Allein gegen den Kreml
Es ist keine gemütliche Ecke, hier, im Nordwesten Moskaus, wo die Autos über die vierspurige Kreuzung donnern und schon der Herbstwind durch die Straßen zieht. Dennoch haben einige Leute auf den Klappsesseln Platz genommen, eine kleine Bühne ist aufgebaut. Es ist kurz nach 19 Uhr, als Dmitri Gudkow – großgewachsen, Kurzhaarschnitt, grauer Mantel – auf die Bühne springt. „Haben Sie vielleicht von jemandem gehört, der in der Duma immer dagegen stimmt? “ fragt er. „Wenn ja: Dann war das wohl wahrscheinlich ich!“
Nur wenige Plakate in der russischen Hauptstadt künden davon, dass die Russen am 18. September ein neues Parlament wählen. Doch hier, an der Metrostation „Oktjabrskoje Polje“, werden den Passanten an jeder Ecke Broschüren, Zeitungen oder Luftballons in die Hand gedrückt. Ein gallisches Dorf des Wahlkampfes, inmitten des üblichen Alltagstrubels der Metropole.
Dieser Gudkow könnte es schaffen
Erstmals seit 2003 werden bei den Wahlen die Hälfte der 450 Sitze der Staatsduma wieder über Direktmandate und nicht mehr nur über die Parteilisten besetzt. Gudkow tritt für das Direktmandat im nord-westlichen Verwaltungsbezirk von Moskau an. Und wenngleich die Lage für die Kreml-Gegner auch diesmal ausweglos ist – in Umfragen liegen die Oppositionsparteien „Jabloko“ und „Parnas“ bei einem Prozent – sagt man sich in Moskau: Dieser Gudkow könnte es schaffen.
Der 36-Jährige kämpft ein Gefecht des Geläuterten. Der gelernte Journalist und ehemalige Basketballer ist 2011 auf der Liste einer kremlfreundlichen Partei ins Parlament eingezogen. Selbst bereits mit einem Fuß in der Duma, ging er im Protestwinter 2011/2012 gegen Wahlfälschungen auf die Straße. Mittlerweile gilt er als einziger Oppositioneller im Parlament. Als einer von wenigen stimmte er 2014 nicht für die Annexion der Krim. Bereits ein Jahr davor wurde er nach einer USA-Reise von seiner Partei „gerechtes Russland“ ausgeschlossen. Auf seiner Homepage gibt es eine Art „Best of“ jener Gesetze, gegen die er gestimmt hat. Das hat freilich nichts daran geändert, dass die Gesetze letztlich verabschiedet wurden. Durch seine Gegenstimme würden die Diskussionen aber „zumindest ein anderes Format bekommen“, so Gudkow.
Kaum Sendezeit in staatlichen Medien
Auch auf der Bühne gibt Gudkow den besonnenen, freundlichen Duma-Abgeordneten von nebenan. „30 Prozent des Staatsbudgets gehen für Verteidigung und Geheimdienste drauf“, sagt er. „Wählen Sie mich, damit zumindest ein Mitglied einer unabhängigen Fraktion in das Parlament kommt!“
Wenig später sitzt Gudkow auf der Rückbank eines Autos, auf dem Weg zum nächsten Treffen. Über das Handy gibt er den Text für seine Facebook- und Twitter-Seite durch. Da Oppositionelle kaum Sendezeit in den staatsnahen Medien bekommen, hat Gudkow den Wahlkampf in die sozialen Medien und auf die Straße verlegt. Fünf bis sechs Wahlkampfauftritte spult Gudkow jeden Tag ab, insgesamt waren es schon mehr als 200. Die Kampagne ist auf Freiwillige angewiesen. Im April hatte die Kampagne mit 30 Aktivisten gestartet. Jetzt sind es laut Gudkow bereits 3000. 3.400 Wohnblöcke gibt es im nord-westlichen Wahlbezirk, rund eine Million Einwohner. Also fehlen noch rund 500 Volontäre, um alle Häuser abzuklappern. Jeder Facebook-Eintrag endet mit dem Aufruf, zu helfen oder zu spenden.
Das Wahlgesetz hilft ihm
Die regierende Partei „Einiges Russland“ hat derweil keinen Unbekannten in den Kampf um das Direktmandat geschickt: Gennadi Onischtschenko, der ehemalige oberste Amtsarzt Russlands, ist vor allem durch seine eigenwilligen Aussagen („Proteste führen zu Grippeepidemien“) bis über die Grenzen Russlands hinaus bekannt geworden. Doch Gudkows Gegner ist ein anderer: Eine niedrige Wahlbeteiligung hilft traditionell der Putin-Partei, da liberale, enttäuschte Moskauer, auf deren Stimmen Gudkow hofft, den Wahlen eher fern bleiben.
Dennoch war es gerade die Reform des Wahlgesetzes – wie die Einführung der Direktmandate –, die den Kampf von Gudkow erst ermöglicht hat. Eine Reaktion auf die Proteste 2011/2012, als in Moskau Tausende gegen Wahlfälschung auf die Straße gingen. Dass mit Ella Pamfilowa die ehemalige Menschenrechtsbeauftragte zur Chefin der Zentralen Wahlkommission ernannt wurde, wird als Versuch gewertet, die Wahlfälschung zumindest einzudämmen und Skandale zu vermeiden. Doch von einem fairen Wettbewerb kann indes keine Rede sein. So werden Beamte und staatsnahe Strukturen massiv dafür eingesetzt, um für die Putin-Partei zu mobilisieren. Im staatlichen Fernsehen werden Regime-Gegner weiterhin schamlos diffamiert.
Ortswechsel. Es ist knapp vor 22:00. Einige Hundert Anrainer haben sich versammelt, um für den Erhalt eines Parks zu demonstrieren. „Bringt das nächste Mal eure Nachbarn, eure Freunde mit!“ ruft Gudkow von der Bühne. „Bald werden wir nicht nur ein paar Hundert, sondern ein paar Tausend sein.“
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Quellen:
Besuch von Wahlkampfveranstaltungen in Moskau
Interview mit Dmitry Gudkow
Besuch bei „Golos“, Organisation für freie Wahlen
Homepage Dmitry Gudkow
https://gudkov.ru