Russland

Von Nationalisten, Magiern und Amphoren

Kurz vor den russischen Präsidentenwahlen am 4. März hat sich die Zahl der Demonstranten für und gegen Putin bei etwa 50.000 eingependelt. Doch scheinbar grenzenlos ist die Kreativität der Teilnehmer: selbstgemalte Plakate, Kostüme, Flaggen aller Couleur. Blickt da noch jemand durch? Wir schon. Hier ein kleiner Crashkurs in russischer Demo-Semiotik.

ROTE FLAGGEN
Die vielen roten Flaggen werden meist von Anhängern der Kommunistischen Partei oder aber der radikaleren „Linken Front“ geschwenkt. Komplizierter wird es bei den schwarz-gelb-weißen Flaggen: Die russische „Reichsflagge“ – zwischen 1858 und 1883 Flagge des Zarenreichs und im Original schwarz-gold-weiß – ist zum Symbol der russischen Nationalisten geworden.

„ROTHAARIGER TARZAN“
An den Demonstrationen nehmen laut einer Umfrage des unabhängigen Lewada-Instituts immer mehr Nationalisten teil: Als „Nationalpatrioten“ bezeichneten sich am 4. Februar 14 Prozent der Teilnehmer, mehr als doppelt so viele wie im Dezember. Teilweise treten sie in Masken auf, die auf den ersten Blick denen der „Occupy“-Bewegung gleichen. Tatsächlich handelt es sich aber um das Konterfei von Wjatscheslaw Dazik, Kampfname „Rothaariger Tarzan“, ein Ultranationalist, Kickboxer, Krimineller und seit 2007 Insasse verschiedener Strafanstalten.

ALEXEJ NAWALNY
Auf vielen Plakaten sieht man das Konterfei des Bloggers und Anwalts Alexej Nawalny. Mit seinen Antikorruptionskampagnen ist er zu einer der zentralen Figuren der Proteste geworden – weit populärer als die bekannten Oppositionspolitiker.

DER BÄR
Die wichtigsten „Zielscheiben“ der Demonstranten sind Wladimir Putin, seine Partei „Einiges Russland“ und der Oberste Wahlleiter Wladimir Tschurow. Besonders häufig liest man auf den Plakaten den Slogan „Einiges Russland – Partei der Gauner und Diebe“, oftmals geschmückt von einem Bären, dem Symbol der Partei, der in einem Sack die Reichtümer Russlands aus dem Land schleppt. Den Schlachtruf gegen die Kreml-Partei prägte der Blogger Alexey Nawalny.

DER MAGIER
Wladimir Tschurow, der bärtige Oberste Wahlleiter, wird in allen möglichen Formen verlacht: Oft tritt er auf Plakaten als Magier auf, der die Wahlergebnisse verzaubert. Tschurow wird für die Wahlfälschungen verantwortlich gemacht, sein Rücktritt ist eine zentrale Forderung der Demonstranten.

„EHRLICHE AMPHOREN“
„Wir sind für ehrliche Amphoren“ bedeutet so viel wie „Wir sind für ehrliche Wahlen“. Die Demonstranten beziehen sich damit auf einen PR-Gag des Sommers 2011, als Wladimir Putin, begleitet von Fernsehkameras des Staatsfernsehens, auf der Halbinsel Taman in die Tiefen des Schwarzen Meeres hinab tauchte und zwei Amphoren aus dem 6. Jahrhundert zu Tage förderte. Archäologen und Blogger bezweifeln allerdings die Echtheit der Amphoren oder vermuten, dass sie zuvor mit Absicht dort hingelegt wurden.

DAS WEISSE BAND
Das „Weiße Band“ ist seit den Parlamentswahlen zum Symbol all jener geworden, die für ehrliche Wahlen eintreten. Daran konnte auch Wladimir Putin nichts ändern, der im Staatsfernsehen erklärte, dass ihn die Bänder am Revers der Demonstranten an Kondome erinnerten. Auch die „Liga der Wähler“, die bekannte Schriftsteller, Journalisten, Blogger und Ärzte vereint, hat die Farbe Weiß zu ihrem Symbol gemacht.

DIE HAMSTER
Nach den ersten Demonstrationen amüsierten sich Kritiker über die Revolution der „Netz-Hamsterchen“, also jene, die das Leben bisher nur über den Monitor ihres Computers kannten und nun plötzlich auf die Straße gehen. Die Demonstranten nehmen es mit Humor: Bei der letzten Großdemonstration liefen einige in Hamsterkostümen mit.

KREML-BOTSCHAFTEN
Jene Demonstrationen, die vom Kreml als Antwort auf die Oppositionskundgebungen organisiert werden, sind weitaus leichter zu verstehen. Überall weht die russische Trikolore, auf den Plakaten stehen in unterschiedlichen Variationen die Botschaften „Wir sind für Putin“, „Für Stabilität“ und „Gegen orange Revolutionen“. Mit „orange Revolutionen“ sind die Demonstrationen gemeint, die im Winter 2004/2005 zum Umsturz in der Ukraine führten – und die nach Meinung des Kremls vom Westen organisiert wurden.


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