Ukraine

Bild-Codes Ukraine – Sergei Ilnitsky

Foto: Sergei Ilnitsky
Foto: Sergei Ilnitsky

„Ich stand in Donetsk auf dem Balkon meines Hotels, als ich einen Granateneinschlag hörte. Es traf ein Häuschen in Sichtweite, ein Mann schrie nach seiner Frau: ‚Vera, Vera!’ Splitter steckten in ihrem Bauch. Ihr Sohn bat mich, drinnen nachzusehen, was übrig ist. Die Tapeten waren zerfetzt, überall lag kaputtes Geschirr, mitten in der Küche eine Blutlache neben zerquetschten Tomaten. Es war sehr still und roch nach Erde und Staub und frisch gepflückten Tomaten. Ich bin im Donbass, in Mariupol, aufgewachsen. Dieser Tisch schien mir wie aufgetaucht aus meiner Kindheit, wie es bei den Großeltern aussah. Nur dass es dort friedlich war. In diesem Moment wusste ich, dass es besonders traurig ist und machte ein paar Bilder. Am nächsten Tag erfuhr ich, dass die Frau verstorben war. Das Bild steht für mich symbolisch für den Krieg, der friedliches Leben in Sekunden zerstört.

Die Auszeichnung war eine große Überraschung. Erst dachte ich, das Bild sei sehr persönlich, nur mit meinen Erinnerungen verknüpft. Bis ich nach der ersten Veröffentlichung viele Briefe erhielt, aus Ländern wie den USA und Großbritannien, ohne Bezug zur Ukraine. Durch das Bild spürten die Leute den Schmerz einfacher Bürger. Die Jury in diesem Jahr ist mutig und klug und versteht Symbolik und Kontexte zu lesen. Sehen Sie nur das Siegerbild – ein schwules Paar teilt einen intimen Moment: Es steht für die Unterschiede zwischen uns. Wir sind alle verschieden in vielfacher Hinsicht: Glaube, Präferenzen, politische Meinung. Solange wir nicht das Recht einer Person, anders als wir selbst zu sein, akzeptieren, gibt es Konflikt, Krieg und Leid.“

Sergei Ilnitsky ist ein russischer Fotojournalist, der im ukrainischen Mariupol geboren wurde. Seit 2003 arbeitet er als fester Fotograf für die Agentur EPA in Moskau. Ilnitskys Themen sind breit gefächert: Er dokumentierte Kinderkolonien in Sibirien, den Nato-Einsatz in Afghanistan und die Olympischen Spiele in London. Bereits zwei Mal wurde er mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet.

Zum Interview über Bilder des Ukrainekonfliktes mit Michael Biedowicz (ZEITmagazin) und Donald Weber (Word Press Photo)


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