Russland

Auf Siegestour durchs Museum

Es ist ein sonniger, aber bitterkalter Frühlingstag. Verschlafen und in dicken Jacken steigen Teenager in den Bus. „Willkommen zur Exkursion ‚Wege des Sieges’“, flötet Tatjana Jurjewna ins Mikrofon, während sich der Bus durch den Moskauer Morgenverkehr wälzt. Tatjana ist eine blonde Mitt-Dreißigerin, schwarze Bobo-Brille, Blue Jeans. „Russia“ steht in geblümten Lettern auf der Rückseite ihrer Adidas-Jacke.

Die Fahrt ist Teil eines „allrussisch-patriotischen Bildungsprogramms“, das es seit einem Jahr gibt. Organisatoren sind das russische Kulturministerium und die „Russische Kriegshistorische Gesellschaft“, deren Hauptaufgabe die Propaganda der russischen Militärgeschichte ist. Die staatliche Organisation wurde 2012 auf Putins Anweisung gegründet. „Stellt euch vor, Kinder, in Japan glauben die Schüler, dass die Sowjetunion die Atombombe über Hiroshima abgeworfen hat und nicht die USA!“ Tatjana dreht sich zu den Schülern um und zieht die Augenbrauen hoch. „Sie sind eben alle Vasallen der USA.“


Besonders beliebt ist die Schlacht von Stalingrad

Heute geht es ins Museum des „Großen Vaterländischen Krieges“, wie der Zweite Weltkrieg in Russland genannt wird. Wie eine geschwungene Arche liegt das Gebäude auf einem Hügel im Moskauer Stadtgebiet. Im Museum selbst herrscht Gedränge. Im Akkord werden Schüler aller Altersgruppen vor den Wandgemälden zu den großen Schlachten zwischen der Sowjetunion und Nazi-Deutschland abgefertigt. Stalingrad, Leningrad, Kursk, die Schlacht am Dnjepr, Berlin. Eine Schulklasse trägt sogar Mützen der Roten Armee. Tatjana seufzt: „Die Schlacht von Stalingrad ist schon wieder besetzt.“ Die Wartezeit kürzen sich die Schüler mit einem Kreuzworträtsel ab. „Schneller kriegerischer Vorstoß?“ – „Ah, ‚Blitzkrieg’!“

Später kommt die Gruppe zum Denkmal für die Opfer von Auschwitz. „Kennt ihr die Geschichte vom polnischen Außenminister? Der hat zuletzt behauptet, Auschwitz wurde eigentlich von den Ukrainern befreit. Die Armee, die Auschwitz befreite, hieß allerdings nur „I. Ukrainische Front“, bestand aber aus Russen.“

Was Tatjana nicht sagt: In Wirklichkeit bestand die Armee nicht ausschließlich aus Ukrainern – aber eben auch nicht ausschließlich aus Russen. Der Historiker Timothy Snyder weist darauf hin, dass in dieser Einheit neben Russen auch viele Ukrainer kämpften, da die Rote Armee durch schwere Verluste vor allem in der Ukraine viele Einheimische rekrutierte.


Die Tour hat offiziell nichts mit dem Ukraine-Krieg zu tun

Die Aussage ist Programm. „Die Heldentaten der Russen sollen im Vordergrund stehen, damit die Schüler lernen, stolz auf ihre Vergangenheit zu sein“, sagt Wladislaw Sajaschnikow, Chef der Agentur für Binnentourismus, die das Programm umsetzt. Mehr als 62.000 Moskauer Schüler haben schon seit September am Programm teilgenommen, bald sollen die Touren auch auf St. Petersburg und auf die Krim ausgeweitet werden.

