Russland

Atomstrom aus Königsberg

Russland will in Europa nicht nur mit Gas und Öl Geschäfte machen, sondern auch mit Atomstrom. Vom Atomkraftwerk in der russischen Ostsee-Exklave Kaliningrad, für das vergangene Woche im Bezirk Neman der Grundstein gelegt wurde, soll ab 2016 Atomstrom nach Litauen, Polen, Schweden und Deutschland exportiert werden. Dies geht aus einem Geheimpapier des russischen Strom-Exporteurs Inter Rao Ees hervor, das der russischen Umweltschutzorganisation Ekosaschita aus Kreisen der Regierung von Kaliningrad zugespielt wurde.

Nach den Plänen des Unternehmens Inter Rao Ees, das zur russischen Atombehörde Rosatom gehört, sollen für drei Milliarden Euro Starkstromleitungen in die europäischen Abnehmerländer gebaut werden. Unter Punkt 19 des Geheimpapiers sind auch Werbe-Aktionen für russischen Atomstrom in Europa geplant. Verantwortlich für die Werbekampagne sind laut Plan die russische Atombehörde Rosatom, Inter Rao Ees und das russische Außenministerium.

Zur Zeit arbeiten in Russland zehn Atomkraftwerke mit insgesamt 30 Reaktoren. Wegen der Sicherheitsbedenken nach der Tschernobyl-Katastrophe und dem Wirtschaftschaos unter Präsident Boris Jelzin wurde in Russland zwischen 1993 und 2001 kein einziges neues AKW-gebaut. Doch unter Wladimir Putin, der 2000 Präsident und 2008 Ministerpräsident wurde, erlebte die russische Atomindustrie einen kräftigen Aufschwung.

Zwei neue Reaktorblöcke – in Wolgodonsk (Rostow) und Kalinin (bei Moskau) – wurden in Betrieb genommen. Die russische Regierung hat den phantastischen Plan, bis zum Jahr 2030 36 neue Reaktoren bauen zu lassen. „Allerdings müssen bis 2030 15 Reaktoren aus Altersgründen abgeschaltet werden“, erklärte Wladimir Sliwjak, Vorsitzender der Umweltorganisation Ekosaschita. Der Anteil an Atomstrom in der russischen Energiewirtschaft liegt zur Zeit bei 16 Prozent. Wladimir Putin will den Anteil auf 25 Prozent erhöhen.

Das „Baltische Atomkraftwerk“ im ehemaligen Ostpreußen soll mit zwei modifizierten Druckwasserreaktoren ausgestattet werden und eine Gesamtleistung von 2.300 Megawatt haben. Ein Kraftwerk dieses neuen Typs gibt es in Russland bisher nicht. Der Chef der russischen Atombehörde Rosatom, Sergej Kirijenko, erklärte während der Grundsteinlegung am vergangenen Donnerstag, man lade ausländische Investoren ein, sich an dem Atomkraftwerk zu beteiligen. Rosatom will indes 51 Prozent der AKW-Aktien selbst besitzen. Medienberichten zufolge hat Siemens Interesse am „Baltischen Atomkraftwerk“ bekundet.

Rosatom-Chef Kirijenko meinte, mit dem neuen AKW in Kaliningrad wolle man das Energiedefizit in der Region beheben. Ende vergangenen Jahres ist das Atomkraftwerk Ignalia in Litauen abgeschaltet worden. Das Kraftwerk hatte einen Reaktor vom Tschernobyl-Typ und deckte mit einer Kapazität von 1.320 Megawatt 70 Prozent des litauischen Energiebedarfs. Litauen will sich jedoch von russischer Energie unabhängig machen und sich in das europäische Netz der Stromversorgung integrieren.

Was die russische Exklave Kaliningrad betrifft, so schließt Umweltschützer Sliwjak ein Energiedefizit für die kommenden Jahre aus. Denn dort werden zurzeit mehrere nichtnukleare Kraftwerke fertig gestellt. Ende dieses Jahres soll der zweite Block für das Gaskraftwerk der Stadt Kaliningrad in Betrieb genommen werden. Außerdem sollen bis 2013 fünf Torfkraftwerke in der Ostsee-Exklave gebaut werden. „Der Strom wird in die EU verkauft. Für die Bevölkerung in der Region bleiben die Risiken mit den atomaren Abfällen“, meint Sliwjak. In Russland werden die atomaren Abfälle in der Regel neben den Atomkraftwerken gelagert, da entsprechend große Kapazitäten für Wiederaufbereitung und Endlagerung fehlen.

Der Gouverneur von Kaliningrad Georgi Boss erhofft sich vom AKW-Bau in seinem Gebiet einen Prestige-Gewinn. Das Atomkraftwerk schaffe Arbeitsplätze und erhöhe die Steuereinnahmen, argumentiert der Gouverneur mit Blick auf die schwierige wirtschaftliche Lage in der Region. In den vergangenen Wochen beteiligte sich Boss an den Massen-Protesten gegen die von Moskau aus geplanten Erhöhungen der KFZ-Steuern und der Wohnungsbetriebskosten.

Obwohl sich in Kaliningrad die soziale Lage der Bevölkerung wegen der Finanzkrise in den vergangenen Monaten extrem verschlechtert hat, lehnen die Menschen in der Region das AKW ab. Nach einer Umfrage des Soziologischen Zentrums von Kaliningrad sind 67 Prozent der Einwohner gegen das Atomkraftwerk. Im Herbst 2009 hatte es eine Protestkundgebung von Umweltschützern mit 500 Teilnehmern gegeben.


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