Serbien

„Wir machen antinationalistische Propaganda“

ostpol: Herr Zivanovic, Sie sind Mitherausgeber von BETON, das als Beilage der Belgrader Tageszeitung Danas alle zwei Wochen erscheint. Sie nennen Ihr Feuilleton-Magazin ein „kulturpropagandistisches Paket“. Was für eine Art Propaganda betreiben Sie?

Milos Zivanovic: Dieser Titel ist ironisch, auch selbstironisch. Er spielt auf die linke „Propaganda“-Praxis von früher an und gehört zu dem Spiel mit alten Mythen und alter Sprache. Davon abgesehen: Was wir machen, ist anti-nationalistische Propaganda.

Was heißt das?

Zivanovic: BETON konzentriert sich auf die spezielle Verbindung zwischen Politik und Ideologie auf der einen, und Kultur, vor allem Literatur, auf der anderen Seite. Wir veröffentlichen kritische und satirische Texte, die sich mit der nationalistischen Vergangenheit auseinandersetzen, ihren Ursprüngen und ihren Folgen. Im Juni 2006 haben Saša Ilić, Tomislav Marković und ich BETON gegründet, weil wir nirgends die Möglichkeit hatten, solche Inhalte zu veröffentlichen. Das sind die antinationalistischen Ursprünge von BETON. Dieses Konzept haben Organisationen und Individuen weiterentwickelt, wie The Writers Forum, das Online-Portal und die Radiosendung Peščanik, der Verlag Fabrika knjiga und viele mehr. BETON besteht also aus all den Menschen, die dafür schreiben, und diese kommen aus der gesamten Region...


BETON in Leipzig 2014

BETON International: Das Attentat von Sarajevo und seine Folgen
für die Welt und für die Literatur.

Teil I

13. März 2014 l 15:00 – 16:00

Mitwirkende: Ivana Bodrozic, Ivana Sajko, Andrej Nikolaidis, Sasa Ilic

Moderation: Tamina Kutscher

Übersetzung: Mascha Dabic

Ort: Traduki-Südosteuropa-Forum, Halle 4, D507

BETON International: Das Attentat von Sarajevo und seine Folgen
für die Welt und für die Literatur.

Teil II

15. März 2014 l 13:00 – 14:30

Mitwirkende: Selvedin Avdic, György Spiro, Davor Koric, Sasa Ilic, Ivana Bodrozic, Alida Bremer

Moderation: Doris Akrap

Übersetzung: Alida Bremer

Ort: Traduki-Südosteuropa-Forum, Halle 4, D507


…wie auch die Leser.

Zivanovic: Ja, auch unsere Leser sind über den ganzen Balkan verteilt, und, die serbischen Emigranten eingeschlossen, sogar auf der ganzen Welt. Es gibt eine starke Tendenz, so etwas wie einen gemeinsamen kulturellen Raum zwischen den ex-jugoslawischen Staaten herzustellen, oder wiederherzustellen, mit allem Respekt für die offensichtlichen Unterschiede. BETON hat sehr gute Beziehungen und Kooperationen mit sämtlichen ex-jugoslawischen Ländern, vor allem mit Kroatien und Kosovo. Mein Verleger, zum Beispiel, sitzt in Zagreb.

Sie sprachen von einer „speziellen Verbindung zwischen Kultur und Ideologie“. Was genau meinen Sie damit?

Zivanovic: Das ganze serbische nationalistische Projekt in den 1990-er Jahren begann in der Kultur. Man kann sagen, in der Literatur wurde alles vorbereitet, was danach kam. Die Hauptthese war: Serbien ist in Gefahr. Das ist der spezifische Diskurs des Memorandums der Serbischen Akademie der Wissenschaft und Künste von 1995. Dieses Memorandum war schon seit 1986 in Umlauf, wurde auch in der Zeitung „Večernje novosti“ abgedruckt.

Und was steht da drin?

Zivanovic: Die Botschaft ist: „Wir sind in Gefahr in allen Bereichen, Kultur, Sprache, Literatur mit eingeschlossen, wir haben es nur nicht rechtzeitig bemerkt. Wir waren durch den Kommunismus mit Blindheit geschlagen, jetzt müssen wir wieder auferstehen und die serbische Nation mit all ihren Tugenden wiederbeleben.“ Dieses Dokument liest sich wie das Programm des serbischen Nationalismus. Im Geist dieses Memorandums wurde viel Literatur produziert und propagiert.

