Georgien

Annäherungsversuch an die Liebe

ostpol: Herr Theisen, für Ihr Buch „Liebe in Zeiten der Cola“ waren Sie ein halbes Jahr als Weltreisender unterwegs auf der Suche nach den „verrücktesten Liebesritualen“, wie es im Untertitel heißt. Was hat sie an denen denn so interessiert?

Peter Theisen: Ach, das Thema war naheliegend. Mit 44 Jahren hatte ich noch keine Partnerin gefunden und wollte wissen: Wie ist das denn in anderen Kulturen? Finde ich da einen Schlüssel für mein eigenes Leben? Im Ethnologiestudium hatte ich mich bereits mit Heiratsmustern beschäftigt. Das Buchprojekt führte also meine zwei großen Glücksfantasien zusammen: das Reisen und die Liebe.

Sie bereisen Sansibar, Sumatra, die Südsee, Kolumbien – und als einziges europäisches Land auch Georgien. Weshalb ausgerechnet Georgien?

Theisen: Georgien war ein Land, in das ich schon immer reisen wollte. Als Schnittstelle zwischen Europa und Asien fand ich es einen guten Punkt, um meine Reise dort anzufangen. Dann habe ich in Berlin zwei Georgierinnen kennengelernt, die mir von einer Jungfräulichkeitswiederherstellungsklinik und vom Brautraub in Swanetien erzählten. Das klang so archaisch, nur zwei, drei Flugstunden von Berlin entfernt – ich dachte, dem muss ich nachgehen.

Peter Theißen in einer Georgischen Tracht.
Peter Theisen in einer georgischen Tracht.

Brautraub und Jungfräulichkeitsklinik klingt tatsächlich erstmal ziemlich exotisch. Hatten Sie keine Angst, in die Klischeefalle zu tappen?

Theisen: In Georgien war ich insgesamt nur zwei Wochen unterwegs und versuchte schnell, einen hoffentlich nicht ganz oberflächlichen Blick zu bekommen. Dabei hat mir meine Dolmetscherin Salome geholfen, über die ich im Buch auch schreibe. Sie ist sowohl in Mitteleuropa, in Luxemburg, als auch in Georgien zuhause und half mir dabei, gewisse Dinge einzuordnen. Sie ist auch mit mir in die Berge nach Swanetien gefahren und konnte mir dort viele Türen öffnen. Jede zweite alte Frau dort war ein Brautraubopfer.

Sehen sich diese Frauen denn wirklich als Opfer?

Theisen: Ja, auf jeden Fall. Das hat mich auch erstaunt. Viele von ihnen waren noch sehr jung, um die 14 Jahre alt, als sie von ihrem späteren Ehemann entführt wurden. Sie sagen, dass sie keine Kindheit und keine Jugend hatten. In der georgischen Hauptstadt Tiflis gibt es diesen Brauch allerdings seltener, in Swanetien kommt dieser Brauch heute noch vor, die Zahl nimmt aber auch dort Gottseidank ab.

Sie beschreiben auch eine starke Orientierung an der Kirche, gerade bei jungen Menschen.

Theisen: Der Patriarch in Georgien hat hunderttausende Facebook-Anhänger. Das verwundert, denn bei uns hat es ja kaum noch Einfluss auf das Liebesleben der Einzelnen, wenn der Papst z.B. etwas zur Sexualmoral sagt. Doch gerade die jungen Leute in Georgien beachten zunehmend wieder kirchliche Regeln. Mehr als die älteren, die noch von der atheistischen Sowjetunion geprägt sind.

Woher kommt das?

Theisen: Die georgisch-orthodoxe Kirche gibt sicherlich vielen einen Halt. Sie spielt mit ihrer Jahrhunderte alten Geschichte außerdem eine große Rolle in der nationalen Identität dieses Staates.

Am Ende Ihres Buches üben Sie Kritik an den westlichen Gesellschaften: Liebe scheint „in Zeiten der Cola“ auch am kapitalistischen Gewinnstreben zu scheitern.

Theisen: Das ist zumindest meine Beobachtung: Im Westen entwickeln sich die Menschen immer mehr zu Individualisten und streben sehr nach materiellen Werten. Gerade in den islamisch geprägten Ländern meiner Reise habe ich gemerkt, dass die Religion dort stabilisierend wirkt, alte Riten und Strukturen werden viel eher bewahrt.

Ist am Ende die Religion der Schlüssel zur Liebe?

Theisen: (lacht) Einen Schlüssel habe ich leider nicht gefunden. Überhaupt habe ich nach der Reise viel mehr Fragen als vorher – und eine noch größere Demut vor der Liebe.

Einen Auszug aus „Liebe in Zeiten der Cola“ finden Sie hier


Weitere Artikel