Russland

Moskau feiert „Tag des Sieges“

Der Himmel über der Stadt ist wie ein blaues, frisch gewaschenes Tuch. Es herrscht ausgelassene Festivalstimmung, hier, auf dem Puschkin-Platz nahe der Moskauer Prachtstraße Twerskaja. Händler bieten Russland-Flaggen und Mützen der Roten Armee an und drängen sich durch die Menge. Junge Frauen in Camouflage-Parkas verkaufen die orange-schwarzen Georgsbänder, Duplikate der Ehrenorden für Verdienste im „Großen Vaterländischen Krieg“, wie der Zweite Weltkrieg in Russland genannt wird. Ein Sonderangebot zum Feiertag, sagen sie: 18 Duplikate in einer Box, umgerechnet um die 34 Euro.

Auch die Ingenieurin Julia und die Historikerin Irina sind gekommen, um den „Tag des Sieges“ – die Kapitulation von Nazi-Deutschland – zu feiern. Eigentlich wollten sie die vorbeiziehende Militärparade sehen, doch der Weg zur Straße ist mit Einsatzfahrzeugen und Gittern abgesperrt. Julia hat sich eine Mütze der Roten Armee aufgesetzt. Sie hält ein Schild in der Hand: „Semjon Wolkow“ steht darauf geschrieben – so hieß ihr Urgroßvater, der im Zweiten Weltkrieg gefallen ist. Später wollen Julia und Irina am Gedenkmarsch für die Veteranen teilnehmen, dem Marsch des „unsterblichen Regiments“. Doch jetzt warten sie auf die Luftshow.

Besucher haben ihre Kinder auf die Schultern gehoben. Manche sind schon in den Morgenstunden gekommen, um die besten Plätze auf dem Balkon des „Kino Rossia“ zu ergattern. Junge Männer sind auf Fahrzeuge geklettert, die den Weg der Menschenmenge abschneiden. Die Polizisten lassen sie gewähren.


Verbindung zum Syrien-Einsatz

Um 11 Uhr Ortszeit donnern die ersten Flugzeuge durch den tiefblauen Himmel, von keinem Wölkchen getrübt. Chemikalien haben den Luftraum über Moskau schon seit Tagen von Wolken gereinigt. Unter Pfiffen, Jubel und „Hurra“-Rufen jagen die Kampfflugzeuge und Hubschrauber der russischen Streitkräfte über die Köpfe der Menschen hinweg. Die Luftshow wird von sechs Kampfjets abgeschlossen, die das russische Trikolore in den Himmel sprühen.

Der 9. Mai ist der höchste nicht-religiöse Feiertag im russischen Kalender. Der Feiertag zum Gedenken an die 27 Millionen sowjetischen Opfer im Zweiten Weltkrieg wurde 1965 eingeführt. Die zu Sowjetzeiten übliche Militärparade am Roten Platz wurde unter Präsident Wladimir Putin 2008 neu verordnet. In diesem Jahr findet die Parade aber vor dem Hintergrund des russischen Kriegseinsatzes in Syrien statt – die Beteiligung am Ukraine-Krieg hatte Russland ja immer geleugnet. Unter den 71 Flugobjekten, die über die Moskauer Innenstadt donnerten, waren auch einige Kampfflugzeuge und Hubschrauber, die in Syrien im Einsatz waren, etwa der Langstreckenbomber TU-95 oder der Jagdbomber SU-35.

Wenn die Passanten auf den Syrien-Krieg angesprochen werden, winken sie allerdings ab. „Es ist eine besondere Atmosphäre, den Zusammenhalt des russischen Volks zu spüren“, sagt die 42-jährige Ljudmilla, die in einer Werbeagentur arbeitet. „Die Militärparade soll unsere Stärke zeigen“, sagt Tatjana, eine 30-jährige Verkäuferin, die mit ihrem Mann Alexander und ihrer vierjährigen Tochter gekommen ist. Mit dem aktuellen politischen Ereignissen in Syrien sei das nicht verbunden, sagt auch Julia, die junge Ingenieurin. „Das hat mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Andenken an die Veteranen zu tun, und nicht mit heute.“

Dennoch sind die Feierlichkeiten auch in diesem Jahr politisch brisant. Wieder findet sich kein westlicher Gast auf der Ehrentribüne des Roten Platzes. Russland ist infolge der Ukraine-Krise zum westlichen Paria geworden. Doch mit der Intervention in Syrien hat es sich international erneut ins Spiel gebracht, mit der Militärparade präsentiert sich Moskau einmal mehr als Militärmacht.

Längst nicht alle verfallen am „Tag des Sieges“ mit seinen Feierlichkeiten in Euphorie. Der ursprüngliche Gedanke sei gewesen, dass sich so etwas wie der Zweite Weltkrieg niemals wiederholen dürfe, schreibt der Journalist Arkadi Babtschenko in seinem Blog für „Echo Moskwy“. „Aber diese Parade ist keine Parade der Waffen mehr, die die Welt vor der braunen Pest retten. Sondern zehntausende Menschen in einem Land töten, das einmal ein Bruderstaat war“, schreibt Babtschenko unter Anspielung auf die russische Unterstützung für die Separatisten im Donbass.

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Quellen:

Persönliche Gespräche in Moskau, 9. Mai 2016

Numerische Infos zur Parade:
http://www.rbc.ru/politics/04/05/2016/572237a99a7947406c0f51a7

Offizielle Homepage zu den Feierlichkeiten (Russisch):
www.9maya.ru

Blog Arkadi Babtschenko:
http://echo.msk.ru/blog/ababchenko/1761068-echo/


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