Medienkrieg zwischen Minsk und Moskau
Alexander Lukaschenko, der weißrussische Diktator mit dem markanten Schnurrbart, hat ein denkbar schlechtes Image. Er lobt öffentlich Hitler, er hat mindestens einen unehelichen Sohn, und er ist in die Ermordung mehrerer oppositioneller Politiker und Journalisten verwickelt. Sein Land, die letzte Planwirtschaft Europas, ist nur deshalb noch nicht untergegangen, weil sie in den letzten 15 Jahren mit 52 Milliarden Dollar von Russland subventioniert wurde.
Diese Vorwürfe transportieren neuerdings auch russische Medien. Bislang hatten sie sich mit kritischen Äußerungen bedeckt gehalten. Im Juli konnten nun die Russen auf dem staatlich kontrollierten Sender NTW den Zweiteiler „Väterchen und Pate“ sehen, einen Film, der zum ersten Mal sendet, was westliche Medien Lukaschenko bereits seit Jahren vorwerfen. „Der Film ist so gemacht, als wollte jemand Lukaschenko zertreten“, wundert sich der weißrussische Journalist Pawel Scheremet. Die Filme seien ein vom Kreml gesteuerter Generalangriff auf das „Väterchen“, wie ihn die Weißrussen nennen. Denn im nächsten Frühjahr stehen in Minsk Präsidentschaftswahlen an. Russische Kommentatoren vermuten, dass Russland den lange protegierten, aber immer unberechenbaren Lukaschenko jetzt loswerden will.
Die weißrussische Opposition benutzt den Film als Steilvorlage. Zwar wurde „Väterchen und Pate“ in der weißrussischen NTW-Übertragung zensiert, aber laut Opposition sahen sich über zwei Millionen Weißrussen den Streifen im Internet an. Für den 16. August rufen Oppositionelle zu einer Großdemonstration in Minsk auf, auf der sie fordern wollen, die im Film geäußerten Anschuldigungen zu untersuchen.
Der Medienkrieg ist die Zuspitzung eines ostslawischen Hahnenkampfes, dessen Protagonisten Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko heißen. Schon 2004, als der heutige Premier Putin noch Präsident war, hatte Lukaschenko die Kreml-Politik als „Terrorismus auf höchstem staatlichen Niveau“ bezeichnet. Der Kreml hatte dem viel beschworenen „Brudervolk“ seit Beginn der Wirtschaftskrise mehrfach das Gas abgestellt. Und jedes Mal schimpfte Lukaschenko ohne jede Rücksicht auf die Brudervolksrhetorik lauter auf den großen Nachbarn. Putin beantwortete die Anwürfe nie persönlich – dazu benutzte er sein politisches Fußvolk. Und die Medien.
Auch über die jüngste Attacke aus dem Kreml zeigte sich der 55-jährige Lukaschenko not amused. Er wisse, wer die Befehle gebe: Die kompromittierenden Filme hätten seine „russischen Kollegen“ bestellt. „Dass man mich bespuckt, das werde ich überleben. Aber ich kann es mir nicht erlauben, vor ihnen in die Knie zu gehen“, wütete er gegenüber russischen Journalisten. „Zur gegebenen Zeit erzählen wir den Russen, was los ist, wenn sie es nicht selbst kapieren“, drohte er.
Noch bevor der zweite Teil der NTW-Dokumentation über die Bildschirme flimmerte, trat im Ersten Weißrussischen Fernsehen der Georgier Michail Saakaschwili auf den Plan, Präsident eines Landes, das sich seit der Rosenrevolution als genaues Gegenteil Weißrusslands präsentiert: ultraliberal, demokratisch und westorientiert. Ausführlich lobte der Demokrat Saakaschwili die weißrussische Führung für ihre Weigerung, die von Georgien abtrünnigen Republiken Abchasien und Süd-Ossetien anzuerkennen. Für ihn sei es lachhaft, dass das feudalistische, mittelalterliche Russland Lukaschenko nun „fast des Kannibalismus“ beschuldige. „Immer, wenn wir bei etwas nachgaben, wollten sie mehr. Ich denke, diese Situation ist allen anderen Nachbarn Russlands durchaus bekannt“, so Saakaschwili.
„Lukaschenko hat Saakaschwili sagen lassen, was er selbst nicht aussprechen kann“, sagt Alexej Malaschenko vom Carnegie-Institut Moskau. Nach dem gleichen Prinzip veröffentlichte am Dienstag die weißrussische Zeitung „Respublika“, offizielles Organ des Ministerrats, Auszüge aus einem Anti-Putin-Buch des russischen Oppositionellen Boris Nemzow. Der wollte seinen Augen nicht glauben: „Ich hätte nicht gedacht, dass mein Buch in einem hysterischen Streit zwischen zwei verrückt gewordenen autoritären Führern Verwendung findet.“