Flüchtlinge im eigenen Land
Schefket Jusbaschew: „Für die Tataren auf der Krim wird das Leben immer schwieriger.“
Als Schefket Jusbaschew im März nach Lemberg kam, wollte er eigentlich nur ein paar Tage bleiben und seiner Frau und den drei Kindern die westukrainische Stadt zeigen. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse auf der Krim und es erschien ihm zu gefährlich, in seine Heimat zurückzugehen. Außerdem hofft er, seinen Kindern hier eine bessere Ausbildung ermöglichen zu können. Schefket Jusbaschew besaß in Feodossija, einer kleinen Hafenstadt auf der Krim, ein Restaurant. Nun hat er in der Innenstadt von Lemberg zusammen mit seiner Frau Aische ein neues Lokal eröffnet. Geld verdienen sei wichtig, sagt Jusbaschew: „Wir müssen unserer Familie und unseren Freunden auf der Krim helfen, denn für die Tataren wird das Leben dort immer schwieriger.“
Sewil Kanejewa: „Wer weiß, wo die Russen Halt machen.“
Als der Luftraum über der Krim geschlossen wurde, bekam Sewil Kanejewa es mit der Angst zu tun. Zusammen mit ihrer Familie – ihrem Mann, zwei kleinen Kindern, ihrer Mutter und dem jüngeren Bruder – verließ sie die Krim Hals über Kopf im nächsten Zug. Über Kiew erreichte die Familie Lemberg, wo sich Kanejewa sicherer fühlt als in der ukrainischen Hauptstadt: „Wer weiß, wo die Russen Halt machen. Aber vermutlich sind sie an der Westukraine nicht interessiert.“ Kanejewa, eigentlich Zahnärztin, arbeitet momentan als Übersetzerin für das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR). Das Flüchtlingshilfswerk unterhält in Lemberg ein kleines Büro – doch die Krimtataren darf UNHCR dennoch nicht unterstützen. Denn laut internationalem Recht gelten die Tataren nicht als Flüchtlinge, sondern als ukrainische Staatsbürger.
Serdar Sejtaptiew: „Ich würde niemals den russischen Pass akzeptieren.“
Serdar Sejtaptiew traf die Entscheidung, die Krim zu verlassen, schnell, doch ohne Reue. Der 20-Jährige nahm den Nachtzug nach Westen, nach Lemberg, wo er sein Studium der Zahnmedizin weiterführt. Er wolle nicht in einem totalitären Staat leben, gibt der Student, der sich bereits in seiner Heimatstadt Simferopol in der dortigen Maidan-Bewegung engagiert hatte, als Begründung für seine Flucht an. Seine Eltern sind auf der Krim geblieben, wo sie die russische Staatsangehörigkeit annehmen mussten, um ihre Arbeit nicht zu verlieren. Serdar Sejtaptiew hingegen betont: „Ich würde niemals den russischen Pass akzeptieren. Mein Land ist nicht Russland, sondern die Krim.“ Sejtaptiew hofft darauf, im Sommer seine Eltern besuchen zu können. Doch er befürchtet, nicht einreisen zu dürfen – oder nicht mehr hinausgelassen zu werden.
Alim Aliew: „Von der Stadt Lemberg bekommen die Tataren nur wenig Unterstützung.“
Alim Aliew lebt bereits seit sechs Jahren in Lemberg und unterstützt als Ortskundiger die geflohenen Neuankömmlinge bei der Wohnungssuche, bei administrativen Angelegenheiten und mit Spendengeldern. „Von der Stadt bekommen sie nur wenig Unterstützung“, klagt Aliew. Der 25-Jährige ist selber Tatare und stammt ursprünglich aus Simferopol. Er gründete Ende Februar zusammen mit weiteren Aktivisten Crimea SOS. Die Facebook-Seite informierte zunächst bloß über die Geschehnisse auf der Krim, doch bald weitete die Initiative „Crimea SOS“ ihr Aufgabenfeld aus: Freiwillige, unter ihnen auch Aliew, schmuggelten Essen und Schutzkleidung zu den eingeschlossenen ukrainischen Soldaten auf der Krim und unterstützten Krimtataren bei der Ausreise in Richtung Westukraine.