Russland

Putin auf der Zielgeraden

Wenige Tage vor der russischen Präsidentenwahl am kommenden Sonntag, 4. März, zweifeln auch die Gegner Wladimir Putins nicht mehr an seinem Sieg: Alle Umfragen prognostizieren ihm mehr als 50 Prozent der Stimmen. Jene Russen, die in den vergangenen Monaten demonstriert haben, bereiten sich auf die nächsten sechs Jahre unter Präsident Putin vor. Und sie planen schon die nächste Großdemonstration – für den Tag nach der Wahl.

Gerade erst haben die Russen die Nachricht über ein vom Geheimdienst vereiteltes Attentat auf ihn verdaut, da zieht Wladimir Putin am Dienstag, wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl, seinen nächsten Joker. „Am heutigen Tag hat Präsident Dmitri Medwedjew das Rücktrittsgesuch des Gouverneurs von Primorje, Sergej Darkin, angenommen“, erfahren die Fernsehzuschauer in den Nachrichten des Staatsfernsehens. Darkin ist ein „Bauernopfer“ zur rechten Zeit: Über zehn Jahre hatte er die Geschicke der Region im fernen Osten des Landes gelenkt – und galt als einer der unbeliebtesten und korruptesten Gouverneure. Die Botschaft an alle: Jetzt greift Putin durch. Dass Medwedjew den Rücktritt unterschreibt, ist nur eine Formalie.

Wladimir Putin ist in seinem Element – und biegt auf die Zielgerade ein. Die Umfragen staatsnaher und unabhängiger Institute sagen ihm für diesen Sonntag einen sicheren Sieg voraus: Zwischen 50 und 66 Prozent hätten für ihn gestimmt, wären die Wahlen am vergangenen Sonntag abgehalten worden.

Unter jenen, die in den vergangenen Monaten zu Zehntausenden gegen Putin demonstriert hatten, die zumindest auf einen zweiten Wahlgang gehofft hatten, macht sich derweil Katerstimmung breit. „Man muss die Dinge realistisch sehen: Putin wird wieder Präsident“, sagt etwa der 26-jährige Alexej Ignatow aus der Stadt Wladimir, rund 190 km östlich von Moskau.

Ignatow, Programmierer von Beruf, war einer von denen, die durch die Fälschungen bei den Duma-Wahlen im Dezember politisiert wurden: Er rief auf Demonstrationen nach fairen Wahlen, agitierte im Internet, ließ sich zuletzt zum Wahlbeobachter ausbilden. Am Sonntag wird er als Beobachter zu entlegenen Wahllokalen fahren, wo die Fälschungen seiner Meinung nach im Dezember besonders schwerwiegend waren. Aber Alexej Ignatow glaubt sogar, dass der Urnengang dieses Mal ehrlich verlaufen wird – und Putin in der ersten Runde gewinnt: „Die Wahlgeschenke der Regierung an jene, die vom staatlichen Budget abhängig sind, sichern Putin den Sieg.“

Es sind die Wahlgeschenke, es ist die Kampfeslust von Putin, es ist eine schlaue politische Strategie, aber auch die mediale Unterstützung der staatsnahen Medien, die Putins Umfragewerte seit den Parlamentswahlen Anfang Dezember stetig steigen lassen.

Putin macht den Anschein, als spornten ihn die gegen ihn gerichteten Demonstrationen noch einmal an, es allen zu zeigen. Seine öffentlichen Auftritte, zuletzt auf der von mehr als 100.000 Unterstützern besuchten Demonstration im Moskauer Luschniki-Stadion, zeigen einen kampfeslustigen, energiegeladenen Premier, der nach bewährter Manier die Russen warnt vor den westlichen Kräften „hinter dem Hügel“, die das Land destabilisieren wollten.

Gleichzeitig taucht in Putins Wahlkampf die Partei „Einiges Russland“ überhaupt nicht mehr auf: Die Kreml-Partei, auf die sich nach den Parlamentswahlen der Volkszorn gerichtet hatte, erscheint nur noch in den Fernsehnachrichten aus dem Parlament, aber kaum noch als staatstragende Kraft. Putin ließ seinen Wahlkampf stattdessen von der „Allrussischen Volksfront“ und den Gewerkschaften organisieren.

