OSZE-Vorsitz als Vertrauensvorschuss
Mithilfe der USA und der wichtigsten EU-Nationen führt Kasachstan seit Jahresbeginn die OSZE – trotz massiver Verstöße gegen Menschenrechte und ausufernder Korruption
(n-ost) – Seit Anfang Januar 2010 hat Kasachstan, der 15-Millionen-Staat zwischen China, Russland und dem Kaspischen Meer, als erstes muslimisches Land den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa inne. Doch noch keines der Länder mit OSZE-Vorsitz war so umstritten – und so korrupt. Eine „historische Mission“, nannte Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew (69) den Vorsitz am Neujahrstag, denn zum ersten Mal übernimmt mit Kasachstan eine ehemalige Sowjetrepublik die OSZE-Führung.
Der zentralasiatische Staat hatte hart für den einjährigen Vorsitz der Organisation mit Sitz in Wien gekämpft. Die OSZE ist die weltweit größte regionale Sicherheitsorganisation mit 56 Teilnehmerstaaten. In seiner Rede an den Ständigen Rat der OSZE mahnte Präsident Nasarbajew am Donnerstag unter anderem Vertrauen, Transparenz und Toleranz an und betonte die Verpflichtung seines Landes gegenüber Werten und Prinzipien der Organisation. Er forderte „maximale Offenheit und Transparenz in internationalen Beziehungen, die frei von Doppelmoral ist“.
In seinem Land selbst sieht das allerdings ganz anders aus. Kritiker werfen Kasachstan, dem neuntgrößten Land der Erde, Verstöße gegen Menschenrechte und die Pressefreiheit sowie ausufernde Korruption vor. Trotz Antikorruptionsbehörde und nationaler Antikorruptionsstrategie gehören in Kasachstan Schmiergelder zum Alltag an Universitäten, in Krankenhäusern und in staatlichen Behörden. Amirschan Kosanow von der Oppositionspartei „Azat“ sieht den Kampf gegen die Korruption lediglich als Instrument im Machtpoker der Eliten. Und, so Kosanow, es sei ein gern genutzter Vorwand, um unliebsame Politiker oder Manager beiseite zu räumen. „Die Regierung ist nicht wirklich am Kampf gegen Korruption interessiert, weil sie selbst korrupt ist“, so Kosanow. „Das ist ein Teufelskreis, in dem sich die Machthaber hier schon 20 Jahre drehen.“
Dem Kampf gegen die Korruption hat sich indes auch die Studenten-Bewegung „Karsy“ verschrieben. „Karsy“ ist kasachisch und heißt „dagegen“. Eine Handvoll Studenten hat die Organisation vor zwei Jahren gegründet. In selbst produzierten Video-Clips dokumentieren sie mit versteckter Kamera, wie dreist in Kasachstan Schmiergelder gezahlt und eingenommen werden – in Krankenhäusern, Bildungseinrichtungen oder bei der Polizei. In einem Film ist zu sehen, wie Studenten für ein Gesundheitszeugnis stundenlang in kalten Krankenhausfluren anstehen müssen. Und man sieht, wie Ärzte und Schwestern sich bezahlen lassen, wenn es schneller gehen soll. Die Schlangen im Krankenhaus würden absichtlich herbeigeführt, sagt Arman Nurgasin, Chef von „Karsy“, damit die Studenten irgendwann die Geduld verlieren.
Seit 2006 gibt es eine nationale Strategie gegen Korruption. Auf dem Korruptions-Index von „Transparency International“ stieg Kasachstan im Jahr 2009 von Platz 145 auf Position 120. Als Rechtsstaat ist Kasachstan den eigenen Bürgern jedoch noch nicht verlässlich genug. Faire Strafverfahren sind längst nicht die Regel, und wer sich freikaufen kann, findet einen Weg.
„Wir finden die Situation der Menschenrechte und der Pressefreiheit in Kasachstan besorgniserregend“, sagte Janez Lenarcic, der Direktor des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte. Human Rights Watch kritisiert deutlicher: „Seit die OSZE-Staaten beschlossen haben, den OSZE-Vorsitz 2010 an Kasachstan zu geben, hat sich die Menschenrechtssituation im Land eher verschlechtert als verbessert“, heißt es in einer Erklärung der Menschenrechtsorganisation.
Erst im vergangenen September war einer der wichtigsten Oppositionellen Kasachstans, Evgenij Schowtis, nach einem Verkehrsunfall mit einem Toten zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch hatten das Gerichtsverfahren als undurchsichtig und das Urteil als überzogen kritisiert. Im Dezember starb der prominente kirgisische Journalist Gennadi Pawljuk, ein Kritiker der kasachischen Regierung, nachdem er aus dem Fenster des sechsten Stocks eines Hauses gestoßen wurde. Anfang Januar wurde ein Reporter, der in kirgisischen Medien über den Tod von Gennadi Pawljuk berichtet hatte, in seiner Wohnung in Almaty erstochen.
Immerhin hatte die kasachische Regierung vor Übernahme des OSZE-Vorsitzes versprochen, die Mediengesetzgebung und das Parteien- und Wahlgesetz in ihrem Land zu liberalisieren. Viele Analysten sprechen jedoch von kosmetischen Korrekturen und sagen, die Situation hätte sich in den letzten Monaten eher verschlechtert. Auch ein Mehrparteiensystem scheint in weiter Ferne: Noch immer sitzt Nasarbajews Partei Nur Otan als einzige im Parlament.
Dennoch hat Kasachstan den Vorsitz mit Unterstützung der USA und der wichtigsten EU-Nationen bekommen. Kritiker nennen die Verleihung des Vorsitzes einen zynischen Versuch, die Beziehungen zu einem der größten weltweiten Öl- und Gasimporteure zu verbessern und damit auch der Abhängigkeit von russischem Öl zu entgehen. Auch wegen des Konflikts im nahen Afghanistan kommt Kasachstan aus Sicht des Westens eine besondere Rolle als Stabilitätsfaktor in der Region zu.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits vor einem Jahr Nasarbajew bei einem Berlin-Besuch deutsche Unterstützung für den OSZE-Vorsitz angeboten. Merkel betonte damals die guten wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Kasachstan und mahnte Defizite bei der Religionsfreiheit, der Demokratie-Entwicklung und den Menschenrechten an. Die Kanzlerin unterstrich, dass das Land angesichts der Probleme von einer weiteren Öffnung profitieren werde.
Auch Außenminister Guido Westerwelle bezeichnete im Dezember den Vorsitz Kasachstans als Chance und große Verantwortung zugleich. „Wir wissen, dass es in Kasachstan noch einiges zu tun gibt“, betonte Westerwelle mit Blick auf die politischen Reformbemühungen.
Der kasachische Außenminister Kanat Saudabajew versprach unterdessen, mit dem Vorsitz seines Landes die Staaten östlich und westlich von Wien einander näher bringen zu wollen. Saudabajew fungiert für ein Jahr als Vorsitzender der OSZE und überwacht die Aktivitäten der Organisation bei Konfliktprävention, Krisenmanagement und Wiederaufbau nach Konflikten. „Wir haben gute Erfahrungen dabei, Frieden und Toleranz in einer ethnisch vielfältigen Gesellschaft zu fördern. In Kasachstan leben über 140 ethnische Gruppen mit 46 Religionen. Dennoch gehört es zu den ganz wenigen post-sowjetischen Staaten, in denen es gelungen ist, Nationalitätenkonflikte und Blutvergießen zu vermeiden“, erklärte er in einem Interview mit der österreichischen Presse.
Edda Schlager und Cornelia Riedel, Almaty
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