„Das Leben hier ist weniger gefährlich, als man denkt“
Kaliningrad (n-ost) Es gibt kaum einen Deutschen, der die russische Wirtschaft so gut kennt wie Dr. Stephan Stein. Seit 1989 ist er in wechselnden Funktionen in Russland tätig. 1994 wurde mit seiner Hilfe die erste deutsche Wirtschaftsvertretung in Kaliningrad aufgebaut. Da es in der Enklave immer noch kein deutsches Konsulat gibt, gilt Stein im ehemaligen Ost-Preussen als wichtigster deutscher Repräsentant. Neben Kaliningrad leitet er auch die Delegation der Deutschen Wirtschaft in St. Petersburg. Damit steht Stein an der Spitze von gleich zwei der vier Vertretungen der deutschen Wirtschaft in Russland. Weitere Vertretungen gibt es nur in Moskau und in Nowosibirsk. Zudem ist Stein Repräsentant der Hamburger Außenhandelskammer in Kaliningrad. Die Wochenenden verbringt der verheiratete Stein trotz der Reize St. Petersburgs in seinem Haus in der Nähe von Selenogradsk (Cranz) unweit seines persönlichen Lieblingsortes, der Kurischen Nehrung.
Frage: Herr Stein, was hat sich unter Putin für deutsche Investoren in Russland geändert?
Stein: Russland zählt nunmehr unbestritten zum Kreis der Marktwirtschaften, der Körper funktioniert. Unter Putin sind die Rahmenbedingungen stabiler geworden, die Rechtssicherheit nimmt zu. Auch die Widersprüche zwischen lokalen und zentralen Institutionen haben abgenommen. Das Bild Russlands im Ausland hat sich verbessert.
Frage: Aber verdeckt die Strahlkraft Putins nicht bloß die Probleme seines Landes?
Stein: Nein. Ich glaube, das negative Bild Russlands im Ausland entspricht nicht der Realität. Das Leben hier ist weniger gefährlich, als man denkt. Ich sehe keine gravierenden Hindernisse in Russland zu investieren.
Frage: Gilt das auch für Kaliningrad?
Stein: Kaliningrad hat Spezifika, die dazu führen, dass hier weniger investiert wird, als anderswo. Die lautstarke Diskussion über die Insellage nach Erweiterung der EU um Polen und Litauen und die damit verbundenen Transitprobleme hat aber dazu geführt, dass Moskau aufgewacht ist.
Frage: Aber besteht nach der Einigung mit der EU in der Transitfrage durch Litauen nicht die Gefahr, dass auch Moskau das Gebiet wieder vergisst?
Stein: Aus Moskau und Petersburg sind umfangreiche Investitionen ins Gebiet gekommen. Anfangs war das sicher Schwarzgeld, das man sinnvoll loswerden wollte. Aber man hat darauf spekuliert, dass es dem Gebiet bald besser geht. Immerhin hat sich auch der russische Ministerpräsident Kasjanow zuletzt sehr für Kaliningrad interessiert, Putins Frau stammt von hier. Dennoch könnte das Interesse wieder nachlassen. Schlimm wäre die gleiche Gleichgültigkeit wie vor 2002. Immerhin hat man in Moskau jetzt weniger Angst vor deutschem Revanchismus. Man findet das gut, wenn mehr Investitionen in die Enklave fließen.
Frage: Wo steht Kaliningrad im innerrussischen Vergleich?
Stein: In der Rangliste sicher im ersten Drittel, vielleicht sogar im ersten Viertel der russischen Regionen. Der Grund ist die Sonderwirtschaftszone mit Steuervergünstigungen, die im Großen und Ganzen funktioniert. Moskau ist natürlich weit vorne, dann kommen Petersburg und die Leningradskaja Oblast, schließlich Nowgorod und Regionen wie Rostow-am-Don, Jekaterinburg, Nowosibirsk und eben Kaliningrad.
Frage: Spürt man in Russland etwas von der Krise der deutschen Wirtschaft?
Stein: Natürlich. Die Investitionen von kleineren und mittleren Unternehmen lassen aufgrund deren Existenzängsten nach. Hier müsste die EU mit Kredithilfen für Russlandgeschäfte mehr tun. An sich sind die Deutschen aber beispielgebend für Investitionen, nicht in Kaliningrad, aber in anderen russischen Regionen. Im übrigen wäre man in Russland froh, man hätte eine Wirtschaftskrise auf so hohem Niveau wie die Deutschen. Unsere Krise hängt auch mit dem Zerfall der Sowjetunion zusammen. Wir sind im Moment zu teuer im Vergleich etwa zu Russland und Polen.
Frage: Ein großes Hindernis für den Waren- und Besucherverkehr sind die Verhältnisse an den Grenzen. Wer besorgt sich schon gerne für viel Geld mühsam ein Visum und wartet mit seinem Auto dann zwölf Stunden in der Schlange bei der Ausreise nach Polen?
