Bulgarien

Glücksbringer aus Wolle läuten den Frühling ein

Die morgendliche Kälte kann Swetlana Getowa nichts anhaben. In dick gefütterten Stiefeln stampft die Mittfünfzigerin von einem Fuß auf den anderen. Sie stoppt nur, wenn ein Schwarm junger Leute um die Ecke biegt.

Es ist der 1. März. Die Sonne leckt in Bulgariens Hauptstadt Sofia bei vier Grad Plus die Schneelachen vom zerlöcherten Asphalt. Swetlana Getowa hat an einer Bushaltestelle im Studentenviertel Studentskigrad einen kleinen Tisch aufgebaut. Dort verkauft sie Martenizi - kleine Armbänder und Püppchen aus roter und weißer Wolle - für umgerechnet 50 Cent pro Stück.


Tausende Bändchen baumelnl an den Sträuchern

Marteniza bedeutet „Märzchen“. Am ersten Tag im März verschenken Jungen und Mädchen, Alt und Jung diesen Glücksbringer an gute Bekannte. Er soll Gesundheit und Liebe bringen und den Winter vertreiben. Die Beschenkten tragen das Bändchen meist ums Handgelenk, oft sammeln sie die Bänder dort gleich dutzendfach. Sobald der erste Baum in Blüte steht, binden sie ihre Wollschnüre am Ast fest. Spätestens Mitte März baumeln dann in ganz Bulgarien tausende Bänder an Bäumen und Sträuchern.

Für Swetlana Getowa ist der erste Märztag Höhepunkt vieler arbeitsreicher Wochen. Die rüstige Arbeitslose hat seit Weihnachten in ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung Marteniza um Marteniza gebastelt. Zum Schluss haben sogar ihre Enkel geholfen. Zu viert haben sie die Wollfäden sortiert, gedreht, geflochten und verknotet, verpackt und sie dann vorsichtig in die große Plastiktasche sortiert, die nun unter ihrem Tischchen auf der Straße steht.

Von dort holt sie an diesem Morgen Nachschub, wenn wieder ein paar Studenten Halt machen und nach den letzten passenden Geschenken suchen. So, wie die brünette 21-Jährige aus Plowdiw, die auch Swetlana heißt und Biologielehrerin werden will. „Mir macht es riesigen Spaß. Heute bekommt jeder eine Marteniza, der mir über den Weg läuft“, lacht sie. Aber: „Die Bänder für meine Freundinnen habe ich schon in der vergangenen Woche gekauft.“ An Swetlana Getowas Stand kommt sie nicht vorbei, ohne fünf der bunten Kordeln mitzunehmen. „Für Leute, die mir heute zufällig begegnen. Man weiß ja nie“, schiebt sie augenzwinkernd hinterher.


Ein 800 Jahre alter Brauch

Das Alter der bisher ältesten Marteniza datieren Archäologen auf 800 Jahre. Ethnographen vermuten, dass der Brauch von den indogermanischen Thrakern stammt, die in der Antike auf dem Balkan lebten. Dass die weiß-roten Bänder Glück bringen, weiß man auch in Rumänien, Albanien und im Norden von Griechenland. Auch dort werden die kleinen Amulette eifrig weitergegeben und selbst Fremde werden mit einem Talisman behängt, wenn sie pünktlich zum Frühjahrsbeginn auf dem Balkan landen.

Da die Tradition ungebrochen ist, verdient nicht nur Swetlana Getowa jedes Frühjahr zwei Monatsmieten dazu. Mittlerweile profitiert eine ganze Industrie vom Trubel um die Märzchen. Denn neben den hausgemachten Kordeln aus Swetlanas Wohnzimmer gibt es Schmuckstücke aus echtem Gold oder knallige Schlüsselanhänger aus Plastik, Kettchen, Haarreifen und Amulette im Marteniza-Stil. Je nach Geldbeutel findet sich für jeden Geschmack ein passendes Utensil. Und natürlich ist alles auch schnell und leicht im Online-Shop zu bestellen.

Auch Swetlana musste ihr Geschäft schon der veränderten Nachfrage anpassen. Ihre in eine Marteniza eingenähten getrockneten Knoblauchzehen wird sie schon seit Jahren nicht mehr los. „Die verschicke ich nur noch an meine Cousine in Gabra.“ Dort, in dem bergigen 350-Seelen-Ort, eine Autostunde von Sofia entfernt, hilft die Stinkeknolle noch gegen böse Geister, Schneegestöber und Hagelschauer.


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