Kuratoren für „Verbotene Kunst“ verurteilt
Juri Samodurow und Andrej Jerofejew müssen nicht ins Straflager. Das ist die gute Nachricht. Dennoch sprach die Richterin des Moskauer Taganski-Gerichts die beiden am Montag schuldig, mit ihrer Ausstellung „Verbotene Kunst 2006“ zu religiösem Hass aufgestachelt und Menschen in ihrer Würde erniedrigt zu haben. Jerofejew muss eine Geldstrafe von 150.000 (3.800 Euro), Samodurow 200.000 Rubel (5.200 Euro) bezahlen. Jerofejew und Samodurow kündigten an, das Urteil in der nächsthöheren Instanz anzufechten.
Menschenrechtler hatten schon vor der Urteilsverkündung dazu aufgerufen, im Fall einer Verurteilung alle kulturellen Kontakte mit Russland abzubrechen. „Ein Künstler in Russland – das ist ein Mensch, der wie ein Fisch in einer chemischen Lösung schwimmt“, sagte Jerofejew nach dem Prozess. Das jetzige Urteil mache es unmöglich, Kunst zu zeigen. „Die Kunst wird darunter nicht leiden, sondern die Gesellschaft“, so Jerofejew.
Bei der Urteilsverkündung spielten sich tumultartige Szenen ab. Hunderte Menschen, darunter prominente Menschenrechtler, Journalisten, Zeugen der Anklage, waren zum Gerichtsgebäude im Zentrum Moskaus gekommen und drängten in den Gerichtssaal, der jedoch nur einigen Dutzend Menschen Platz bot. Selbst die Angeklagten gelangten nur mit Mühe in den Raum. Rund um das Gebäude veranstalteten Gläubige eine orthodoxe Prozession und sangen christliche Psalmen. Plötzlich krabbelten über die Treppen des Gerichts auch noch riesige Kakerlaken: Die radikale Künstlergruppe „Wojna“ hatte mehrere Tausend Exemplare ausgesetzt, um gegen die „kakerlakenartige Rechtssprechung“ zu protestieren.
Der Grund für den Prozess war eine Ausstellung im Frühjahr 2007. Damals hatten die beiden Kuratoren Samodurow und Jerofejew im Moskauer Sacharow-Zentrum Bilder gezeigt, die in den vergangenen Jahren aus inhaltlichen Gründen von russischen Museen nicht gezeigt wurden. Die Kunstwerke selbst waren hinter Stellwänden versteckt, durch Gucklöcher konnte man etwa eine mit Kaviar gefüllte Ikone oder eine gekreuzigte Micky Maus erkennen. Als Reaktion erstattete die nationalistisch-orthodoxe Organisation „Volksversammlung“ Anzeige gegen die Kuratoren. Die Aussteller beteuerten im Gericht immer wieder, die Kunstwerke seien nicht darauf gerichtet, Gläubige in ihren Gefühlen zu verletzen. Die Bilder thematisierten stattdessen die Konsumsucht im heutigen Russland.
Der Staatsanwalt war anderer Meinung – er forderte zum Ende der Verhandlung vor wenigen Wochen drei Jahre Lagerhaft für beide Angeklagte. Ganz so schlimm ist es nicht gekommen, aber schon der Prozess und erst recht der Schuldspruch ist für die Kuratoren ein Skandal.
Zwei Jahre lang mussten sich Jerofejew und Samodurow die Klagen von weit über 100 Zeugen anhören, die im Gerichtssaal teilweise unter Tränen beteuerten, wie sehr sie die Bilder in ihren religiösen Gefühlen verletzt hätten. Viele von ihnen waren alte russische Mütterchen, aber kaum eine von ihnen hatte die Ausstellung besucht. Die meisten waren von der nationalistisch-orthodoxen „Volksversammlung“ dazu animiert worden, beim Prozess auszusagen. Das kümmerte die Richterin wenig. „Die Ausstellung „Verbotene Kunst – 2006“ hat die Gefühle aller Gläubigen verletzt, unabhängig davon, ob sie die Ausstellung gesehen haben oder nicht“, stellte sie am Montag fest.