Interview mit Nadeschda Tolokonnikowa
Mit freundlicher Genehmigung von slon.ru. Hier hören Sie auch den Original-Mitschnitt des Gesprächs (in russischer Sprache).
Nadja, wie geht es dir?
Ich habe Gliederschmerzen, Schwindel, Kopfschmerzen, wie bei einer Vergiftung. Tatsächlich kommt das durch den Hungerstreik, aber angesichts der Umstände im Straflager IK14 ist das verhältnismäßig leicht zu ertragen. Es gibt so viele psychische Probleme, dass die physischen einen schon nicht mehr so quälen.
Nachdem Pussy-Riot-Mitglied Nadeschda Tolokonnikowa am Montag, 23. September, in einem offenen Brief auf die menschenunwürdigen Haftbedingungen im Straflager IK14 hingewiesen und einen Hungerstreik angekündigt hatte, wurde sie in eine Einzelzelle verlegt. Am Mittwoch inspizierten zudem Mitglieder des von Putin eingesetzten föderalen Menschenrechtsrats das Straflager. Am Freitag informierte Petr Versilov via Twitter, dass seine Ehefrau Nadeschda Tolokonnikowa aus der Einzelhaft ins Krankenhaus des Straflagers verlegt wurde.
Bist du jetzt wirklich in einer Einzelzelle?
Ich befinde mich in einer Einzelzelle. An die haben sie kurz vor dem Besuch der Kommission, wie das witziger Weise immer so ist, ein Schildchen angebracht mit der Aufschrift: „Bereitstellung eines sicheren Ortes“. Eigentlich unterscheidet sich der Raum von einer Einzelzelle nur darin, dass ich hier persönliche Dinge bei mir haben darf und sie nach meinen zahlreichen Beschwerden über die Kälte eine Heizung aufgestellt haben.
Hat sich im Straflager etwas geändert, nachdem die Menschenrechtsbeauftragten der russischen Regierung da waren?
Wie es im Straflager ist, kann ich nicht sagen. Man hat mich in der Einzelzelle isoliert, damit ich die Zustände im Straflager nicht kontrollieren kann. In meiner jetzigen Lage kann ich das, was ich mittels Hungerstreik erreichen will, nicht überprüfen. Mein Kontakt zu den Häftlingen ist komplett abgeschnitten. Alles was ich weiß ist, dass man sie auf den Besuch der Kommission vorbereitet, um alle Mängel und Unzulänglichkeiten zu beseitigen. Aber soweit ich weiß, unterstützen mich die meisten Häftlinge. Sie hoffen jedenfalls, dass sich etwas ändert, obwohl man nach meiner Erfahrung mit der Gefängnisverwaltung daran kaum glauben kann.
Du wirst in sechs Monaten entlassen, und dann schreibst du diesen Brief. Wurde es wirklich so unerträglich oder willst du denen helfen, die noch bleiben müssen?
Es geht mir um die Anderen. Mir ist klar: noch sechs Monate und ich gehe. Aber diese Leute bleiben hier und ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich nicht wenigstens probiert hätte, irgendetwas zu ändern. Ich kann nicht garantieren, dass sich etwas zum Besseren wendet, aber ich musste es versuchen.
Wurdest du während des Hungerstreiks von einem Arzt untersucht?
Mich hat heute [Donnerstag, 25.9.] ein Arzt untersucht und gesagt, dass mein Blutzucker bei 2,2 liegt. Soweit ich weiß, ist das ein ziemlich niedriger Wert. Sonst hat er nichts Interessantes gesagt. Aber ich will dir von einer seltsamen Begebenheit erzählen, die heute passiert ist, und die mich ehrlich gesagt schockiert hat. Heute [Donnerstag] Abend hat die Administration mir gegenüber erstmals Gewalt angewendet. (...) Der diensthabende Inspektor kam zu mir und verlangte, ihm das Wasser auszuhändigen. Wie du weißt, darf ich während des Hungerstreiks Wasser trinken. (...) Ich bat ihn darum, mir die Bestimmung zu zeigen, auf deren Grundlage er mir das Wasser wegnimmt. Als Antwort darauf hat er angefangen, mir das Wasser gewaltsam zu entwinden: er packte mich an Armen und Beinen, hat mich weggeschleppt. (...) Ich hab versucht, ihnen klarzumachen, dass das nicht legal ist, (...). Trotzdem haben sie damit weitergemacht, bis das ganze Wasser, das ich im Zimmer hatte, beschlagnahmt war.
Ilja Schablinski vom föderalen Menschenrechtsrat [s. Kasten], hat heute morgen gesagt, dass ihm im Straflager neue Sanitäranlagen gezeigt wurden, aber er hat große Vorbehalte, dass dies speziell für den Besuch der Kommission vorbereitet wurde.
Es gibt Einheiten, die über neue Sanitäranlagen verfügen, deswegen fällt es ihnen nicht schwer, die Menschenrechtler dorthin zu bringen. In meiner Einheit verstopft regelmäßig die Kanalisation, so dass, Entschuldigung, die Scheiße überläuft. In meiner Einheit gibt es keine neuen Anlagen. Wenn die Häftlinge keine Angst vor Repressalien hätten, dann würden sie genau das auch sagen.
Wie kann man all dies beheben? Sind die Leute das Problem oder liegt es am System?
Ich denke, es kann nur eine zentrale Lösung geben, die direkt von Moskau ausgeht. Denn ohne eine starken politischen Willen ist dem nicht beizukommen. Viele einzelne, große oder kleine Änderungen sind zwar möglich, aber dass diese wieder zurückgenommen werden, ist ohne große politische Anstrengung leider unausweichlich.
Wenn Putin also etwas über die Humanisierung des Strafvollzugs sagen würde...
Solange man Putin nicht absetzt, ändert sich nichts. Es ist in seinem Interesse, dass das System so strafintensiv wie möglich ist.
Aber selbst wenn man ihn absetzt, bleiben in den Straflagern nicht die gleichen Aufseher-Stalinisten?
Wenn man ihn absetzt, gibt es riesengroße Entwicklungsmöglichkeiten. Ich denke, wenn wir das alles in unsere Hände nehmen, können wir das System auf die richtige Art und Weise reformieren.
Aus dem Russischen von Tamina Kutscher, n-ost