Russland

Mit Energiesparlampen gegen den Klimawandel

Das Bild ist sehr lustig: Ein als grüne Abfalltonne verkleideter Mann entsteigt einer Unterführung in der Moskauer Innenstadt. Seine großen aufgemalten Kulleraugen erblicken einen Trupp Polizisten, genauer OMON, die Sondereinheit zur Auflösung von Demonstrationen. Die Tonne läuft davon, die Polizisten hinterher. Dann schnappen sie zu und schleppen das Plastikkostüm mit dem freundlichen Grinsegesicht nebst Inhalt in den Polizeibus. Tatjana Orechowa, Mitarbeiterin von Greenpeace Russland, muss jedes Mal lachen, wenn sie das Video anschaut.

„Sehen Sie“, sagt die 28-Jährige mit Tränen in den Augen. „Unser Aktivist hat einfach nur Unterschriften gegen Müllverbrennungsanlagen gesammelt, da haben sie ihn festgenommen.“ Etwas Besseres hätte den Umweltschützern aber gar nicht passieren können. Das tragisch-komische Video, flugs im Internet verbreitet, hat die Sympathien vieler Menschen gewonnen und der Aktion Hunderte Unterschriften eingebracht. Ein echter Erfolg: Es ist nicht einfach, Russen für Umweltthemen zu begeistern.

„Die Russen haben so eine Eigenart“, erklärt Orechowa und greift mit beiden Händen  nach dem Kragen ihrer Jeansjacke. „Sie denken zuerst an ihr eigenes Fell.“ Deshalb sei es so schwer, den Leuten die Gefahren des Klimawandels begreiflich zu machen. Und noch schwieriger sei es, die Bewohner des rohstoffsatten Landes zum Sparen zu erziehen. „Wir sind ein reiches Land, hat die Regierung immer gesagt, deshalb können wir mit Ressourcen auch verschwenderisch umgehen.“ Diese Mentalität sei in vielen Köpfen geblieben.

Seit Jahresbeginn arbeitet Tatjana Orechowa in der Moskauer Greenpeace-Zentrale daran, den alten Gleichmut aus den Köpfen zu vertreiben. Sie koordiniert das Energiesparprogramm der Umweltorganisation. Eine Herkulesaufgabe: Russland ist nicht nur drittgrößter CO2-Produzent der Welt nach den USA und China, sondern auch der größte Wärmeenergieverschwender. Russische Heizungen sind fast immer zentral gesteuert, Thermostate oder Regler eine Seltenheit. Wem zu warm ist, der reißt ein Fenster auf. Der Energieverbrauch in Kilogramm Öl pro Kopf und Jahr liegt in Putins Riesenreich zwar nur wenig über dem deutschen Verbrauch (4424 : 4205). Er stieg aber bis zur Wirtschaftskrise stetig an und wird vermutlich in Zukunft noch weiter steigen. Das größte Problem dabei ist die geringe Effizienz der Energienutzung. Aus einem Kilogramm Öl werden in Deutschland fast sechs Dollar Bruttoinlandsprodukt, in Russland sind es nur zwei Dollar, wie Greenpeace Energieexperte Wladimir Chuprow berichtet.

Während andere Länder sich bemühen, dem Klimawandel entgegenzusteuern, macht Russland auch als Unterzeichner des Kyotoprotokolls weiter wie bisher. Chuprow erzählt in seinen Vorträgen und Präsentationen deshalb gerne einen zynischen Witz des ehemaligen Präsidenten und heutigen Regierungschefs Wladimir Putin. Dieser soll bei einer internationalen Klimakonferenz 2003 gesagt haben, dass es doch gar nicht schlecht wäre, wenn es in Russland zwei, drei Grad wärmer wäre. Die Russen müssten dann weniger Geld für Pelz und warme Kleidung ausgeben. Für Chuprow ist diese Einstellung ein Hohn. „Nach den Plänen der Regierung könnten sich die CO2-Emissionen bis 2020 noch um 40 Prozent erhöhen“, klagt der Aktivist. Nennenswerte Anstrengungen zur Erschließung erneuerbarer Energien gibt es in Russland nicht.