Und dabei konnte er auf die Unterstützung der großen Fernsehsender zählen. Das russische Wahlgesetz garantiert zwar allen Präsidentschaftskandidaten, während des Wahlkampfes in den Medien den gleichen Raum eingeräumt zu bekommen. Doch Putin ist als Premierminister omnipräsent: Die Zeitung „Kommersant“ hat etwa berechnet, dass die drei wichtigsten Fernsehkanäle am Montag vor der Wahl Putin über vier Stunden zeigten, Sergej Mironow und den Oligarchen Michail Prochorow jeweils gut eine Stunde, den Kommunisten Gennadi Sjuganow 46 Minuten und Wladimir Schirinowski 38 Minuten.

Dass nach aktuellen Umfragen keiner der anderen Präsidentschaftskandidaten über 15 Prozent kommen wird, liegt jedoch auch an ihnen selbst. Die Moskauer Zeitschrift „Wlast“ kritisierte jüngst, dass es Putins Gegnern im Wahlkampf an Überzeugungskraft gefehlt habe. Hoffnungslos lavierten sie zwischen den Forderungen jener Schicht, die in den vergangenen Monaten auf die Straße ging und offen den Rücktritt Putins forderte, auf der einen und ihrer schon von früheren Wahlen gewöhnten Rolle als gezähmte Gegner auf der anderen Seite.

Für den IT-Manager Jewgeni Srednjakow sind jene altbekannten Kandidaten, die wie Schirinowski schon zum fünften Mal bei den Präsidentschaftswahlen antreten, nur „Polit-Clowns“. Der 36-Jährige glaubt an den Kandidaten Michail Prochorow: „Er ist der einzige professionelle Manager.“ Aber Srednjakow versteht auch, dass Prochorow als Oligarch für die Masse der Menschen nicht wählbar, ja nicht mal verständlich ist. Er hofft deshalb darauf, dass Putin ihn nach der Wahl als Premierminister „anstellen“ wird. Und Dmitri Medwedjew, der nach der Abmachung mit Putin eigentlich für diesen Job bestimm war? „Der wird wohl einen hohen Posten in einem staatlichen Unternehmen bekommen“, ist sich Srednjakow sicher.

„Diese über 50 Prozent sind in Wirklichkeit nicht FÜR Putin, sondern NICHT GEGEN Putin“, ist Anastassija Karimowa überzeugt, Journalistin bei der Zeitschrift „Djengi“. Die 23-Jährige war seit Dezember bei jeder Demonstration dabei, vor der Großdemonstration am 4. Februar stellte sie sich bei eisigen Temperaturen im Bikini an eine Moskauer Hauptstraße und forderte die Menschen auf einem Schild dazu auf, trotz der Kälte zu demonstrieren.

Inzwischen realisiert aber auch Karimowa, dass sie die nächsten sechs Jahre wohl noch mit Putin leben muss. Und dass das System durch Demonstrationen nicht zu ändern ist. „Wir brauchen neue Bewegungen, Leute, die gegen die regionalen Behörden klagen, die von den Beamten Aufklärung fordern, wohin das Geld fließt.“ Karimowa hat sich wie viele andere Demonstranten von Alexej Nawalny inspirieren lassen: Der wegen seiner nationalistischen Ansichten nicht ganz unumstrittene Blogger ist mit seinen Aufklärungskampagnen und den Klagen gegen lokale Machthaber und große Staatsbetriebe berühmt geworden – und finanziert seine Arbeit mit Spenden.

Aber noch ist das letzte Wort im Demonstrationsmarathon nicht gesprochen: Seit Dezember hatte Russland Kundgebungen erlebt, die in ihrer Friedlichkeit und Kreativität neu sind für das Land. Mehrfach waren über 50.000 Menschen in Moskau auf die Straße gegangen. Für den 5. März, den Tag nach der Wahl, rufen die Organisatoren nun in den sozialen Netzwerken zu einer Kundgebung auf, die allerdings dieses Mal nicht von den Behörden genehmigt wurde. Der „Marsch der Million“ wird begleitet von einem Slogan, der in seiner Aggressivität neu ist: „Um Freiheit muss man nicht bitten, man nimmt sie sich.“

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