Von „Kriegsporno“ und Bildethik
Dies ist die erste Folge einer zweiteiligen Gesprächsreihe. Den zweiten Teil finden Sie hier.
ostpol: Unlängst hat der Fotograf Christoph Bangert ein Buch mit grausamen Kriegsbildern publiziert, die nie gedruckt wurden. „War Porn“ heißt es, und Bangert vertritt die These, dass sich die Medien mit dem Verweis auf Voyeurismus scheuten, Kriegsrealität zu zeigen. Wenn ein Konflikt eskaliert wie in der Ukraine oder ein Flugzeug abstürzt – welche Bilder sind ethisch vertretbar, um solche Ereignisse zu vermitteln?
Biedowicz: Das ist eine ganz alte Diskussion, ob grausame Bilder abstoßen, was man zeigen darf und was nicht. Da wird jede Zeit sich neu definieren. Inzwischen gibt es die Tendenz, dass man zu explizite Bilder nicht zeigt, solche auswählt, die keine offenen Wunden zeigen. Man will die Dramatik zeigen, aber keine Übelkeit erzeugen. Ich kann verstehen, wenn ein Kriegsreporter sagt: ‚Die Welt da draußen ist so hart und brutal, was ich in den Zeitungen sehe, sieht aus wie weichgespült’, aber das ist seine vergleichende Sicht. Ziel sollte sein, den Konflikt zu transportieren, aber mit Stilmitteln, die kompatibel sind mit dem Zustand der Leute.
Ein subtiles Bild aus der Ukraine hat gerade im Wettbewerb World Press Photo, erstaunlicherweise in der Kategorie Nachrichten, gewonnen: Das Stilleben „Wrecked life“ des russischen Fotografen Sergei Ilnitsky, aufgenommen nach einem Granateneinschlag in Donetsk. Ein gutes Beispiel?
Hier spricht Fotograf Sergei Ilnitsky über sein Bild.
Biedowicz: Ein tolles Bild. Man sieht eine Alltagssituation, die radikal durch Krieg versehrt ist: Ein gedeckter Tisch mit frischen Früchten, der plötzlich nicht mehr einladend ist, sondern zerstört. Leben und Tod sind auf dem Bild versammelt. Es transportiert sofort: Im Alltag ist von einer Sekunde auf die andere schlimmes Leid passiert. Das rührt, glaube ich, alle Menschen, weil dieses Symbol der gedeckten Tafel in allen Kulturen und auch Schichten existiert.
Weber: Dieses Bild geht weit über die etablierte, überbetonte ästhetische Bildsprache im Fotojournalismus hinaus, weil es direkt den Kern der Sache trifft. Als Fotograf bin ich vor allem Überbringer einer Botschaft, nicht viel mehr. Der Grund, weshalb das Bild auf so unterschiedlichen Ebenen funktioniert, ist sein universeller Kontext. Es steht stellvertretend für den universellen Begriff von Zuhause, und das kann jedem von uns jederzeit wegbrechen. Ich glaube, ein Fotograf ist dann erfolgreich, wenn es ihm gelingt, dass der Leser einen Moment lang inne hält. Es geht nicht darum, draußen herumzurennen, um die Welt zu verändern, sondern ein kleines Licht in den Menschen anzuzünden, die die Bilder betrachten.
Biedowicz: Sehr erstaunlich, dass es in dieser Kategorie gewonnen hat, das ist wirklich ein Novum. Denn normalerweise schaut man hier eigentlich immer in schmerzverzerrte oder leere Gesichter, das war das bisherige Muster.
Weber: Ich habe mich für das Bild stark gemacht, weil ich denke, dass viele von einem falschen Nachrichtenbegriff ausgehen. Sogar für das Gewinnerfoto des Jahres haben wir viel Kritik kassiert: Wie könnt ihr in einem Jahr voll großer Nachrichtenereignisse – der Abschuss der MH17, Krieg in der Ukraine, ISIS-Terror - dieses subtile Foto eines schwulen Pärchens auswählen? Viele messen den Nachrichtenwert nicht am Inhalt, sondern an der visuellen Darstellung. Das ist aus meiner Sicht absolut falsch und der Grund, warum der Fotojournalismus korrumpiert ist. Das Bild zeigt nicht nur ein schwules Paar in Russland. In weiten Teilen der Welt werden Menschenrechte mit Füßen getreten, wie also kann ein Bild, das Millionen Menschen angeht, keinen Nachrichtenwert haben?
