Russland

VW - vom Rekordmeister zum Sorgenkind

Die Schritte quietschen auf dem hellen Kunststoffboden, Ingenieure in weißer Kleidung hantieren an den Geräten. Eine eigentümliche Sterilität liegt über der Werkshalle. Mit seinen Bodenmarkierungen und den Neonröhren wirkt der Raum eher wie eine Turnhalle als eine Fabrik.

Am Standort Kaluga, etwa 170 Kilometer südwestlich von Moskau, fertigt Volkswagen seit 2007 Autos für den russischen Markt. Inmitten der Wirtschaftskrise hat der deutsche Autobauer nun im vergangenen September auch ein Motorenwerk auf dem 400-Hektar großen Fabrikgelände eröffnet – als erster ausländischer Automobilhersteller in Russland überhaupt. Kostenpunkt: 250 Millionen Euro.

Die Pläne zum Werk stammen noch aus einer Zeit, als der russische Automarkt alle Rekorde brach. 2011 unterzeichnete der VW mit der russischen Regierung ein sogenanntes Lokalisierungs-Abkommen mit dem Ziel, immer weniger teure Einzelteile aus Deutschland zu importieren und sie zunehmend durch in Russland produzierte Teile zu ersetzen. Kurz sah es so aus, Russland könnte Deutschland als den größten Automarkt Europas ablösen. Doch mit der Ukraine-Krise und dem Ölpreisverfall ist der Rekordmeister zum Sorgenkind geworden: Zuletzt ist der Automarkt insgesamt von 2,7 Millionen (2014) auf 1,45 Millionen (2015) verkaufter Neuwagen geschrumpft. Auch der VW-Absatz ist seit 2014 um die Hälfte gefallen.

So wirkt die Fabrik zwar hochmodern, aber überdimensioniert: 50.000 Motoren wurden im ersten Halbjahr am Standort Kaluga gefertigt – ein Drittel weniger als geplant. Seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise läuft auch die angrenzende Autofabrik nicht mehr in drei, sondern zwei Schichten täglich. Ein schwarzer Tiguan schwebt auf einem mannshohen Fließband durch die Produktionslinie, ein Roboter versenkt den Motor im Bau des Fahrzeugkastens. Die Ingenieure nennen diesen Vorgang liebevoll „Swadba“, „Hochzeit“, bevor die Einzelteile von den Arbeitern gelötet, gedreht und festgezurrt werden. Die Digitalanzeige springt nach oben: 27 gefertigte Autos in der heutigen Schicht. Bis zum Ende des Tages sollen 440 Stück vom Fließband rollen. Zu den besten Zeiten waren es in Kaluga fast 700 Stück.

Obwohl im Februar dieses Jahres in Kaluga das ein Millionste Fahrzeug vom Stapel lief, ist den wenigsten zu Feiern zumute. „Russland bleibt ein wichtiger strategischer Markt für die Volkswagen Group“, versicherte damals Marcus Osegowitsch, Generaldirektor der russischen VW-Tochter Volkswagen Group Rus.

Mit 1,5 Milliarden Euro gehört der deutsche Autobauer zu den größten ausländischen Investoren in Russland. Eine Milliarde steckte VW allein in das Werk Kaluga, den Rest in den zweiten Standort in Nischni Nowgorod. Der österreichische Manager Osegowitsch, der in seinen ersten Jahren als Generaldirektor astronomische Zuwachsraten von 70 (2011) und 40 Prozent (2012) erlebte, nimmt es sportlich. So solle die zunehmende Fertigung von Teilen in Russland selbst helfen, von Währungsschwankungen unabhängiger zu werden. Infolge des niedrigen Ölpreises hat der Rubel seit Anfang 2014 fast 50 Prozent an Wert verloren, die Importe verteuert und die Kaufkraft abgewürgt. „Seit 2014 waren wir Automobilhersteller im freien Fall“, sagt Osegowitsch weiter. „Wir haben von Woche zu Woche geplant. Seit Herbst 2015 ist es wieder planbarer geworden.“

Osegowitsch sieht Anzeichen, dass die Talsohle durchschritten ist. In den ersten vier Monaten 2016 ist der Absatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zwar wieder um gut 12 Prozent zurückgegangen. Ein Lichtblick: Im April hat der Autobauer in Russland zumindest wieder um 0,4 Prozent mehr Autos ausgeliefert als im Vorjahresmonat. „Das ist noch keine Besserung, aber es wird vermutlich auch nicht mehr schlechter“, so Osegowitsch.

Von den wirtschaftlichen Sanktionen, die die EU zur Befriedung der Ukraine verhängt hat, ist VW nicht direkt betroffen. Die Strafmaßnahmen richten sich gegen russische Staatsbanken, den Rüstungssektor sowie Hochtechnologie für die Öl- und Gasindustrie. Vom Minsker Friedensplan, an dessen Erfüllung die Aufhebung der Sanktionen gekoppelt sind, ist allerdings bislang wenig umgesetzt. Beobachter vermuten, dass die Sanktionen deswegen verlängert werden.

„Grundsätzlich haben wir gelernt, mit den Sanktionen umzugehen“, sagt Osegowitsch.
„Was uns umtreibt ist die Sorge, dass wir uns über die Sanktionen emotional etwas kaputt machen. Dass sich unsere russischen Kunden am Ende denken: Wenn der Westen immer gegen uns ist, warum sollte ich dann ein westliches Produkt kaufen?“

Im Russland selbst spielt VW in der obersten Liga. Zur Eröffnung des Motorenwerks im Herbst kam Ministerpräsident Dmitri Medwedew persönlich vorbei, auch Präsident Wladimir Putin war schon da. Außerdem war VW einer der Hauptsponsoren der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 und fördert auch einige russische Fußballclubs. „Wir hoffen, dass uns da die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland hilft“, sagt Osegowitsch. Dort ist VW zwar kein Sponsor, aber „Autokaufen hat etwas mit Emotionen zu tun. Mit dem Gefühl, dass es wieder aufwärts geht.“ Er hofft, dass sich die Russen – trotz Wirtschaftskrise – doch wieder ein neues Auto kaufen.


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