Russland

Interview mit dem Nobelpreisträger Günter Grass

Frage: In ihrer Novelle „Im Krebsgang“ beschreiben sie den Untergang des Flüchtlingsschiffes „Wilhelm Gustloff“ durch ein sowjetisches U-Boot. Sie haben sich klar gegen das in Kaliningrad aufgestellte Denkmal für den dafür verantwortlichen U-Boot-Kommandanten Alexander Marinesko gewandt. Veteranenverbände nannten ihre Lesung hier deshalb eine „übel-riechende Provokation“. Wollten Sie provozieren?

Grass: Ich habe meinen Standpunkt: Die Literatur hat die Aufgabe, das Schreckliche des Krieges darzustellen. Ich schreibe, um den Opfern, die kein Gehör finden, eine Stimme zu geben. Ich betone, dass Marinesko seinem Befehl gehorchte und kein Kriegsverbrecher war. Es besteht aber kein Anlass bei über 4000 ertrunkenen Frauen und Kindern für irgendwelche Denkmäler Es mag sein, dass meine Meinung Empfindsamkeiten weckt. Ich glaube aber, dass viele Menschen hier für meine Sicht Verständnis haben.

Frage: Sie befinden sich in einer Stadt, in der es beinahe in jeder Straße Soldatendenkmäler gibt. Ihr Appell gegen Denkmäler für militärische Helden trifft da das Selbstverständnis.

Grass: Man muss trennen: Für mich ist etwa die Verteidigung Leningrads im Zweiten Weltkrieg durchaus eine Heldentat, die Versenkung der Gustloff ist es nicht. Interessanterweise hat ja auch die Heeresleitung der Roten Armee damals den Vorgang verschwiegen. Mit der Novelle wollte ich vor allem das Thema Vertreibung den Rechten bei uns aus den Händen nehmen, die es für sich instrumentalisieren.

Frage: In ihrer Novelle spielt das Internet bei der Verbreitung rechten Gedankengutes eine Hauptrolle. Verfolgen Sie selbst die Diskussionen über ihre Bücher im Internet?

Grass: Ich bin ein technischer Idiot, ich brauche keinen Computer und kein Internet. Für das Buch musste ich mich einarbeiten, das ist eine ziemlich dämliche Sprache. Dialekt etwa ist viel schwieriger. Die im Buch erwähnte Adresse www.blutzeuge.de habe ich vorsichtshalber durch meinen Verlag besetzen lassen. Ich selbst schreibe meine Manuskripte mit der Hand, dann tippe ich sie im Vier-Finger-System auf einer alten Olivetti ab. Ich habe das Geräusch sehr gern. Ich denke, dass junge Autoren, die mit dem Computer schreiben, sich täuschen lassen. Sie glauben, sie sparen einen Arbeitsgang, dabei vergessen sie ihn nur.

Frage: Was bedeutet es für sie als gebürtiger Danziger, gerade ins ehemalige Königsberg zu kommen?

Grass: Das ist der Schlusspunkt einer Reise die über Krakau und Gdansk ging. Natürlich war ich neugierig hierher zu kommen. Als 7-jähriges Kind hat mich mein Onkel auf eine Schiffsreise mitgenommen, über verschiedene Kanäle und das Haff ging es nach Pillau. In Königsberg aber bin ich nie gewesen.

Frage: Sie haben die Stadt auf einem Rundgang gesehen und unter anderem das Kant-Grabmal und den Dom besucht. Welchen Eindruck haben Sie?

Grass: Mir ist deutlich geworden, welche große Leistung die Polen vollbracht haben, dass sie Danzig wieder aufgebaut haben. Das ist hier nicht gemacht worden, jetzt kann man von Königsberg nicht mehr viel sehen. Im Gespräch mit den jungen Leuten habe ich aber ein ganz starkes Interesse für die alte Geschichte gespürt und für die Geistesgrößen und Kultur, die Königsberg hervorgebracht hat.

Frage: Sie haben hier die heftigen Auseinandersetzungen um den 750. Geburtstags Königsbergs im Jahre 2005 angesprochen und appelliert, das Jubiläum zu feiern und den Namen Königsberg nicht wie geplant zu verschweigen. Welche Reaktionen gab es?

Grass: Die Reaktionen waren unterschiedlich. Um etwas konstruktives beizutragen, habe ich den Vorschlag gemacht, hier zum Jubiläum eine Lovis-Corinth-Ausstellung zu machen, der ja in der Nähe in Tapiau geboren wurde. Das würde der Stadt sehr gut tun. Wie positiv das ist, wenn man sich der Geschichte stellt, hat man doch in Danzig gesehen.

Frage: Sie warnen immer vor der Gefahr, dass sich die EU abschottet, zu einer Wohlstandsfestung wird. Wie sehen Sie die Zukunft Kaliningrads, das ja nach dem Beitritt Polens und Litauens ganz von der EU umschlossen sein wird?

Grass: Man muss sich mit Recht Sorgen machen, wie es hier weiter geht. Man kann nur hoffen, dass die Kommission in Brüssel und die russische Regierung eine Lösung finden. Ich könnte mir ein Assoziationsabkommen Kaliningrads mit der EU vorstellen.

Frage: An der Kaliningrader Uni haben Sie sich in klaren Worten für die Aufarbeitung der Verbrechen des Stalinismus ausgesprochen. Am Freitag haben Sie dann an der Ostsee einen Gedenkstein zu Ehren von Thomas Mann enthüllt, für den man ausgerechnet ein Zitat des DDR-Dichters Johannes R. Becher ausgewählt hat. Ein Affront?

Grass: Wieso? Wenn es ein gutes Zitat ist, warum nicht. Becher ist für mich keine Unperson. Becher hat auch zu DDR-Zeiten versucht, gegen die Verkrustungen des Regimes anzugehen, wenn auch ohne sonderlichen Erfolg.

Frage: An welchem Projekt arbeiten Sie gerade?

Grass: Nach dem bedrückenden Stoff zur Novelle „Im Krebsgang“ wollte ich etwas heiteres machen. Ich fing deshalb an, aus Ton tanzende Paare zu formen. Im weiteren Verlauf sind dazu Zeichnungen, Skulpturen, Lithographien und Gedichte entstanden. Das Manuskript habe ich gerade abgeschlossen. Alles wird im Herbst unter dem Titel „Letzte Tänze“ erscheinen.


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