak ganz eindeutig über diesen Protest, den sie zuerst hatte lächerlich machen und bagatellisieren wollen. Wenige Tage später empfahl die Sejm-Menschenrechtskommission auf den ausdrücklichen Wunsch Jaroslaw Kaczynskis, den Entwurf „Stoppt Abtreibung“ fallenzulassen – was bei der Plenarabstimmung auch tatsächlich geschah.

Das ist jedoch erst der Beginn der Schlacht. Kaum war der Entwurf abgelehnt, bezichtigten konservative Kreise die PiS des Verrats. Und das, obwohl Premierministerin Beata Szydlo die Ablehnung des Gesetzesentwurfs durch die Zusage abzumildern versuchte, der Staat wolle künftig Eltern behinderter Kinder und Frauen in schwieriger Lebenssituation besser unterstützen.

Kaczynski ist in eine Falle geraten. Seit Jahren bemüht er sich darum, dass rechts von der PiS nur noch die Wand ist. Deswegen begann er auch, bevor er an die Macht kam, einen Flirt mit rechten Hooligans und radikalen Nationalisten, deswegen griff er so begeistert die radikale Anti-Einwanderungs-Rhetorik auf. Die Wahl gewonnen hat er dank seiner entschiedenen Unterstützung des konservativen Teils der polnischen katholischen Kirche, inklusive dem extrem fundamentalistischen Milieu um den Rundfunksender Radio Maryja und dessen Leiter, den Redemptonisten-Pater Tadeusz Rydzyk.

Jetzt ist die Zeit gekommen, die Rechnungen zu begleichen. Nun genügen die horrenden staatlichen Fördergelder für Rydzyk und seine zahllosen Initiativen nicht mehr. Der geballte Aufschrei zum Schutz der „ungeborenen kleinen Kinder“ hat Kaczynski gezeigt, dass Rydzyk nicht nur eine geteilte Kasse will, sondern auch die geteilte Macht. Er will die Herrschaft über die Seelen.


Es geht um Macht

Ich glaube nicht daran, dass die Frage der Abtreibung dem PiS-Vorsitzenden besonders am Herzen lag. Früher stimmte er viele Male gegen radikale Entwürfe und geriet darüber in heftige Konflikte mit katholischen Fanatikern. Damals bekam seine Gruppierung jedoch 15-20, in Spitzenzeiten vielleicht 25 Prozent Unterstützung. Seit die PiS allerdings praktisch das gesamte rechte Spektrum unter ihren Schirm geholt hat, kann sie selbständig regieren. Der Frauenprotest vermochte Kaczynski vielleicht zu erschrecken, doch ein drohender Machtverlust infolge einer Teilung der Rechten erscheint ihm noch gefährlicher.

Und deshalb gab der Parteivorsitzende auch bereits wenige Tage, nachdem der Sejm den Entwurf „Stoppt Abtreibung” abgelehnt hatte, ein Interview, in dem er versicherte: „Wir werden darauf hinarbeiten, dass selbst Fälle von äußerst schwierigen Schwangerschaften, bei denen das Kind zum Sterben verurteilt und stark deformiert ist, dennoch in eine Geburt münden, damit das Kind getauft und beerdigt werden kann, damit es einen Namen bekommt.“

Das rief wieder einen Sturm der Entrüstung in liberalen Kreisen hervor. Schon am darauffolgenden Tag fand eine Demonstration vor Kaczynskis Haus statt, unter der Parole: „Der Abgeordnete Kaczynski guckt uns ins Bett, wir gucken ihm nur über den Zaun.“ Kaczynski versucht vermutlich zu lavieren: zwischen seinen eigenen, weniger radikalen Ansichten zum Abtreibungsverbot – und der Kompromisslosigkeit jener Lobby, die ihm zur Macht verholfen hat. Wenn er sich entscheiden muss, wird seine Entscheidung sicherlich für die sicheren Verbündeten ausfallen, selbst wenn er privat etwas anderes denkt.

Dann jedoch werden sich diejenigen von ihm abwenden, die die PiS wegen ihrer sozialen Versprechungen und der Abneigung gegen das Establishment gewählt haben. Es wird ihnen nicht gefallen, dass die Regierung unter ihre Bettdecke zu schauen und sich in ihr Privatleben einzumischen versucht.


114

Weitere Artikel