Bulgarien

Flüchtlinge unerwünscht

Ein kleines Mädchen schaut aus dem geschlossenen Fenster auf die Straße vor dem Haus. Drohend gestikulieren dort aufgebrachte Bürger und schreien in die Fernsehkameras: „In unserem Dorf gibt es keine Zigeuner und auch keine Türken, und die wollen wir hier auch nicht!“ Bulgarische Christen verfluchen die hier untergekommenen muslimischen Flüchtlinge aus Syrien.

„Rosovo ist eines der ethnisch reinsten Dörfer in der Kommune Kasanlak. Am 24. April 2014 wurden auf seinem Territorium 17 syrische Bürger angesiedelt. Das hat zu einer spontanen Reaktion der Bevölkerung geführt.“ Mit diesen Worten versuchte Rosovos Bürgermeisterin Theodora Georgieva den übergeordneten Behörden das Verhalten der Dorfbewohner in einem Brief zu erklären. Bürger hätten Unterschriften gegen die Flüchtlingsunterkunft gesammelt und sich zu Protesten vor der Einrichtung versammelt. Anstatt Verständnis zu wecken, verschärfte die Bürgermeisterin mit ihrer Formulierung vom „ethnisch reinsten“ Dorf den Skandal allerdings nur noch.


Die syrischen Familien sind erleichtert und schockiert zugleich

Die aggressive Fremdenfeindlichkeit der Bewohner von Rosovo hat in der bulgarischen Öffentlichkeit Aufregung erzeugt und die Abscheu vieler Bulgaren erregt. Ihr Ziel haben die Dorfbewohner indes erreicht: Die drei syrischen Familien mit ihren sechs Kindern sind inzwischen in der Kleinstadt Kran untergekommen, ebenfalls in der Nähe von Kasanlak in Zentralbulgarien. „Hier sind die Leute freundlich zu uns“, sagen sie – gleichermaßen erleichtert wie noch immer schockiert von dem Hass, der ihnen in Rosovo entgegenschlug.

Viele Bulgaren sind stolz darauf, dass ihr Land während des Zweiten Weltkriegs seine fünfzigtausend Juden nicht den Deutschen zum Abtransport in die Vernichtungslager ausgeliefert hat. Die historische Tatsache gilt als Beleg für die ethnische und religiöse Toleranz der Bulgaren. Doch nicht nur die Erlebnisse der Syrer in Rosovo stellen diese nun in Frage.

Auch ein Ende April 2013 von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) veröffentlichter Bericht über den Umgang der bulgarischen Regierung mit Menschen, die in dem Land Zuflucht suchen vor Krieg und materieller Not, verstört. Der Bericht prangert erbärmliche Lebensverhältnisse in Flüchtlingslagern wie Voenna Rampa und Harmanli an und schildert Fälle, in denen Flüchtlinge an der bulgarisch-türkischen Grenze gewaltsam zurückgedrängt wurden. Laut dem Bericht entspricht die Flüchtlingspolitik der sozialistisch geführten Koalitionsregierung von Ministerpräsident Plamen Orescharski weder internationalen Vereinbarungen noch europäischen Standards.


Polizisten drängen Flüchtlinge gewaltsam zurück in die Türkei

„Als mich die Polizisten fanden, begannen sie sofort, mich zu schlagen. Ich sagte ihnen, dass meine Frau und mein Kind in der Nähe seien, doch sie hörten nicht zu und sagten nichts, was ich verstehen konnte. Das einzige Englisch, das sie konnten, war: ,No, no Bulgaria!‘“ So gab ein 21-jähriger Afghane sein Erlebnis im Wald zwischen der Türkei und Bulgarien bei Human Rights Watch zu Protokoll. Bulgarische Polizisten brachten ihn gewaltsam zurück auf türkisches Gebiet. Ähnliches erzählten viele Flüchtlinge den Menschenrechtlern.

Auf dem Höhepunkt des Flüchtlingsstroms im vergangenen Herbst, als täglich einhundert Menschen die bulgarisch-türkische Grenze überschritten, verkündete Bulgariens Innenminister Tsvetlin Iovtschev einen Plan zur Bewältigung des „Flüchtlingsproblems“. Der sah die Abkommandierung von 1.500 Polizisten und den Bau eines 33 Kilometer langen Grenzzauns vor. Tatsächlich sind seitdem nur noch wenige Flüchtlinge nach Bulgarien gekommen und Bulgariens noch vor kurzem überfüllten Flüchtlingslager leeren sich rapide.

„Ich bin überrascht, dass eine angesehene Nichtregierungsorganisation solche unwahren Behauptungen veröffentlichen kann und solche klare Lügen und Verleumdungen gegen Bulgarien streuen kann“, kommentierte Innenminister Iovtschev den HRW-Bericht. Doch dass die Flüchtlinge in Bulgarien alles andere als willkommen sind, zeigt nicht nur die Vertreibung der syrischen Familien aus Rosovo: Bulgarische Medien wie internationale Menschenrechtsorganisationen berichteten auch in den vergangenen Monaten immer wieder, dass Flüchtlinge an der bulgarisch-türkischen Grenze gewaltsam zurückgedrängt wurden.


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