Auch heute noch?

Zivanovic: Heute ist diese Ideologie nicht mehr in diesem Grad präsent. Aber sie ist immer noch da. Das Echo der „bedrohten Nation“ kann man im Alltag spüren, unter ganz normalen Menschen. Wir erleben heute, wie der rechte Flügel wieder erstarkt, angeführt von meist sehr jungen Leuten, die nach dem Jahr 2000 noch im Geist der Nation oder im Geist der generellen Relativierung der 1990-er Jahre erzogen wurden – aber natürlich mit den „Gründungsvätern“ im Hintergrund.

Geht es noch immer um eine „Nation in Gefahr“?

Zivanovic: Der Hauptdiskurs ist das heute nicht mehr. Der Hauptdiskurs heute ist: Leugnen. Wenn du über die „Nation in Gefahr“ schreibst, dann wird das nicht als ideologisch angesehen, sondern als etwas ganz Natürliches. Wenn du aber über all die Folgen der nationalistischen Politik sprichst, dann heißt es, du würdest die Literatur mit Politik vergiften.

In der deutschsprachigen Ausgabe von BETON, die seit 2010 zur Leipziger Buchmesse erscheint, schreibt Tomislav Marković diesmal die absurden „Fälle“ des russischen Schriftstellers Daniil Charms (1905-1942) fort. Generell setzen sich BETON-Autoren kritisch mit der serbischen Politik und Gesellschaft auseinander. Benutzen Sie das Schreiben als Waffe? Und wofür kämpfen Sie?

Zivanovic: Ja, die BETON-Autoren versuchen, sich mit Politik und Gesellschaft auseinanderzusetzen. Aber ich würde nicht sagen, dass wir Literatur in irgendeiner Art und Weise „benutzen“. Kultur wurde schon ausreichend benutzt. Und genau in diese Wunde legen wir den Finger. Wofür kämpfen wir? Ums Überleben, für Wahrheit und gesunden Menschenverstand, würde ich sagen. Und für das Recht, eigene „(po)ethics“, eine eigene Poesie und Ethik, zu haben, diese zu propagieren und dafür nicht bestraft und ignoriert zu werden.

In seinem Text „Wie wir zu Terroristen wurden“ beschreibt Saša Ćirić die öffentliche Kriminalisierung von Schriftstellern in Serbien. Der renommierte Leiter der serbischen Nationalbibliothek Sreten Ugričić wurde im Januar 2012 entlassen, weil er einen Schriftsteller-Kollegen vor Diffamierungen in Schutz genommen hatte. Wie beeinflusst diese Affäre die serbische Literaturszene?

Zivanovic: Diese Affäre wurde aus speziellem politischem Kalkül provoziert, sie ist heute fast vergessen. Die Folge aber ist, dass manche Leute geächtet und wie Feinde behandelt werden, und wir alle werden als Extremisten angesehen. Und die Nationalbibliothek ist heute ein sehr seltsamer Ort. Nur die, die während der Affäre schön die Klappe hielten, gelten als gute Schriftsteller und nette Menschen.

In Ihren eigenen Gedichten zitieren Sie Gil Scott-Heron, dieser Soul-Legende ist das Gedicht auch gewidmet. Ein anderes widmen Sie „Fadil, dem Übersetzer“, der Ihre Verse ins Albanische übertragen hat. Nichts von einer „Nation in Gefahr“. Was macht serbische Literatur oder Lyrik für Sie aus?

Zivanovic: Ich suche mir meine kulturellen Ursprünge selbst, ohne auf die Folgen zu achten. Gil Scott und Fadil Bajraj sind Figuren dieser Ursprünge. Ich bin nicht bereit, Begrenzungen oder Bestimmungen ethnischer oder anderer Art zu akzeptieren. Und ich hab diese ganzen Anti-Globalismen satt. Es geht um die ganze Welt, oder es geht um gar nichts. Obwohl es sehr amüsant ist, zuzuschauen, wie die Barbaren verrückt werden, weil Rom zusammenbricht.

Mehr von und über BETON lesen Sie im n-ost-Länderspezial Serbien.


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