Die im Wettbewerb World Press Photo gekürten Bilder lösen in jedem Jahr Kontroversen aus. Unter den Gewinnerserien waren in diesem Jahr auch zwei Foto-Essays aus der Ukraine, von der blutigen Eskalation auf dem Maidan sowie von der Absturzstelle der MH17. Der französische Magnum-Fotograf Jérôme Sessini zeigt den leblosen Körper eines Passagiers, noch immer an den Sitz geschnallt, in einem Weizenfeld in der Ostukraine.
Hier das Bild von Jérôme Sessini bei World Press Photo
Biedowicz: Das ist ein Bild, das ich grenzwertig finde. Ich weiß nicht, ob man das drucken kann, weil da jemand zu sehen ist. Und wir wissen nicht, ob es ihm recht ist, dass dieses Bild in einem Magazin erscheint. Die Würde des Toten, die Würde des Menschen – wenn es um diese Bereiche geht, ist die Fotografie gefährdet. Nah heran gehen ist verführerisch, aber Distanz wäre besser. Mich schockt das Foto sehr, ich finde, es überschreitet die Grenze des Legitimen. Die Trümmerteile reichen völlig aus, um den Absturz zu zeigen. Ich finde die Serie auch nicht ganz konsequent: Handelt es sich um Betroffene, Zuschauer oder Überreste, die man sucht? Mir gefällt nicht, dass die Leute mal ein-, dann wieder ausgeblendet werden. Mal sind es so eine Art Gaffer, die da stehen, mal Helfer, die etwas löschen. Ich würde mir wünschen, dass die Geschichte eine in sich geschlossene Form erhält.
Weber: Das betrachte ich als ein Argument, das sich aus westlichem Chauvinismus speist, wie er in Europa und den USA vorherrscht. Es soll sozusagen nicht ‚okay’ sein, einen von uns derart zu zeigen, es ist aber in Ordnung, solche Bilder auf einem anderen Kontinent zu machen – wo die Menschen exotisch aussehen, oder anders als wir. Nach den Rechten eines toten Kindes in Afrika fragt niemand, und solche Bilder werden immer durchgewunken und in Magazinen gezeigt. Ich finde das Bild relevant und akzeptabel. Ich glaube, wir müssen solche Sachen zeigen, unserer eigenen Menschlichkeit willen, und können nicht so tun, als wäre nichts passiert, wenn tatsächlich alles passiert ist.
Der ukrainische Fotojournalist Alexander Chekmenev, der aus dem Donbass stammt, verfolgt in seinen Arbeiten konsequent eine visuelle Idee: Im Sommer 2014 besuchte er regelmäßig verletzte Soldaten in einem Kiewer Militärkrankenhaus. Viele wurden in Gefechten in seiner Heimatregion um Luhansk schwer verletzt, verloren Gliedmaßen. Kann man das so zeigen?
Hier spricht Fotograf Alexander Chekmenev über sein Bild.
Biedowicz: Auf jeden Fall. Eine Zumutung ist es, wenn der Betroffene in der jeweiligen Situation nicht sein Einverständnis geben kann, sich zum Beispiel im Todeskampf befindet. Hier sieht man deutlich, dass die Porträtierten die Situation, fotografiert zu werden, mittragen und sich der Kamera stellen. Ich habe überhaupt nicht das Gefühl, dass man einen Schritt zu weit geht, sondern die haben es auch in der Hand, ihre Verletzung zu kaschieren oder zu zeigen.Diese Bilder sind gut inszeniert, das Umfeld ist so ausgewählt, dass es noch mehr erzählt: Man merkt zum Beispiel sofort, wenn es sich um einen Familienvater handelt, durch die Bilder, von den Kindern wahrscheinlich als Genesungswunsch an die Wand gepinnt. Der Fotograf hat das ganz wunderbar so eingefangen, dass man das Gefühl hat, zwar ein individuelles Schicksal vor Augen zu haben, gleichzeitig aber eine Beziehung zu dem großen Konflikt zu bekommen. Das gelingt auf eine stille Art. Es kommt nicht so laut und mit hoher Dramatik daher, sondern in einer ruhigen Betrachtungsweise.
Michael Biedowicz und Donald Weber wurden in Einzelinterviews befragt. Im zweiten Teil der Gesprächsreihe, der Mitte April auf ostpol erscheint, geht es am Beispiel des Maidan um die verschiedenen Grade der Inszenierung von Bildern.
Michael Biedowicz arbeitet seit 2007
als leitender Bildredakteur beim ZEITmagazin.
Er hält regelmäßig Workshops und arbeitet
außerdem als Galerist und Kurator.
Donald Weber arbeitet als Fotograf,
leitet zahlreiche Workshops und war
dieses Jahr Mitglied der Jury
bei World Press Photo.