Wenn alle zu Schauspielern werden
Dies ist der zweite und letzte Teil unserer Gesprächsreihe zum Thema. Den ersten Teil finden Sie hier.
>> Alexander Chekmenev über seine Serie „Warriors“.
ostpol: Wenn man an Nachrichtenbilder aus der Ukraine denkt, hat man immer auch die brennenden Barrikaden vom Maidan vor Augen. Unzählige Fotografen sind an den Schauplatz gereist und haben die gleichen Bilder in Variationen geliefert. Der Fotograf Alexander Chekmenev hat sich oftmals für einen anderen Blick entschieden und die Menschen auf dem Maidan aus ihrer Situation herausgehoben – zum Beispiel mit ihrer jeweiligen Waffe in der Hand abgebildet.
Biedowicz: Der Maidan war eine regelrechte Theaterbühne, so habe ich das empfunden. Diese dramatischen Gesichter und Abläufe, die haben die Leute geliefert. Dadurch hatte man das Gefühl, viele Bilder schon gesehen zu haben. Chekmenev hingegen ist ein guter Beobachter, auch was Details angeht. Es gibt ein Bild von ihm, das eine alte Frau mit ukrainischen Flaggen zeigt. Es erzählt, dass dieser Konflikt nicht mehr nur junge Leute betrifft, die zu Europa gehören wollen. Die Dame hat vielleicht noch die Nazi-Zeit erlebt. Da frage ich mich: Was geht in solchen Menschen vor? Das erweitert meinen Horizont. Die Serie über die Leute mit ihren Waffen ist beeindruckend: Dieses selbst gebastelte Instrumentarium – manchmal denkt man fast, die wären aus einer Art Rollenspiel entsprungen. Aber die Geschichte erzählt eben auch, dass es anfangs keine ausgebildeten Kämpfer gab, sondern Menschen, die mit selbst gebastelten Waffen diesen Platz verteidigt haben.
Weber: Auf dem Maidan waren alle Schauspieler in einem Theater, es war zugleich ein tatsächliches, wie auch hyperkonstruiertes Ereignis. Das hängt eng mit der Entwicklung der medialen Verbreitung zusammen. Es war eine natürliche Reaktion, dass die Aktivisten sich schützen, um nicht von einem Geschoss getroffen zu werden. Manche aber haben versucht, sich in ihrer übertriebenen Kostümierung gegenseitig zu übertreffen. Ohne das Fernsehen hätte es manche hochdramatische visuelle Szene nicht gegeben.
>> Anastasia Taylor-Lind über ihre Porträts.
Einen ähnlich konzeptionellen Ansatz verfolgte die britische Fotografin Anastasia Taylor-Lind. Sie hat den Helden vom Maidan mit scheinbar stillen Porträts ein Denkmal gesetzt. Dazu hat sie im Februar 2014 mitten auf dem Platz eine Art provisorisches Studio aufgebaut. Dort porträtierte sie vor schwarzer Leinwand zunächst nur junge Kämpfer, nach der blutigen Eskalation auch Frauen, die Blumen auf die Barrikaden legten.
Biedowicz: Es ist eine andere Herangehensweise. Hier werden die Leute auch aufgefordert zu posieren, wie Schauspieler in einer Szenerie. Im Hintergrund ist eine Kamera aufgebaut und sie bekommen eine Rolle zugeteilt, die sie sich wahrscheinlich aussuchen können. Es wird zu Theatermitteln gegriffen, Anliegen werden mit Gesten transportiert. Was ich ein bisschen zu viel finde. Man merkt auch sofort den Unterschied zwischen der osteuropäischen Welt und unserer etwas anders sozialisierten Welt in Mitteleuropa: Die Stilmittel sind bei den Fotografen und Akteuren etwas heftiger. So eine Gestik würde man bei uns nur veralbernd verwenden. Die Herangehensweise der Fotografin ist auf jeden Fall großartig: Den Wert wird man erst in einer Dekade schätzen lernen, weil sich dann etwas verändert, die Leute selbst oder der Blick darauf.
Weber: Hier zeigt sich eine andere Art von Unmittelbarkeit: Es wird nicht wie bei Jerome Sessini ein einzelnes Ereignis dokumentiert, sondern es geht um den Code, wie das Ereignis selbst eigentlich funktioniert.
Wenn man solche Porträts oder das Bild von der alten Frau mit den Flaggen betrachtet, die ihr Jesusbild einwickelt, um es zu schützen – welche Rolle spielt die Symbolkraft eines Fotos? Auch vor dem Hintergrund, dass symbolisch ausdrucksstarke Bilder zu Propagandazwecken eingesetzt und missbraucht werden können?
Biedowicz: Man bietet eine Angriffsfläche, plötzlich wird man instrumentalisiert, das geht gar nicht anders. Wenn jemand eine Serie veröffentlicht, heißt es, das ist Parteinahme, für die eine oder die andere Seite. Als Fotograf muss man natürlich seine Position finden, was man mit der Arbeit zeigen, wen man unterstützen will. Und das ist schwieriger, wenn man in diesem Konflikt mit seiner Biografie beteiligt ist.
>> Maria Turchenkova über ihre Arbeit in der Ostukraine.
Die junge russische Fotografin Maria Turchenkova hat im vergangenen Jahr auf beiden Seiten des Konflikts gearbeitet. Auf dem Maidan begleitete sie Studenten und radikalere nationalistische Gruppen, als sie sich formiert und bewaffnet haben. Später dokumentierte sie nicht nur die Tage nach dem Abschuss von MH17, sondern verbrachte Monate „embedded“ in der Ostukraine, mit den Menschen in Kellern, im Kontakt mit Kämpfern aller Couleur. Ungewöhnlich?
Biedowicz: Das ist selten in dieser Branche, meist zieht die Kriegsfotografie doch junge Männer an, die die Gefahr vielleicht nicht suchen, aber nicht scheuen. Turchenkova bringt eine andere Ästhetik mit, viel subtiler. Das Bild von dem Suchtrupp nach dem Fluzeugunglück ist vermutlich eine vorgefundene Situation, aber sie bekommt etwas Ikonografisches. Die verlorenen Menschen, die da nach den Trümmern suchen – man kann es so interpretieren: Die Gesellschaft ist auseinander gefallen, es gibt keinen Zusammenhalt mehr. Dann zeigt sie aufgerissene Erde, die brutal geschändet ist, und diese kleinen Menschen dazu. Das sind wirklich schlaue Bilder!
Vielen Dank für das Gespräch.
Michael Biedowicz und Donald Weber wurden in Einzelinterviews befragt.
Michael Biedowicz arbeitet seit 2007
als leitender Bildredakteur beim ZEITmagazin.
Er hält regelmäßig Workshops und arbeitet
außerdem als Galerist und Kurator.
Donald Weber arbeitet als Fotograf,
leitet zahlreiche Workshops und war
dieses Jahr Mitglied der Jury
bei World Press Photo.