Russland und seine Separatisten
Ernüchterung, aber auch Erleichterung im zentralen Bezirksgericht von Kaliningrad: Im „Flaggen-Prozess“ wurden die drei Aktivisten Michail Feldman, Oleg Sawwin und Dmitri Fonarjow am Mittwoch zu jeweils 13 Monaten Haft verurteilt. Da sie die Zeit allerdings schon in Untersuchungshaft abgesessen haben, kommen sie frei.
Damit geht ein brisanter Prozess zu Ende: Vor einem Jahr hissten die drei Aktivisten in Kaliningrad eine deutsche Fahne auf dem Gebäude des russischen Geheimdienstes FSB. Die Aktion hatte wenige Tage vor dem Referendum über den Status der Krim stattgefunden. Neben „Rowdytums“ warf ihnen die Staatsanwaltschaft daraufhin vor, den „Austritt des Kaliningrader Oblasts aus dem Verbund der Russischen Föderation“ zu propagieren. Die Aktivisten wiesen das stets zurück: Sie hätten nur auf die „Doppel-Standards“ hinweisen wollen, die Russland in punkto Selbstverwaltung in der Ukraine und im eigenen Land gelten lässt. „Wenn dort die Flaggen eines fremden Staates hängen können – warum dann nicht auch hier?“ schrieben die Aktivisten aus der Haft.
Die Aktion berührt einen wunden Punkt. In den Jubel um den Anschluss der Krim vor einem Jahr mischten sich auch vereinzelt kritische Stimmen. „Die Krim haben wir wieder zurück – aber werden wir Kaliningrad verlieren?“ fragte etwa der Autor Wladimir Schulgin in einem Essay.
Selbstverwaltung hat viele Gesichter
Im größten Flächenland der Welt haben Separatismus und Selbstverwaltung viele Gesichter. Als Musterbeispiel gelungener Selbstverwaltung gilt die autonome Republik Tatarstan, die mit eigener Verfassung weitgehende Sonderrechte genießt. Um die Republik Tschetschenien wurde hingegen ein blutiger Krieg geführt. Rufe nach Autonomie hatte es auch immer wieder von den Rändern des Riesenreiches gegeben – von Karelien in Nord-West-Russland bis hin zu Sachalin im Pazifik. Doch schon vor dem Ausbruch der Ukraine-Krise hatte der Kreml hierbei die Daumenschrauben angezogen: Ende 2013 unterschrieb Wladimir Putin ein Gesetz, wonach Separatismus sowie die „Propaganda von Separatismus“ mit bis zu fünf Jahren Haft verfolgt werden.
Von einer separatistischen Stimmung kann in Kaliningrad, dem ehemals deutschen Königsberg, freilich keine Rede sein. Aber die Krise hat alte Fragen neu aufgeworfen. Kaliningrad, das eigentlich zum „Hongkong an der Ostsee“ werden sollte, leidet heute unter seiner Insellage: Der fallende Rubelkurs hat Importe verteuert, ausländische Unternehmen ziehen sich zurück. Es gibt Gruppen, die sich durch eine stärkere Autonomie der Region eine bessere Entwicklung versprechen. Etwa Jakow Gregorjew. Er ist ein enger Freund der drei Aktivisten und wie diese Mitglied im „Komitee der zivilen Selbstverteidigung“.
„Ich will keine Loslösung von Russland, sondern mehr Unabhängigkeit bei Finanzen und Verwaltung“, sagt der 30-Jährige. „Ich will nicht, dass Moskau über alles entscheidet.“ Also mehr Föderalismus, weniger Zentralstaat – eine Forderung, die Moskau in der Ostukraine auch selbst mit Nachdruck einfordert.
Separatismus light
Ähnliche Stimmen gibt es auch 4.600 Kilometer weiter im Osten. In Nowosibirsk sollte im vergangenen Sommer ein „Marsch für die Föderalisierung“ Sibiriens stattfinden. „Die Forderungen waren rein wirtschaftlich – eine Änderung der Steuerpolitik, die bisher vorsieht, dass die meisten Steuern nach Moskau fließen“, sagt der Künstler Artjom Loskutow, der eine Performance geplant hatte. Der Marsch wurde allerdings von den Behörden verboten. Artikel und Einträge in sozialen Medien über das Event wurden auf Anweisung der russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor entfernt oder blockiert.
Für den Publizisten Alexander Podrabinek ist das Beispiel Nowosibirsk typisch. Mehr Autonomie war zuletzt auch vermehrt aus wirtschaftlichen, und nicht so sehr aus ethnisch-kulturellen Gründen gefordert worden: „Ein Grund dafür ist die ungerechte Verteilung der Steuereinnahmen. Es ist kein Wunder, dass der Slogan ‚Es reicht, Moskau zu füttern’ besonders im Ural, in Sibirien und Jakutien so populär geworden ist.“ Gerade dort lagern die für Russland so wichtigen Bodenschätze ein – zugleich würde aber nur ein Teil der Steuereinnahmen wieder in das föderale Budget zurückfließen, so Podrabinek in einer Analyse für das „Institute of Modern Russia“.
Insgesamt sind separatistische Stimmungen in Russland verschwindend gering – was aber nicht zuletzt auf die sehr repressive Politik des Kreml zurückzuführen sei, so der Soziologe Lew Gudkow in einem Interview. Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums lag der Zuspruch für separatistische Ideen zuletzt weit unter zehn Prozent. Bei einem „Separatismus light“ sieht es hingegen laut einer Umfrage des „Fonds zum Kampf gegen die Korruption“ des Oppositionellen Aleksej Nawalni anders aus: Demnach würden mehr als 40 Prozent der Russen eine stärkere Unabhängigkeit von Moskau unterstützen.
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Quellen:
Persönliche Gespräche in Kaliningrad
Interview mit Artjom Loskutow
Analyse des Think Tanks „Institute of Modern Russia“
Umfrage des Lewada-Zentrums zu Separatismus