Russland

Die Duma-Schwänzer von Moskau

Was die Zuschauer des unabhängigen Fernsehsenders „Ren-TV“ vor wenigen Tagen zu sehen bekamen, dürfte ihr Vertrauen in die russische Demokratie nicht gestärkt haben: Abgeordnete der russischen Staatsduma rannten da hektisch von einem Sitz zum anderen und drückten auf die Abstimmungsknöpfe. Das russische Parlament entschied an diesem Tag über die Einführung der Null-Promille-Grenze für Autofahrer. Wenige Sekunden später zeigte die Ergebnistafel an: Dafür – 449 Abgeordnete. In Wirklichkeit, so hatte „Ren-TV“ gezählt, waren nur 88 russische Volksvertreter anwesend – von 450. Der Beitrag machte auch in der russischen Blogosphäre die Runde und provozierte tausende hasserfüllte Kommentare.

Unabhängige russische Medien beklagen schon seit Jahren die miserable Disziplin der „Deputaty“, wie die Duma-Abgeordneten in Russland heißen: Nach Schätzungen der Zeitung „Moskowski Komsomolez“ sei bei Abstimmungen selten mehr als die Hälfte der Abgeordneten anwesend. Dafür, dass „offiziell“ dennoch meist fast alle Stimmen abgegeben werden, sorgen sogenannte „Soldaten“: Abgeordnete, die für ihre abwesenden Kollegen die Abstimmungsknöpfe drücken. „Ein kräftiger Deputat kann pro Abstimmung bis zu neun Knöpfe schaffen“, schätzte Ren-TV, während die älteren Kollegen einen kleineren Sektor zugeteilt bekämen. So erschienen am 27. Februar vergangenen Jahres, zu einer Zeit, als die Russen unter den Folgen der Wirtschaftskrise ächzten, zur Sitzung ganze fünf Abgeordnete – von 450.

Die russische Staatsduma ist die untere Kammer des russischen Parlaments und laut Verfassung das wichtigste gesetzgebende Organ – de facto verkam der Plenarsaal an der Twerskaja-Straße jedoch spätestens 2007 zu einer bedeutungslosen Quasselbude: Bei den Dumawahlen errang die Putin-Partei „Einiges Russland“ mit massiver Unterstützung aus dem Kreml 315 von 450 Sitzen. Seitdem nickt das Parlament in treuer Dankbarkeit alle vom Kreml ausgearbeiteten Gesetzesinitiativen ab.

In den vergangenen Jahren gab es zwar mehrere Vorstöße von Abgeordneten, die Sitzungsschwänzer etwa mit Geldstrafen zu belegen – diese wurden jedoch mehrheitlich abgelehnt. Selbst eine öffentliche Schelte von Präsident Dmitri Medwedew vor wenigen Wochen konnte daran nichts ändern.

Immerhin hat sich nach Medwedews Auftritt die russische Gesellschaftskammer der Duma-Schwänzer angenommen. Einmal im Quartal will sie nun die Ergebnisse ihres Monitorings präsentieren. „Man kann wohl nicht erwarten, dass das Vertrauen unserer Bürger in die Gesetze wächst, wenn sie Abgeordnete sehen, die im Plenarsaal umher rennen, um für alle Abwesenden abzustimmen“, monierte das Gremium, das zu großen Teilen aus Vertretern der Zivilgesellschaft besteht.

Die meisten russischen Bürger erfahren von den leeren Bänken in der Duma allerdings nichts: Im staatlichen russischen Fernsehen sind die Bänke der Duma stets voll besetzt. Das hat nach Recherchen des „Moskowski Komsomolez“ einen einfachen Grund: Um die Abgeordneten nicht zu diskreditieren, verwendet der Kanal Archivbilder.


Weitere Artikel