Russland

Grass tanzt aus der Reihe

Kaliningrad (n-ost) Einer der großen Höhepunkte des Bücherherbstes steht schon jetzt fest: Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse wird das neue Buch des Literatur-Nobelpreisträgers Günter Grass erscheinen. Der 75jährige hat sich einem, für sein Alter überraschenden Thema zugewandt, dem Tanzen. „Letzte Tänze“ heißt der Lyrikband, dessen Manuskript Grass gerade abgeschlossen hat. „Ich habe das Glück, mehrere Berufe ausüben zu können“, schildert Grass die Entstehungsgeschichte des Buches. „Nach dem bedrückenden, schweren Stoff für die Novelle ´Im Krebsgang` wollte ich unbedingt etwas Heiteres machen. Ich begann aus Ton tanzende Paare zu formen.“ Passend zu den Terrakotta-Skulpturen seien dann nach und nach noch Zeichnungen und Gedichte entstanden.
Auf einer Lesereise, die ihn von Krakau über Gdansk bis nach Kaliningrad (Königsberg) führte, testete der Nobelpreisträger bereits einige seiner Tanz-Gedichte vor großem Publikum. Grass, der nach Aussagen seiner Frau ein „guter Tänzer“ ist, erinnert sich in den Gedichten wiederum seiner Jugend in Danzig, an „Veitstänze“ in einem Lokal namens „Löwenburg“. Unter dem Titel „Früh gelernt“ beschreibt Grass, wie er als 14-jähriger „aus Mangel an Männern“ mit älteren Mädchen den „Schieber“ üben und erste Tanzerfahrung sammeln durfte: „Die richtigen Männer waren draußen im Krieg.“
Immer wieder verkehrt sich so die ursprünglich von Grass angestrebte Heiterkeit des Themas ins Gegenteil. Grass wäre nicht Grass, würde er nicht aus der Reihe tanzen und dem beschwingten Thema nicht politische Botschaften entlocken: Im Gedicht „Military Blues“ spannt er einen Bogen über die Baumwollfelder, auf denen die Sklaven, die „Nigger“ wie er schreibt, schuften müssen, bis in die irakische Wüste, in der wiederum Schwarze das schmutzige Geschäft der Weißen erledigten. Der Versuch, mit Hilfe des Militärs aus der Diskriminierung durch das weiße Amerika zu fliehen, sei grotesk gescheitert, so die Botschaft: „Jetzt aber sind uns auf allen Kanälen Generäle bekannt. Jahrgangsbeste in Westpoint. Als Schwarze bringen sie ihren Job weißer als weiß zu Ende“. Auch aus einem Gedicht über den Walzer lugt unvermittelt der Irak-Krieg hervor, wenn von „des Cowboys neuen Raketen“ die Rede ist, die über die „Mattscheibe“ fliegen: „Altes Europa...schaust Du tränenblind zu.“
„Wenn ich nach der langen Arbeit an einem Manuskript wieder auftauche, bin ich mir fremd geworden, weil ich wie eine Schlupfwespe in verschiedene Rollen schlüpfen musste“, beschreibt Grass den Erschöpfungszustand nach der Novelle „Im Krebsgang“. „Durch die Lyrik komme ich mir wieder näher.“ Das Schreiben von Prosa sei allein durch Fleiß zu bewältigen. „Lyrik aber ist auf Gelegenheiten angewiesen. Gelegenheit macht lyrische Diebe.“


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