Russland

Wiederauferstehung des Königsberger Schlosses

Kaliningrad (n-ost) Gibt es ein Leben nach dem Tod? Für das Königsberger
Schloss gilt dies auf alle Fälle. 1257 vom Deutschen Orden begründet und im
Jahre 1969 von Kommunisten trotz heftiger Proteste einheimischer Architekten gesprengt, ist es im Bewusstsein der russischen Bevölkerung lebendiger als jedes andere im heutigen Kaliningrad existierende Gebäude – lebendiger noch als der frisch rekonstruierte Königsberger Dom. Und durch die ZDF-Dokumentation "Das Bernsteinzimmer", kehrt das versunkene Schloss urplötzlich in das Bewusstsein auch der Deutschen Bevölkerung zurück. Nicht genug damit: Der Entwurf eines Kaliningrader Architekten lässt sogar an eine Wiederauferstehung glauben.

Alte Aufnahmen des Schlosses zieren russische Kalender und Telefonkarten,
hängen in Kaliningrader Cafés, grüßen von überdimensionalen Plakatwänden herab. Das Schloss ist im Kaliningrader Gebiet zum Mythos geworden, zu einem modernen Atlantis. Ein untergegangener Idealort, der sich vom schweren Alltag in der russischen Ostsee-Enklave so wunderbar abhebt. Gut genug, um einen neuen Wodka („Samok“) nach ihm zu benennen. Zum Mythos passt, dass in einem Teil der noch existenten Fundamente der „Spiegel“ derzeit nach Spuren des Bernsteinzimmers graben lässt, das von deutschen Soldaten 1941 aus dem Zarenschloss bei St. Petersburg geraubt und zuletzt im Sommer 1944 im Königsberger Schloss ausgestellt worden war. Auch nach Erkenntnissen des ZDF-Zeithistorikers Guido Knopp sprechen die "stichhaltigsten Indizien" dafür, dass das Bernsteinzimmer bis heute in den gewaltigen, unerforschten Grundmauern schlummert. Nachweisbar zerstört sei nur ein Teil, des einst in 27 Kisten verpackten Juwels. In Kaliningrader Erzählungen wimmelt es nur so von unentdeckten Geheimgängen und versiegelten Verliesen.

Beinahe jedes Kind in Kaliningrad weiß, wo sich das Schloss der preußischen
Könige befand: unweit des Flusses Pregel im Herzen der Stadt, auf einer bis
heute unwirtlichen Ebene. Dahinter ragt ein Betonkoloss, das nie fertig
gestellte Haus der Räte („Dom Sowjetow“), 17 Stockwerke weit in den Himmel. Mit dem Schloss sollte nach kommunistischer Lesart eigentlich die Wurzel des deutsch-preussischen Hegemoniestrebens beseitigt werden. Heute gilt umgekehrt das Haus der Räte als gigantischer fauler Zahn im Gesicht der Stadt, das Schloss dagegen, in dem es einen nach russischen Gesandten benannten Moskowiter Saal gab und in dem Zar Peter der Große einige Wochen logierte, wird mehr und mehr als gemeinsames, kulturelles Erbe erkannt.
Dass die gegenwärtige Ödnis im Herzen der Stadt nicht von Dauer sein kann,
ist allen klar. Doch die hiesige Verwaltung meidet das Thema. So war es im
vergangenen Sommer ausgerechnet der Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow, der die Debatte anheizte. Falls der Wunsch geäußert werde, könne Moskau den
Wiederaufbau des Schlosses in Angriff nehmen oder zumindest die Bauruine des Rätehauses abreißen, bot Luschkow bei seinem Kaliningrad-Besuch an. Luschkow ist der Mann, der in den 90er Jahren Milliarden von Rubel für den erfolgreichen Wiederaufbau der Moskauer Erlöserkathedrale zusammentrieb, die einst von Stalin geschleift worden war. Der Vorstoß kommt nicht aus dem Blauen heraus: Seit Luschkow sich im Süd-Osten des Kaliningrader Gebietes ein großes ehemaliges deutsches Gestüt zugelegt hat und sich immer mehr Moskowiter in den Badeorten an der Ostsee einkaufen, wächst in der Hauptstadt das Interesse an der Entwicklung Kaliningrads.
Nun ist weiterer Schwung in die Wiederaufbaudebatte gekommen. Vor kurzem
präsentierte der bekannte Kaliningrader Architekt Igor Schelepow den Lesern der auflagenstärksten Wochenzeitung Russlands, „Komsomolzkaja Prawda“, auf einer Sonderseite den Entwurf für die Rekonstuktion des Schlosses, der im vergangenen Herbst auf der Architekturausstellung in Leipzig „Denkmal 2002“ mit einer Goldmedaille ausgezeichnet worden war.
Schelepows Entwurf sieht einen Wiederaufbau der Westfassade inklusive des 87 Meter hohen, charakteristischen Hauptturmes und zweier kleinerer
Arsenal-Türme vor. Im Inneren ist an die Nachbildung der Schlosskirche und des Moskowiter-Saales gedacht. Des weiteren soll der Komplex ein dringend benötigtes Kongresszentrum für die regionale Wirtschaft der Enklave namens „Euroforum“ enthalten, mit Sälen für 3000 und 1000 Besucher, sowie ein großes Hotel und ein Ladenpassage. Für das Haus der Räte hat sich Schelepow etwas besonderes ausgedacht: „Dieses Gebäude muss man verkleinern, verkleiden und in den Neubau integrieren.“ Am Ende könne es vielleicht als „VIP-Hotel“ dienen.
Die Gesamtkosten schätzt Schelepow auf 880 Millionen Dollar. Diese sollen
nach seinen Vorstellungen zum Teil von russischen Konzernen, wie die im
Kaliningrader Gebiet sehr engagierte, schwerreiche Firma Luk-Oil, aufgebracht werden. Für die Rekonstruktion der Fassaden will der Architekt auch die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit begeistern. Der größte Hoffnungsanker des Architekten ist aber die 750-Jahrfeier der Stadt 2005. „Es wäre dumm, wenn alle Mittel für das Jubiläum für Konzerte und Postkarten ausgegeben würden“, spekuliert Schelepow auf Geld aus Moskau. Das Schloss solle als Symbol für die Brückenfunktion Kaliningrads zwischen West und Ost wieder aufgebaut werden.
Als Hauptgrund für die hohen Wiederaufbaukosten nennt Schelepow die
aufwändige Sicherung der noch vorhandenen Fundamente. Aber vielleicht liegt gerade hier auch eine Chance, mit der Aussicht auf die Entdeckung alter Kulturgüter Investoren anzulocken. Das Bernsteinzimmer wird immerhin auf einen Wert von mindestens 125 Millionen Dollar geschätzt.
Wer sich mit jüngeren Kaliningradern unterhält, spürt zwar viel Sympathie
für das Projekt, stößt aber nicht nur aufgrund der hohen Kosten auf Skepsis. „Das werden unsere Veteranen niemals erlauben“, glaubt der Student Aleksander Gnatenko. In der Tat reagierten die einflussreichen Veteranen-Verbände der Stadt zuletzt wieder sehr dünnhäutig, auf alles, was mit deutscher Geschichte zusammenhängt. So wurde jüngst der Bau eines deutschen Soldatenfriedhofs in Kaliningrad nach wütenden Protesten kurz vor Fertigstellung gestoppt.


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