Gasprom steckt in der Krise
(n-ost) – Es wird schon wieder ungemütlich am Loch 16. Die Nachtschicht kämpft mit Frost bei Minus 39 Grad. Seit Wochen knirscht der Schnee unter den Filzstiefeln der „Gasowiki“, wie sich die Gasarbeiter im Nordwesten Sibiriens nennen.
Längst hat sich Ilschat Gilemchanow an den Frost gewöhnt: „Wenn es kalt wird, ziehen wir uns eben wärmer an“, brummt der abgehärtete Chefingenieur vom 16. Förderloch, der vor über 20 Jahren aus der kasachischen Steppe nach Nowy Urengoj kam. Seitdem fördert er im Auftrag des russischen Energieriesen Gasprom jenes Erdgas, das vorwiegend für den deutschen Markt bestimmt ist. Fragt sich nur: Wie lange noch?
Unter Hochdruck plant Gasprom zwei neue Pipelines nach Europa. Auf der Insel Rügen stapeln sich Röhren für die „Nord Stream“. Die so genannte Ostseepipeline soll im nächsten Frühjahr verlegt werden und ein Jahr später Gas nach Deutschland leiten. Derweil holt Gasprom die letzten Genehmigungen für „South Stream“ ein, die zweite große Röhre, die ab 2014 russisches Gas durch das Schwarze Meer nach Italien und Österreich leiten soll. Zeitgleich verhandeln Gasprom-Manager mit China über Lieferungen, auch Japan und Amerika sollen mehr Gas bekommen.
Unterdessen sinkt in den Leitungen der Urengoj-Felder der Druck. Das kann Bohrchef Gilchemanow am Barometer beobachten – Jahr für Jahr. Die Reserven des leicht zugänglichen Gasfelds sind zu zwei Dritteln aufgebraucht. Die nächsten Vorkommen liegen drei Kilometer unter dem Permafrostboden vergraben. Oder am Meeresgrund der Barentssee.
Die Erschließung neuer Gasfelder kostet Gasprom immer mehr Geld. Foto: Florian Willershausen
Deren Erschließung kostet viel Geld – Geld, das Gasprom nicht hat. Bis zum Förderbeginn im „Schtokman“-Feld der Barentssee müssten mehr als 40 Milliarden Dollar investiert werden. Diese Summe entspricht einem Halbjahresumsatz von Gasprom – und dem aktuellen Schuldenberg. Noch teurer dürfte die Förderung auf der nordwestsibirischen Halbinsel Jamal werden. Die dortigen Entwicklungskosten schätzen Experten auf bis zu 100 Milliarden Dollar.
Händeringend sucht Gasprom nach einem westlichen Partner, der dabei hilft, die teure Jamal-Produktion finanziell zu stemmen. Schließlich will Gasprom die europäischen Verbraucher mit Jamal-Gas beliefern, wenn die Urengoj-Felder eines Tages aufgebraucht sind. Doch bislang ließ sich kein Investor ins Boot holen. Selbst für treue Partner wie Wintershall oder E.On Ruhrgas scheint die finanzielle Schmerzgrenze überschritten zu sein.
„Ohne Jamal wird die ‚South Stream‘-Pipeline leer bleiben“, warnt Michail Kortschemkin von der US-Beratungsfirma East European Gas Analysis. Vor allem, wenn die Europäische Union im Jahr 2014 die Pipeline „Nabucco“ in Betrieb nimmt, die der deutsche Energiekonzern RWE maßgeblich projektiert. Die Doppelröhre, die über das türkische Festland nach Europa führt, soll vor allem mit zentralasiatischem Gas gespeist werden.
Auf dem Gasfeld bei Nowy Urengoj fällt das Thermometer derzeit auf Minus 39 Grad. Foto: Florian Willershausen
Russland mangelt es nicht an Gas, doch die Förderung wird immer teurer. Das Problem ist zum Großteil hausgemacht: Zu stark konzentriert sich Gasprom auf den Bau neuer Pipelines, zu wenig investiert der Konzern in neue Felder und effizientere Fördertechnologien. Aus den veralteten Leitungen entweicht beim Abtransport aus Sibirien eine Menge an Gas, mit der der Jahresbedarf von Ländern wie Luxemburg gedeckt werden könnte. Und russische Verbraucher neigen dazu, die Temperatur in der Küche mit den Flammen des Gasherds zu regulieren.
Solche Ineffizienz fällt in Boom-Zeiten weniger auf. In der Krise aber sinken bei Gasprom die Exporteinnahmen, die Märkte schmelzen dahin. Manch einer wagt es sogar, die langfristigen Lieferverträge mit Gasprom in Frage zu stellen. Zum Beispiel Wulf Bernotat. Der E.On-Chef gab jüngst bei der Weltgaskonferenz in Buenos Aires bekannt, er verhandle mit den Russen über eine Kürzung der Mindestabnahmemengen. Eine Klausel in den teils bis 2030 laufenden Verträgen schreibt vor, dass Versorger bei Gasprom eine bestimmte Menge Gas kaufen müssen – egal, ob es dafür einen Markt gibt oder nicht.
„Das größte Problem für Gasprom ist, dass mittelfristig die Märkte wegbrechen“, sagt Energieexperte Frank Umbach vom Centre for European Security Strategies. Er beruft sich auf neueste Analysen der International Energy Agency (IEA), die eine Stagnation des Gasverbrauchs in Europa nicht mehr ausschließen. Immerhin bauen die Europäer immer mehr Kernkraftwerke, investieren in Energieeffizienz und beziehen zunehmend Flüssiggas aus Katar, das zum Teil um die Hälfte billiger ist als Gas aus russischen Pipelines.
Die Manager in der Gasprom-Zentrale im Süden Moskaus müssen sich Gedanken machen, wie sie ihre Gasförderung kostengünstiger gestalten können, wie sie ihre Pipelines füllen und die treuen Kunden im Westen halten. Sonst wird es ungemütlich für die „Gasowiki“ – nicht nur an Loch 16.
Florian Willershausen
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