„AUF UNS SCHAUT GANZ EUROPA“
Moskau fiebert dem Finale in der WM-Qualifikation für Südafrika entgegen
(n-ost) – Hunderte neue Tannen und Lärchen haben die beiden Gärtner rund um das Luschniki-Stadion schon gepflanzt. Ein paar Löcher müssen sie noch zuschaufeln, dann ist alles bereit: Russland will sich am Samstag von seiner besten Seite zeigen, wenn dort das Spiel des Jahres steigt – und natürlich gewinnen. „2:1 für uns“, tippt Alexander, einer der Gärtner, und liegt damit auf der allgemeinen Linie. Ganz Russland ist optimistisch, sich am Samstag direkt für die Endrunde der WM 2010 in Südafrika zu qualifizieren – und die Deutschen in die Relegation zu schicken. Vor dem Showdown in Moskau belegt der Vize-Europameister mit 22 Zählern Platz eins in der Gruppe 4, knapp vor den Russen mit 21 Punkten.Den optimistischen Ton gibt der aus den Niederlanden stammende Nationaltrainer Guus Hiddink an. Wenn sein Team gewinne, sagte er vor einigen Tagen dem ZDF, werde er einen „Jorsch“ trinken: Das ist ein teuflisches Gemisch aus Bier und Wodka – ähnlich dem deutschen „Herrengedeck“. In Interviews der letzten Tage spricht er vom „Spiel der Spiele“ in der europäischen Qualifikationsrunde. „Auf uns schaut ganz Europa“, ist sich Hiddink sicher. Dabei wird er nicht müde, sein Team zu loben, das „auf Augenhöhe mit der deutschen Nationalmannschaft“ stehe – eine Aussage, die noch vor wenigen Jahren in Russland kaum jemand ernst genommen hätte. Doch die Russen holten Hiddink 2006 nach Moskau, um der „Sbornaja“ zu einer Wiedergeburt zu verhelfen – und der Holländer hat die Erwartungen erfüllt: Nach Jahren der Blamagen wurde das russische Nationalteam bei der Europameisterschaft 2008 Dritter. Nun ist die Qualifikation für die WM 2010 in greifbarer Nähe – es wäre erst die dritte WM-Teilnahme seit dem Ende der Sowjetunion. Für seine Erfolge wird Hiddink in Russland verehrt: Noch während der letzten EM ließ ihm der Direktor eines Erholungsheims auf der russisch geprägten Krim ein Denkmal errichten.Während Bundestrainer Jogi Löw von Verletzungssorgen geplagt ist, kann der russische Coach kann für das Spiel aus dem Vollen schöpfen: Kein Leistungsträger ist verletzt, und Stürmer Andrej Arschawin (Arsenal London) hat sich nach einem Formtief wieder zu alter Stärke geschossen. Nach Meinung vieler wird auch der Kunstrasen im Luschniki-Stadion den Russen Vorteile bringen – die Deutschen sind weit weniger daran gewöhnt. Sorgen muss sich Hiddink lediglich wegen der Formschwäche von Stürmerstar Roman Pawljutschenko machen, der bei Tottenham seit Anfang September kein einziges Spiel absolviert hat. Zudem hat die Abwehrriege von ZSKA Moskau, die in der Nationalmannschaft mit Wasilij Beresuzki und Sergej Ignaschewitsch die deutschen Stürmer aufhalten soll, sich in letzter Zeit äußerst unzuverlässig gezeigt.Russische Medien beschwören in diesen Herbsttagen die Erinnerung an das EM-Qualifikationsspiel gegen England herauf: Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren besiegte die „Sbornaja“ die Gäste von der Insel in einem glanzvollen Auftritt mit 2:1 – und sicherte sich dadurch die Teilnahme an der EM 2008. Nach einem 0:1-Rückstand zeigten die Russen damals Größe: Pawljutschenko schoss das Team mit zwei Toren zum Sieg. Auch Hiddink zieht diesen Vergleich: „Diese mentale Stärke gefällt mir an meiner Mannschaft“, sagt er, „aber gegen Deutschland müssen wir sogar noch zulegen.“Antideutsche Stimmungsmache, wie sie einige britische Medien traditionell vor Spielen gegen die Deutschen betreiben, gibt es in Russland kaum. Selbst in Fanforen im Internet ist der große Respekt vor Jogi Löws Team zu spüren. Aber die sportlichen Erfolge der vergangenen Jahre haben die Russen selbstbewusst gemacht. Zur Bekräftigung wird schon mal der russische General Alexander Suworow zitiert: „Wir sind Russen, deshalb werden wir siegen!“ Die meisten tippen auf einen 2:1-Sieg ihres Teams – offenbar inspiriert vom Sieg über England.Für etwas Irritation sorgt unter den Fans allerdings die Berufung des Schiedsrichters Massimo Busacca: Der zeigte vor einigen Wochen bei einem Cup-Spiel des FC Baden und der Young Boys Bern den Stinkefinger in Richtung Berner Fan-Ecke. In den russischen Internetforen kursieren zudem Videos, die belegen sollen, dass eben jener Busacca am 12. September bei einem Fußballspiel in Qatar zwischen den Teams Al-Gharafa und Al-Khor während eines Eckballs auf den Platz gepinkelt habe. Die Vorwürfe wurden inzwischen allerdings widerlegt.Der russische Fußballverband will die zumindest europaweite Aufmerksamkeit auch dazu nutzen, um sich für die Fußball-WM 2018 zu empfehlen. So soll während des Abspielens der Hymnen der gesamte Fanblock unter einem riesigen Banner verschwinden, das „den Wunsch der Russen nach einem Sieg der Bewerbung für die WM 2018 oder 2022 ausdrückt“. Aus demselben Grund wollen die Russen mit einem Großaufgebot der Polizei Ausschreitungen von Hooligans verhindern: Zusätzlich wird eine Delegation der deutschen Polizei nach Moskau reisen. „Diese sollen vor dem Spielbeginn Randalierer ermitteln, die bereits in deutschen Fußballstadien aufgefallen waren, und diese neutralisieren. Die Listen dieser Personen werden derzeit zusammengestellt“, sagte ein Sprecher der russischen Polizei. Die Milizionäre würden außerdem die deutschen Fanbusse begleiten und auch in den Hotels für Sicherheit sorgen.Den Schwarzhandel mit Tickets für das „Spiel der Spiele“ konnte der russische Fußballverband allerdings nicht verhindern: Der russische Fußballverband hatte 20.000 Karten über die Fanverbände vergeben, und die übrigen über das Internet verlost. Einige Tage vor dem Spiel werden von Schwarzhändlern die letzten Tickets ab 15.000 Rubel verkauft (ca. 350 Euro), in Wirklichkeit kosten sie nur ein Zehntel davon. Die teuersten Plätze in der VIP-Lounge in Sichtweite der Prominenz kosten laut der Zeitung „RBK daily“ sogar bis zu einer Million Rubel (22.000 Euro). Ende vergangener Woche nahm die russische Polizei zudem den ersten Händler fest, der einem verdeckten Ermittler 95 falsche Tickets verkauft hatte. „Wir sind beunruhigt von Informationen über eine große Zahl falscher Tickets“, sagte Wladimir Aljoschin, Direktor des „Luschniki“-Stadions. Auch wenn die „offiziellen“ Tickets mit einem Hologramm geschützt sind – die Polizei rät den Fußballfans grundsätzlich davon ab, Tickets auf der Straße zu kaufen.Moritz Gathmann
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