Armee beim russischen Woodstock

Es soll „das größte Abenteuer des Sommers“ für mehr als 180.000 Musikfans werden – so will es zumindest das Motto des Musikfestivals „Naschestwie“, das an diesem Freitag in der Nähe von Moskau beginnt. Es läutet einen russischen Festival-Sommer ein, in dem es allerdings um mehr gehen wird, als um Rockmusik, Bier und Sonnenschein.
„Soldaten – cool und gefährlich“, wirbt das Verteidigungsministerium auf der Homepage für den Dienst an der Waffe. Die russischen Streitkräfte sind zum dritten Mal offizieller Veranstaltungspartner des Festivals. Unter dem Motto „Russland beschützen“ wird hinter einer Festivalbühne ein ganzer Militärpark zu besichtigen sein. Neben den Rockkonzerten sind zudem Flugshows der russischen Luftwaffe geplant.
Eine Leistungsschau des russischen Heeres, kombiniert mit dem „Who is Who“ des heimischen Musikgeschäfts – das stößt nicht überall auf Gegenliebe. „Wir wollen unsere Songs nicht vor Panzern singen“, begründet etwa die russische Rock-Legende Andrej Makarewitsch auf Facebook die Absage seines Auftritts. Scharfe Kritik kommt auch von Michail Kosyrew, der das Festival 1999 als pazifistisch ausgerichtetes, „russisches Woodstock“ konzipierte: „Lieder auf der Bühne singen zu lassen, und zugleich eine Plattform zu schaffen, bei der man sich in die Armee einschreiben kann – das ist völlig unvereinbar“, sagt Kosyrew in einem Fernsehbeitrag. „Noch dazu in einer Zeit, in der das Land einen Krieg führt.“
„Zum Himmel schreiende Lasterhaftigkeit“
Die Veranstalter weisen die Kritik zurück. „Den Menschen gefällt das – sie zahlen ja dafür“, betonte Veranstalter Dmitri Grojsman bei einer Pressekonferenz. Außerdem stünde es ja jedem Festivalbesucher frei, den Militärpark zu besuchen – oder eben nicht.
Diese Freiheit gilt freilich nicht für alle Kulturevents. So sollte etwa das ebenso bedeutende Musikfestival „Kubana“ erstmals nicht mehr an der russischen Schwarzmeerküste, sondern in der russischen Exklave Kaliningrad stattfinden – auf Druck der Behörden. Dieser Tage wurde bekannt, dass das für Anfang August angesetzte Festival nun in die lettische Hauptstadt Riga verlegt werden muss. „Offiziell hieß es, dass die Kaliningrader Sicherheitskräfte die Sicherheit nicht gewährleisten können“, so der Veranstalter Ilja Ostrowski. „Die Regionalbehörden äußerten zudem Bedenken, die Festivalbesucher könnten einen ‚negativen Einfluss auf die moralische Verfasstheit der örtliche Bevölkerung’ haben“, so Ostrowski weiter.
Konservative und kirchliche Vertreter waren zuletzt in Kaliningrad Sturm gegen das Festival gelaufen. Sogar der Vikar der russisch-orthodoxen Diözese Kaliningrad hatte sich eingeschaltet und das Festival auf seiner Homepage als „eine völlige Degradierung, einen Frevel, ein Gelage und zum Himmel schreiende Lasterhaftigkeit“ gegeißelt.
Konservative Wende
Das Festival, bei dem zuletzt auch westliche Bands wie „Prodigy“ oder „Offspring“ aufgetreten waren, könnte aber aus einem anderen Grund in Ungnade gefallen sein: So trat vor einem Jahr der bekannte russische Musiker Noize MC mit einer scharfen Kritik an der Ukraine-Politik des Kreml auf. „Wer war von euch schon mal in Lemberg?“ fragte der Musiker von der Bühne. „Ich war dort – und ich sage euch: Dort gibt es keinen Nazismus!“ Die „ukrainischen Faschisten“ sind ein wichtiges Narrativ in den staatsnahen Medien, um die Unterstützung für die Separatisten im Donbass zu begründen.
Ob Ukraine-Krise oder Machtkritik – für kritische Künstler spitzt sich die Lage in Russland zu. Die Moskauer Kleinbühne „Teatr.doc“ ist für seine kreml-kritischen Stücke bekannt: Zuletzt feierte ein Stück über die „Bolotnaja-Prozesse“ Premiere, jene Verfahren gegen russische Oppositionelle, die 2012 gegen die Kreml-Politik demonstrierten. Die Premiere wurde allerdings von Sicherheitskräften gestürmt. Kurz darauf wurde auch der Mietvertrag für die Spielstätte aufgelöst – das zweite Mal innerhalb von sechs Monaten. Theaterdirektorin Jelena Gremina spricht von einer „konservativen Wende“ und „Beamten-Willkür.“ Immer weniger Künstler würden sich politisch-brisanter Themen annehmen – aus Angst vor Verfolgung.
Die Lücke, die durch die repressive Kulturpolitik entsteht, weiß man zumindest in Kaliningrad zu füllen. So hat ein örtlicher Kirchenvertreter angekündigt, statt dem Musikfestial „Kubana“ einfach selbst ein Festival zu gründen. Ausrichtung: ein patriotisches Festival zu Ehren der „Verteidiger des Heimatlandes“ - „ohne Trinkgelage und Lasterhaftigkeit“, so der Kirchenvertreter wörtlich in der „Komsomolskaja Prawda“.
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Quellen:
Persönliche Gespräche mit Künstlern und Veranstaltern
Auftritt von Noize MC bei „Kubana“ 2014
Offizielles Statement des Baltischen Bischofs Serafim
Pressekonferenz der Veranstalter von „Naschestwie“