Babywindeln statt Klimasünde
Wertvolles Erdgas als Abfallprodukt auf russischen Ölfeldern– das wird jetzt per Gesetz verboten
(n-ost) - Russlands größte Klimasünde ragt wie Feuerzungen zwischen den dünnen Birken der Taiga in den Himmel. Meterhohe Gasfackeln lassen das ewige Eis im Umkreis schmelzen. Wer von der Ölstadt Chanti Mansijsk im Nordwesten Sibiriens in die Taiga hineinfährt, der kann die gewaltige Hitze spüren, das Gas riechen und das Fiepen hören, das in den Ohren schmerzt wie ein Tinitus. Die lodernden Fackeln sind selbst von einem Satelliten aus noch zu sehen. Auf den Infrarotaufnahmen des Forschungsinstituts URIIT in Chanti Mansijsk leuchtet das kalte Sibirien wie ein Weihnachtsbaum.Die Fackeln sind Russlands größte Klimasünde. Kostbares Erdgas, das bei der Ölförderung anfällt, aber nicht weiter verwendet wird, wird als Abfallprodukt neben den Bohrstationen angezündet. Dabei enthält es die Klimakiller Kohlendioxid und Methan, die die Atmosphäre hochgradig belasten. Angeblich 15 Milliarden Kubikmeter entweichen jährlich in Sibirien. So lauten die offiziellen Angaben Russlands. In Wahrheit ist es jedoch viel mehr.
Fast 60 Milliarden Kubikmeter Erdgas werden neben der Ölpumpstation abgefackelt. Foto: Simone Schlindwein
Eine Studie der Weltbank vom September 2007 schätzt die Menge auf 50 bis 60 Milliarden Kubikmeter. „Das ist fast soviel Gas wie Russland nach Frankreich exportiert“, sagt Helmut Schreiber und schüttelt den Kopf. Er ist leitender Umweltökonom der Weltbank in Moskau und kämpft in Sachen Gasverbrennung seit Jahren gegen Windmühlen. Laut der Weltbank-Studie ist Russland der Verschwender Nummer Eins weltweit, dicht gefolgt vom afrikanischen Ölförderland Nigeria.Doch Schreiber hat Hoffnung. Seitdem die Energiepreise auf dem Weltmarkt sämtliche Rekorde brechen, findet auch in Russland so langsam ein Umdenken statt. „Vor allem aus wirtschaftlichen Gründen“, sagt Schreiber. Immerhin gebe es schon kleine Erfolge, erklärt er. Schreiber berät die Regionalverwaltung von Chanti Mansijsk, die das neu erlassene Gesetz zur Eindämmung dieser Praxis möglichst schnell umsetzen will. Und die Ölfirmen zeigen sich kooperativ, erklärt der Gouverneur Alexander Filippenko: „Gasverbrennung ist nicht nur schlecht für die Umwelt, sondern auch für das Budget“, argumentiert er. Damit verschaffte er sich in den Chefetagen der Ölfirmen Gehör.Das föderale Gesetz setzt ehrgeizige Ziele: Bis 2012 soll die Gasverbrennung auf fünf Prozent reduziert werden. Doch diese Regelung stellt die Ölproduzenten in Russland vor große Herausforderungen. Sie müssen Ideen entwickeln, wie sie das Gas weiter verwerten. „Wir haben nicht auf dieses Gesetz gewartet“, gibt LUKoil-Vizechef Leonid Fedun zähneknirschend zu. Es ist ein Plan, der noch unter der Präsidentschaft des jetzigen Premierministers Wladimir Putin entworfen wurde.Seit einigen Monaten suchen die russischen Ölkonzerne nach Lösungen. Am lukrativsten wäre es aus ihrer Sicht, das bei der Ölförderung anfallende Gas in die Pipelines des Energieriesen Gazprom einzuspeisen. Für 410 Dollar pro tausend Kubikmeter könnten die Ölfirmen ihr Beiprodukt nach Europa verkaufen. Doch LUKoils Chefstratege und Vizepräsident Fedun erklärt, warum dieser Weg bislang für den zweitgrößten Gasproduzenten Russlands keine Option darstellte: Sämtliche Gaspipelines gehören Gazprom. Und der Gasmonopolist könne die Preise nach seinem Gusto bestimmen.Rund elf Dollar bot der