Warum gerade so ein Programm, gerade zu einer Zeit, wo in Europa wieder Krieg herrscht? „Das ist reiner Zufall“, sagt Sajaschnikow. Sein Smartphone ziert ein Putin-Konterfei im Dandy-Look, mit Sonnenbrille. „Ja, vielleicht gäbe es eine Verbindung zu unserem Programm, wenn denn Russland auch nur irgendwie am Ukraine-Konflikt beteiligt wäre“, sagt er nach einer kurzen Pause. „Aber das ist ja bekanntlich nicht der Fall.“

Freilich fällt es schwer, die Exkursion nicht im Lichte der Ukraine-Krise zu lesen. Das Symbol der Tour ist das Sankt-Georgs-Band: Das schwarz-orange Bändchen, eigentlich ein Orden aus dem 19. Jahrhundert, wurde in der Sowjetunion zum „Sieg über den Faschismus“ umgedeutet. Heute ist es das Symbol der pro-russischen Separatisten im Donbass. In den kremltreuen Medien wurde der Umsturz am Maidan als „faschistischer Putsch“ diskreditiert. Auch Putin selbst stellt Parallelen zwischen der heutigen ukrainischen Armee und der deutschen Wehrmacht her: „Ihre Taktik erinnert mich an die der faschistischen Truppen in der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Großstädte wurden eingekesselt und durch gezielten Beschuss zerstört, samt Einwohnern.“


Berlin brennt

„Russland inszeniert heute den Krieg gegen die Ukraine als Fortsetzung des Großen Vaterländischen Krieges, als Krieg gegen die Faschisten und ihre kapitalistischen Freunde“, sagt Andreas Kappeler, emeritierter Professor für Osteuropäische Geschichte in Wien. „Die Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg ist noch immer wirkungsmächtig und mobilisiert Emotionen.“

Letzte Station im Museum. Berlin brennt. Drei sowjetische Soldaten halten bedächtig die sowjetische Fahne in den Händen. Bald wird sie über dem Berliner Reichstag wehen. „So viele Menschen sind gestorben“, seufzt Tatjana. „Und was haben unsere so genannten ‚Verbündeten’ getan? Großbritannien und die USA?“ Pause. „Nichts haben sie getan. Warum?“ – Ein Schüler, etwas kleinlaut: „Weil sie zu feige waren und ihre Soldaten nicht opfern wollten?“ – „Richtig! Wir haben Berlin befreit! Sie haben einfach zugeschaut und sich danach den fetten Kuchen aufgeteilt.“ Tatjana legt noch einmal nach. „Und was haben unsere lieben Verbündeten, die USA, danach gemacht? Die Nazis aufgenommen, Nazi-Wissenschaftler, KZ-Wächter!“

Die Show ist vorbei. Im Museumsshop gibt es Putin-Büsten und Stalin-Kalender zu erstehen, gleich neben Spielzeug-Kalaschnikows, Puzzles mit Kriegsmotiven und Büchern wie „Krim – Geschichte einer Rückkehr.“ Die Chemie-Lehrerin, eine vornehme Frau mit Hut, würde sich am liebsten gleich wieder für die nächste Tour anmelden. „ Die Kinder müssen einfach wissen, wer die Nummer eins ist auf der Welt – nicht die USA oder irgendeine Ukraine, sondern Russland!“ Auch der Schülerin Maria hat es gefallen. „Wir haben den großen Sieg errungen – und nicht die USA! Unser Boden ist gesäumt von Leichen – und nicht ihrer!“ Nachsatz: „Das scheinen sie gerade wieder zu vergessen.“

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Quellen:

Teilnahme an der Exkursion, persönliche Gespräche

Homepage der Agentur für Binnentourismus:
http://www.anoarvt.ru

Aussage Putins über die ukrainische Armee und die Wehrmacht:
http://www.faz.net/aktuell/politik/russlands-praesident-putin-ukrainische-armee-ist-wie-die-wehrmacht-13124988.html

Essay Timothy Snyder:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-125080828.html

Homepage Russische Kriegshistorische Gesellschaft
http://histrf.ru/ru/rvio


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