Flüchtlinge: Über den Balkan in die EU
Das oberste Prinzip? Das Mobiltelefon muss immer aufgeladen sein. Zum eigenen Schutz. Und zum Weiterkommen. Wenn die Schlepper die Flüchtlinge irgendwo in der Pampa stehen lassen und behaupten, das sei schon Deutschland, dann hilft das GPS. Und wenn mitten in der Nacht das Telefon klingelt, muss man abnehmen können. Und loslaufen. Denn die Grenze liegt nur ein paar Schritte entfernt. „Wir schlafen nicht in der Nacht. Falls die Schmuggler anrufen“, sagte Asadullah aus Afghanistan im Dezember der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR.
Immer mehr Flüchtlinge kommen über den Balkan
Er sitzt in jenen Tagen in der verlassenen Ziegelfabrik im serbischen Städtchen Subotica und steckt sein Handy an eine provisorische Stromquelle. Wie die anderen Männer hier wartet er auf seine Chance. Doch sie haben keine Wasserwand vor sich und keinen Seelenverkäufer unter ihren Füßen. Sie sind auf dem Landweg über die Türkei und den Balkan bis an die EU-Außengrenze gekommen. Viele aus Somalia und Afghanistan. Noch mehr aus Syrien, seit dort der Bürgerkrieg tobt. Für sie ist diese Strecke näher und billiger, als es über Nordafrika nach Italien zu versuchen. Wie viele andere Staatsangehörige benötigen Syrer für die Einreise in die Türkei auch kein Visum – Ankara verfolgt seit Jahren eine äußert liberale Visumspolitik.
Westliche Balkan-Route nennen die Experten die Flüchtlingspfade, die über die Türkei und die europäische Südostflanke an die EU-Außengrenze heranreichen, etwa an das Städtchen Tovarnik im östlichen Arm Kroatiens. Oder eben an Subotica – am Rande des serbisch-ungarischen Nirgendwos der grünen Grenze. Es sind Flüchtlingspfade, die sich in den vergangenen Jahren zu richtigen Routen ausgewachsen haben. 43.360 illegale Grenzübertritte verzeichnet die europäische Grenzschutzagentur Frontex in der Region im vergangenen Jahr – mehr als in den fünf Jahren zuvor zusammen. 20.000 Menschen sollen 2013 illegal durch Serbien gereist sein, schätzen örtliche Nichtregierungsorganisationen. Die lebensgefährliche Reise über das Mittelmeer ist eine Möglichkeit, in die EU zu kommen. Über Südosteuropa führt die andere.
Besser geschützte Grenzpunkte
Dass die Flüchtlinge dabei vermehrt den Landweg über das Staatenpuzzle des Westbalkans nehmen und nicht mehr von Griechenland aus im Boot oder im Flugzeug nach Westen übersetzen, liegt auch daran, dass Athen seine Grenzpunkte an Flug- und Seehäfen mittlerweile besser schützt – Flüchtlinge können sich nicht mehr unter das Schengenvolk mischen, das ohne Personalkontrolle reist. So bleibt ihnen, die über die Ost-Ägais von der Türkei nach Griechenland übergesetzt haben, nur mehr der beschwerliche Weg über Mazedonien und dann weiter nach Serbien. „Die Verteilung hat sich verschoben, sehr viel mehr Festsetzungen wurden auf der Westlichen Balkan-Route berichtet“, schreibt Frontex im Quartalsreport vom Dezember.
Im Örtchen Lojane, einem der neuen Knotenpunkte im Norden Mazedoniens, trifft das Elend der Flüchtlinge auf die Armut der Bewohner. Die Arbeitslosigkeit greift in dem kargen Bergdorf um sich. 200 Euro soll hier der Schlepperdienst nach Serbien kosten, schreibt die Stuttgarter Zeitung, was einem durchschnittlichen Monatslohn in Mazedonien entspricht. Lange Jahre sind die Mazedonier selbst in Richtung EU aufgebrochen. Nun helfen sie den anderen, es gleich zu tun.
In den allermeisten Fällen
greifen die ungarischen Grenzbeamten die Flüchtlinge allerdings an der
serbisch-ungarischen Grenze auf und schicken sie nach Serbien zurück.
Dann probieren die kleinen Gruppen es eben ein zweites, drittes oder
viertes Mal – zu weit sind sie schon gekommen, um aufzugeben. Irgendwann
wird es klappen, reden sie sich gut zu und denken von jene, die bereits
in der EU angekommen sind. Es sind keine Märchen, die sie sich zur
Beruhigung erzählen.
Denn wer Westeuropa erreicht hat, schickt ein Jubel-SMS. An die Freunde, die noch auf der Strecke sind.
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Quellen:
Frontex
UNHCR