Die Krisen-Duma
Wladimir Putin gab an diesem Wahlabend den Gönner. Die Wähler hätten verstanden, dass die Abgeordneten „wirklich hart arbeiten, obwohl nicht immer alles klappt“, versicherte Putin vor den andachtsvoll lauschenden Parteifunktionären. „Trotzdem hat die Partei gewonnen, und dazu gratuliere ich euch!“
Der Präsident, der über den innenpolitischen Problemen zu schweben scheint – es ist nicht zuletzt dieses Image, das „Einiges Russland“ zum Wahlsieg bei den Parlamentswahlen am Sonntag verholfen hat. Zuletzt hat die Kreml-Partei massiv mit Putin geworben, der offiziell gar kein Parteimitglied ist. Im Gegensatz zur Duma, die wenig angesehen ist, liegen Putins Popularitätswerte bei über 80 Prozent. Laut aktuellem Stand kommt „Einiges Russland“ auf 54 Prozent der Stimmen.
Es war eine eigentümliche Trägheit, die diesen Wahlkampf begleitet hat. Vor allem in St. Petersburg und Moskau, traditionell stärker dem Kreml-kritischen Lager zugewandt, blieben zwei von drei Wahlberechtigen den Wahlurnen fern. Die beiden demokratischen Oppositionsparteien „Jabloko“ und „Parnas“ sind mit 1,85 und 0,7 Prozent klar an der Fünfprozenthürde gescheitert. Dass diesmal mehr Parteien antreten durften, als noch 2011, ist vom Segen zum Fluch für die Kleinparteien geworden: 13 Prozent der abgegebenen Stimmen entfallen auf Parteien, die unter der Fünf-Prozent-Hürde bleiben.
Dementsprechend erhöht sich der Mandatsanteil der vier Parteien, die sich die 450 Sitze in der Duma aufteilen: „Einiges Russland“ kommt aktuell mit 343 Mandataren auf eine überwältigende Zwei-Drittel-Mehrheit. Dabei hat die Partei bei den Direktmandaten, die erstmals seit 2003 wieder für die Hälfte der Duma-Sitze eingeführt wurden, erst so richtig abgeräumt: 203 der 225 Direktmandate fallen der Kreml-Partei zu. Zudem ziehen mit den Liberaldemokraten des Rechtspopulisten Wladimir Schirinowski, den Kommunisten und „Gerechtes Russland“ drei systemkonforme Parteien in das Parlament ein.
Somit ist die Duma konservativer und kremltreuer als je zuvor. Von einem „Ein-Parteien-Parlament unter formeller Einhaltung der Demokratie“ schreibt Kirill Martynow in der Oppositionszeitung „Nowaja Gaseta“. Auf die Duma kommen indes schwierige Zeiten zu: Mit dem niedrigen Ölpreis sind die Boomjahre vorbei. Diese Duma wird die erste Duma seit langem sein, die unter einer Wirtschaftskrise antritt und den Staatshaushalt mit schrumpfenden Ressourcen bewältigen muss. Um die weitere Kürzung von Sozialausgaben wird die neue Duma nicht herumkommen.
Eine Art Erneuerung soll es derweil in der Regierungspartei selbst geben: Durch die Direktmandate und die internen Vorwahlen werden mehr als die Hälfte der Duma-Sitze, die die Kreml-Partei innehat, von neuen Personen besetzt. Frischer Wind oder nur Kosmetik? „Diese Leute werden weniger mit der Parteiführung verbunden sein, als viel mehr mit regionalen Interessensgruppen“, so die Politologin Jekaterina Schulmann. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Leute in der Duma mehr Rechte für sich einfordern werden.“
Der Kreml feiert das Ergebnis derweil als Stimmungstest für die Präsidentschaftswahlen 2018. „Wieder hat der Präsident ein imposantes Vertrauensvotum vom Volk erhalten“, so Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Als „Versuchsfeld für die künftigen Anwärter für Top-Positionen in der Macht-Pyramide, die sich nach 2018 formieren wird“, sieht es Tatjana Stanowaja vom Zentrum für politische Technologien in Moskau.
Die „ehrlichsten Wahlen“ hatte die neu ernannte Leiterin der Wahlkommission, Ella Pamfilowa, den Russen versprochen. Von einem fairen Wettbewerb aller Parteien konnte auch diesmal keine Rede sein, es wurden zahlreiche Verstöße dokumentiert. Im Gegensatz zu den Wahlen 2011, als sich Massenproteste entzündeten, hätten sich die Fälschungen diesmal aber zumindest in Grenzen gehalten, räumen auch Wahlbeobachter ein. Doch es scheint, als hätten auch die Russen selbst an diesen vordergründig „ehrlichen Wahlen“ inzwischen das Interesse verloren: Mit 48 Prozent ist es die niedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte Russlands.