Kühler Krieg
Am Tag nach der Festnahme von elf angeblichen russischen Spionen in den USA reagiert das offizielle Moskau kühl bis genervt auf den Fall. Russische Medien bemühen sich, die Tragweite des Vorfalls herunterzuspielen. Niemand in der politischen Elite des Landes hat offenbar ein Interesse daran, die gerade angewärmten Beziehungen zu den USA zu beschädigen.
Am deutlichsten äußerte sich der russische Außenminister Sergej Lawrow, der sich auf Staatsbesuch in Israel befand: Sein Ministerium erwarte „Erklärungen“ von amerikanischer Seite, sagte Lawrow in Jerusalem. „Ich kann nur eines sagen: Der Moment war sehr elegant ausgewählt“, schob er sichtlich genervt nach. Das Außenministerium bezog später in einer offiziellen Mitteilung Stellung und erklärte, was der Außenminister mit dem „Moment“ gemeint hatte: Der „Spionage-Skandal“ entbehre jeglicher Grundlage und verfolge „unlautere Ziele“, heißt es dort. „Wir verstehen nicht, warum das amerikanische Justizministerium mit einer öffentlichen Erklärung auftritt, die nach der Spionage-Manie aus Zeiten des Kalten Krieges“ klingt. Es ist zu bedauern, dass all dies vor dem Hintergrund des Neuanfangs mit Russland geschieht, der von der US-Regierung verkündet wurde“.
Denn erst am Montag war der russische Präsident Dmitri Medwedjew von einem Staatsbesuch in den USA zurückgekehrt, wo er im Einklang mit US-Präsident Barack Obama die verbesserten amerikanisch-russischen Beziehungen gepriesen hatte.
Der russische Präsident selbst äußerte sich demonstrativ nicht zum Spionage-Skandal, Stillschweigen bewahrte – wie in solchen Fällen üblich – ebenfalls der russische Geheimdienst. Premierminister und Ex-Geheimdienstler Wladimir Putin ging mit dem Fall lakonisch um. Bei einem schon früher geplanten Treffen mit dem ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton in Moskau begrüßte er seinen Gast mit den Worten: „Sie kommen gerade richtig! Die Polizei in den USA ist außer Rand und Band – steckt einfach Leute ins Gefängnis.“ Bevor er das Thema wechselte, bemerkte er noch: „Nun ja, so ist eben die Arbeit für alle.“ Diese Aussage Putins bestätigte unter russischen Kommentatoren Vermutungen, dass der Kreml sich in der nächsten Zeit für die „Enthüllung“ der russischen Spione in den USA revanchieren könnte, etwa mit der Aufdeckung eines amerikanischen Spionagenetzes in Russland.
Die russischen Medien bemühten sich, den Skandal als einen Versuch der amerikanischen Geheimdienste darzustellen, die russisch-amerikanische Annäherung zu torpedieren und gleichzeitig das eigene Image aufzubessern. Noch sei ja überhaupt nichts bekannt über den Schaden, den die angeblichen Agenten angerichtet hätten, schrieb die Regierungszeitung „Rossijskaja Gaseta“: „Doch der Enthusiasmus, mit dem die größten amerikanischen Medien die Geschichte aufgenommen haben und sie zu einem „Spionageskandal“ gemacht haben, lässt darauf schließen, dass jemand Regie geführt hat.“ Auch das staatliche Fernsehen berichtete zwar über die Festnahmen, stellte aber die Bedeutung der angeblichen „Agenten“ und den Professionalismus des amerikanischen Geheimdienstes in Frage.
Aus dem russischen Parlament gibt es kaum Stimmen zu den Festnahmen in den USA – was verwunderlich ist: Lediglich Gennadij Gudkow, stellvertretender Vorsitzender des Duma-Sicherheitskomitees, ließ sich mit den Worten zitieren, hier seien wohl „Anti-Obama-Kräfte“ am Werk, die den außenpolitischen Bemühungen des amerikanischen Präsidenten schaden wollten. Russische Politiker wie der Duma-Abgeordnete Wladimir Schirinowskij oder der Vorsitzende des Komitees für Außenbeziehungen Konstantin Kossatschow dagegen, die in ähnlichen Fällen für deutliche Worte bekannt sind, kommentierten den Fall nicht. Die spärlichen Kommentare aus der russischen Politik lassen darauf schließen, dass auch hier Regie geführt wurde - damit der Spionageskandal die amerikanisch-russischen Beziehungen nicht beschädigt. Eine kremlnahe Quelle erklärte der Zeitung „Kommersant“: „Allen gewandten Rednern wurde die stillschweigende Anordnung gegeben, den Vorfall nicht zu kommentieren.“