Stein: Was den Zoll angeht, haben wir noch sehr, sehr viele Wünsche und ich denke, dass er sich radikal verändern muss. Ansätze dafür sind aber vorhanden. Durch den neu eröffneten grünen Korridor am Übergang Mamonovo/Heiligenbeil, der für Fahrzeuge ohne zollpflichtige Waren gilt, bin ich zuletzt bequem ausgereist. Vielleicht hatte ich Glück? Es ist nicht so, dass man hier nicht reinkäme. Es sind die Schmuggler, die Shuttle-Trader, die die Grenzen verstopfen. Das Problem gibt es so lange, wie es Preisunterschiede zwischen Polen und Kaliningrad gibt. Es muss eine Regelung geben, dass da die Korruption aufhört und man das besser organisiert.
Frage: Die Kaliningrader Duma hat in Moskau den Antrag gestellt, den Zugang zur Enklave von russischer Seite ganz visafrei zu gestalten. Dies käme einer Revolution gleich. Wie chancenreich ist der Antrag?
Stein: Ich bin sehr dafür, dem Kaliningrader Gebiet eine Sonderregelung zu geben, und zwar von beiden Seiten. Die Idee wird schon lange diskutiert und es gab auch wichtige Leute aus der EU, die dies unterstützten. Denkbar ist es, wünschbar auch, am Ende kommen dann die Bürokraten und sagen uns, was machbar ist.
Frage: Von deutschen Investoren in der Enklave war zuletzt wenig zu hören. Woran liegt das?
Stein: Seit 1998 ist das deutsche Interesse stark rückläufig. Im vergangene Jahr wurde hier nur ein niedriger sechsstelliger Betrag investiert, das ist Taschengeld. Das schlechte Image spielt eine Rolle, der Protektionismus, gefürchtete Deutschenfeindlichkeit, schlechtes Marketing.
Frage: Kann die 750-Jahrfeier der Stadt 2005 das Interesse wieder wecken?
Stein: Im Augenblick sieht man, dass sich die russische Seite nicht auf die Nennung des Namens Königsberg verständigen kann. Ein Kompromiss in Richtung Kaliningrad-Königsberg wäre zu wünschen. Die Diskussion schreckt natürlich Leute ab. Man muss gut aufpassen, dass man nicht die nationalen Trompeten herausholt, sonst kommt keiner. Die Gefahr ist, dass man einen Wunschzettel schreibt mit Dingen, die man vom Ausland gerne möchte. So ist es in Petersburg gerade zur 300-Jahrfeier gelaufen. Festivals, junge Leute einladen, sich öffnen – das wäre der richtige Weg auch mit wenig Geld etwas zu bewegen.
Frage: Zuletzt wurde erneut der Wiederaufbau des Königsberger Schlosses diskutiert. Ist das realistisch?
Stein: Ich kenne die Pläne und das Projekt und finde es gut. Eine Art Kongressgebäude und ein Hotel mit gehobenem Standard, man braucht beides unbedingt. Auf jeden Fall kann man nur hoffen, dass irgendwann dieser Klotz (Anmerkung: Die Ruine des Hauses der Räte auf dem ehemaligen Schlossgelände) wegkommt. Jeder der vorbei fährt, kriegt das Grausen. Hier geht es um das Gesicht der Stadt und das Schloss gehörte zu Königsberg. Die Polen haben auch Burgen des Deutschen Ordens wieder aufgebaut.
Frage: Aber sind die Widerstände gerade von Seiten der Kriegsveteranen gegen alles Deutsche im ehemaligen Ost-Preussen nicht immer noch zu stark?
Stein: Man sollte da nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Anfangs heißt es, was machen denn die Deutschen hier? Dann lernt man sich kennen und dann ist alles gut. Die neuen Häuser im Stadtgebiet werden schon bewusst im Stil der alten Zeit gebaut, das hat der Stadtarchitekt zu verantworten. Der 2. Weltkrieg war ein schreckliches Beispiel für die Entwicklung beider Völker. Auf beiden Seiten gibt es einiges aufzuarbeiten. Man muss sich quasi über den Gräbern die Hand geben. Wichtig ist, dass die entscheidenden Leute, Gouverneur Jegorow und Bürgermeister Sawenko eine realistische Politik machen - und danach sieht es aus.
Frage: Was belastet hier ihre Arbeit am meisten?
Stein: 70 Jahre Kommunismus haben dazu geführt, dass die Menschen der Allgemeinheit gegenüber kein Verantwortungsgefühl entwickeln. Man guckt auf seins, das andere sieht man nicht. Ein Beispiel ist die Vermüllung der Landschaft. Und es gibt eine Verrohung des Geschäftslebens. Weil die Regeln nicht fest sind, arbeitet jeder wie ein Partisan. Dazu kommt die enge Verbindung von Politik und Wirtschaft, die zu Korruption und Intransparenz führt. Politiker nehmen sich das Privileg heraus, sich an die eigenen Gesetze nicht halten zu müssen. Das ist das schlimmste.
Frage: Was können umgekehrt deutsche Unternehmer von Russen lernen?
Stein: Flexibilität. Man versucht aus einer schwierigen Situation das bestmögliche zu machen. In vielen Fällen gelingt das auch. Ein Beispiel sind die Newcomer in der Saftproduktion oder bei anderen Konsumgütern. Die haben eine tolle Energie entwickelt. Ansonsten gibt es hier ein Verhältnis von Mensch zu Mensch, das wärmer ist, als im Westen. Das ist auch der Grund, warum es mir hier gefällt.