halbstaatliche Gazprom-Konzern dem Privatunternehmen LUKoil für tausend Kubikmeter – ein Taschengeld für ein Produkt, das am anderen Ende der Pipeline rund 400 Dollar teurer ist. „Bisher war es einfacher, Gas zu verbrennen, als es in die Pipelines zu speisen und damit praktisch umsonst abzugeben“, sagt Fedun. Doch er gibt zu, dass sich die Lage geändert habe. Heute nähert sich der Gaspreis in Russland der Marke von 70 Dollar pro tausend Kubikmeter. „Damit ist es jetzt wirtschaftlich sinnvoll geworden, das Gas zu nutzen“, sagt Fedun. „Ich denke, dass wir 2011 mindestens 98 Prozent des Begleitgases nutzen werden.“Doch das dürfte ein teures Unterfangen werden. Die Ölfirmen müssen Raffinerien bauen, um das Gas zuvor zu reinigen, und hunderte Kilometer Pipelines in der Taiga verlegen, um einen Anschluss an die Gazprom-Röhren zu schaffen. Erst dann kann das Gas von den Ölfeldern in das Gazprom-Netz eingespeist werden. Chefstratege Fedun seufzt. Mehrere hundert Millionen Dollar jährlich müsse LUKoil investieren. „Im Verhältnis zur Erschließung sind das hohe Summen“, sagt er. Und das in einer Zeit, in der in Russland dringend neue Ölfelder erschlossen werden müssen, um die große Nachfrage zu decken.Händeringend suchen die Ölgiganten in Russland deswegen nach Alternativen. Selbst die Öl-Tochter des Gasgiganten Gazprom muss sich billigere Methoden einfallen lassen. An ihrer Pumpstation nahe der Stadt Chanti Mansijsk installiert sie derzeit eine Turbine, die zehn Prozent des Gases in Strom verwandelt, der den Erhitzer antreibt. In Kürze soll sie in Betrieb gehen. Doch Pumpstation-Chef, Pawel Asinzow, ist skeptisch: „Europa braucht dringend mehr Öl, wir sollten uns auf den Ausbau der Produktion konzentrieren“, sagt er und zeigt auf die fünf Meter hohe Fackel neben ihm: „Gas haben wir doch genug in Reserve.“Das russisch-britische Gemeinschaftsunternehmen TNK-BP ist schon viel weiter. Im drittgrößten russischen Ölkonzern arbeitet eine Abteilung seit Jahren daran, das Gas weiter zu verwerten. Stolz zählt Oleg Tschemesow, Vize-Präsident des TNK-BP Managements und Generaldirektor des Büros in Tjumen, die Möglichkeiten auf: Energiegewinnung vor Ort, Einspeisung bei Gazprom und Verkauf an die Tobolker Polymer-Fabrik. In drei bis fünf Jahren will TNK-BP 95 Prozent des Gases verwerten. Die neuen Ölfelder fackeln nur noch zwei Prozent ab.
In der Polymerfabrik in Tjumen wird das Gas zu Plastik weiterverarbeitet. Foto: Simone Schlindwein
Weiter südlich in Russlands größter Ölförderregion Tjumen, in der Nähe der Kleinstadt Tobolsk, freut sich Generaldirektor von „Tobolsk Polymer“, Leonid Schenakow, über den Gas-Segen. Seine Fabrik produziert aus dem Gasgemisch, das aus den Ölfeldern entweicht, Kunststoff-Granulat. Diese Kügelchen werden anschließend in China zu Plastik und Gummi weiter verarbeitet. „Plastikbecher, Baby-Windeln, Medizinhandschuhe – aus dem Gas kann man alles machen!“, erklärt er.Mit Helm und Ohrschützern ausgestattet hetzt Schenakow entlang der silbernen Röhren durch die Fabrikanlage. Auch dort ist das Fiepen zu hören, das tausende Kilometer nördlich die Stille des ewigen Eises stört. Eine kleine Gasfackel lodert über dem Röhrengeflecht in den Himmel. „Die brennt nur zur Sicherheit“, erklärt Schenakow. „Damit beim Ausfall der Maschinen der Druck entweicht.“ Immerhin ist diese Fackel schon viel kleiner als die in Chanti Mansijsk.Simone Schlindwein
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