Nach der politischen Wende von 1990 hatte es zunächst günstig ausgesehen für einen Wandel in der Umweltpolitik. Präsident Boris Jelzin hatte 1991 ein Umweltministerium geschaffen und Russland moderne Umweltgesetze gegeben. Sein Nachfolger Putin löste allerdings das Staatliche Umweltkomitee auf, das aus dem Umweltministerium entstanden war. Dessen Aufgaben übertrug er passenderweise dem Rohstoffministerium.

Der aktuelle russische Präsident Dmitrij Medwedjew, der sich gerne etwas liberaler zeigt als sein Ziehvater Putin, hat im vergangenen Jahr erstmals ein staatliches Energiesparprogramm auf den Weg gebracht. Darin empfiehlt er auch eine Zusammenarbeit mit anerkannten Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace. Tatjana Orechewa mag trotzdem nicht so recht an diese Initiative glauben: „Das Papier ist prinzipiell eine gute Sache, wenn es denn umgesetzt wird“, erklärt die Umweltschützerin knapp. Aus ihrem Blick sprechen Zweifel.

Weil man an der staatlichen Wirtschafts- und Umweltpolitik sowieso wenig ändern kann, arbeitet Orechewa lieber mit kleinen, banalen, aber konkreten Schritten. „Es gibt so viele kleine Dinge, die jeder tun kann“, sagt Orechowa und strahlt vor Motivation. Das Licht ausschalten zum Beispiel, wenn man einen Raum verlässt, oder das Wasser abdrehen beim Zähneputzen. Genau diese kleinen Handgriffe erklären Greenpeace-Helfer unermüdlich an Straßenständen, in Klassenräumen und bunten Prospekten. „Wir sprechen hier keine wissenschaftliche Sprache, sondern treten mit ganz einfachen Vorschlägen und Argumenten an die Menschen heran“, erzählt Orechowa.

Vor dem Fenster ihres Büros am Leningradskij Prospekt schieben sich an diesem Nachmittag auf sieben Spuren die Autokolonnen vorbei. Die Scheiben müsste man täglich putzen, um sie von Ruß und Schmutz zu befreien. „Ich finde das Leben in Moskau manchmal sehr anstrengend“, gesteht Orechowa. Dann fehle ihr die sibirische Heimat, Omsk und seine Umgebung, die schönen Wälder der Taiga. Dort hat sie Sprachwissenschaften studiert, später zog sie in die Hauptstadt, wie so viele, studierte Betriebswirtschaft und arbeitete in einer Consulting-Firma. Im Businesskostüm ging die junge Frau täglich in die Moskauer Firmen und pries Beratung an. Irgendwann hat ihr dieser Job nicht mehr gefallen. „Ich habe gemerkt, wie uninteressant das ist und wie sinnlos“, sagt Orechowa.

Heute geht sie wieder im Kostüm in die schicken Büros der Moskauer Werbeagenturen, IT-Firmen und Hotels, allerdings in anderer Mission: Orechowa erklärt den Businessleuten, dass man mit Energiesparlampen Geld sparen kann, und warum es besser ist, umweltfreundliches Toilettenpapier zu verwenden. „Grünes Büro“ nennt sich das Projekt. „Es ist toll, weil wir nicht nur Einzelne ansprechen, sondern Hunderte Mitarbeiter, die dieses Wissen dann mit nach Hause nehmen.“

Die Wirtschaftskrise, die alle Welt beutelt, spielt ausgerechnet Greenpeace in Russland in die Hände. „Mit vielen unserer Hinweise können die Firmen Geld sparen. Das kommt sehr gut an“, weiß Orechowa. Immer mehr Unternehmen rufen in der Greenpeace-Zentrale an, um von der Beratung zu profitieren. Sie wollen Geld sparen und auch ein bisschen an ihrem Image polieren. Denn langsam, ganz langsam kommt es auch in Russland in Mode, ökologisch zu sein. Die Greenpeace-Zentrale registriert monatlich bis zu 300 neue Mitglieder.


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