Warten aufs Atomkraftwerk
Die Zukunft von Belene beginnt drei Kilometer vor dem Ortsschild. Dort befindet sich eine mit Draht abgezäunte Großbaustelle mit fünf Baukränen, die zwischen flachen Feldern und einer weiten Auenlandschaft hervorragen. Inmitten der Kräne eine Bauruine aus Beton: Dort soll der Block 1 des künftigen Atomkraftwerks Belene entstehen.
Die Idee von Belenes Zukunft ist so alt wie die Mittdreißiger des Ortes. Wie etwa Gemeindesekretär Momtschil Spassov. „Wir haben die ganze Zeit mit Ungeduld auf das Projekt gewartet“, sagt der 33-Jährige. Von seinem Büro, getäfelt mit dunklem Holz, fällt der Blick auf das Zentrum des 9000-Einwohner-Ortes: Fußgängerzone, Administrationsgebäude im sozialistischen Design, quadratisch-adrette Beete, in denen die ersten Blumen sprießen. Die Gemeinde wird ihren zweiten Frühling erleben, ist Spassov gewiss. „Belene wird ein Energie-Zentrum.“
Eingang zum geplanten AKW Belene. / Jutta Sommerbauer, n-ost
Bereits in den 70ern begann man in Bulgarien, Orte für ein Atomkraftwerk zu suchen. Die Wahl fiel auf Belene, drei Stunden von Sofia entfernt, am südlichen Donau-Ufer an der Grenze zu Rumänien. 1981 wurde mit dem Bau des Atomkraftwerkes begonnen, 1990 wurde er wegen Geldmangels eingestellt. 2002 holte die Regierung Sakskoburggotski die AKW-Pläne wieder aus der Schublade heraus. Nachdem klar war, dass als Tauschhandel für den EU-Beitritt zwei Reaktoren des bestehenden AKW Kozlodui abgeschaltet werden müssen, wurde Belene zunächst für die gekränkten bulgarischen AKW-Lobbyisten, später für einen Großteil der Bevölkerung zu einer nationalen Fixidee.
Aus der nationalen Idee wurde im Januar 2008 ein binationales Projekt: Da ist per Handschlag zwischen Russlands damaligem Präsidenten Wladimir Putin und seinem bulgarischen Amtskollegen Georgi Parvanov besiegelt worden, dass Atomstroyexport, eine Tochter des russischen Staatsunternehmens Gazprom, das Kraftwerk errichten wird: Damit ist das AKW Belene das erste neue Kraftwerk innerhalb der EU, das von einer russischen Firma gebaut wird.
Wegweiser zum AKW im Ortszentrum. / Jutta Sommerbauer, n-ost
Seit September laufen die Vorarbeiten, im März 2009 ist der geplante Baustart des ersten Reaktors. Der Essener Energiekonzern RWE erwägt sich mit 49 Prozent an der Betreibergesellschaft zu beteiligen, den Rest hält der staatliche Energieversorger NEK. Allerdings spaltet das Vorhaben inzwischen die Konzernspitze: Im Aufsichtsrat gibt es massiven Widerstand gegen die Pläne von RWE-Vorstandschef Jürgen Großmann. Aktivisten der Umweltschutzorganisation Robin Wood haben bereits mehrfach gegen das mögliche RWE-Engagement und das AKW Belene protestiert und in Deutschland und Bulgarien mehr als 20.000 Unterschriften gesammelt.Das alles interessiert die Einwohner von Belene indes nicht. Sie sind ein in Bulgarien höchst seltener Menschenschlag: Optimisten. Sie möchten Belenes über die Jahrzehnte angeschlagenes Image zurechtrücken: wegen des früheren Straflagers der Kommunisten, wegen der im Sommer grassierenden Mücken, wegen der Randlage des Ortes. Seit über einem Vierteljahrhundert warten sie auf den großen Augenblick. Jetzt scheint er da zu sein, und plötzlich muss alles sehr schnell gehen.
"Bulgarien in der EU" - das Ortszentrum von Belene. / Jutta Sommerbauer, n-ost
„Wir sind spät dran“, gibt Gemeindesekretär Spassov zu. Der Ort braucht eine Kanalisation, neue Häuser, neue Straßen. Einen seitenlangen Aktionsplan hat die Gemeinde erstellt, auch an europäischen Programmen möchte sie teilnehmen, Consultants sollen dabei helfen. Zwischen 2010 und 2012 sollen 5000 Bauarbeiter im Ort leben. 5000 Arbeiter, mehr als halb so viel wie die derzeitige Bevölkerung, die Wohnraum benötigen. Etwa in den verfallenen Plattenbauten, Betonskelette an der Ortsausfahrt, die für die damaligen Arbeiter gebaut und nie bezogen worden waren? Auch nach dem Abzug der Arbeiter, wenn „Spezialisten“ das Kraftwerk betreiben, soll der Ort profitieren: Handel und Tourismus sollen sich entwickeln, einen Business-Park will man an Land ziehen.
In Spassovs Sitzungszimmer hängt neben dem Bild des bulgarischen Nationalhelden Vasil Levski ein Wandkalender: Bulgariens Präsident Georgi Parvanov beim Händeschütteln mit Wladimir Putin. Befürchtungen wegen des wachsenden russischen Einflusses im heimischen Energiesektor hat die Gemeindespitze nicht. Dass sich Atomstroyexport den Auftrag gesichert hat, regt nicht weiter auf. Immerhin habe ja auch die Europäische Kommission dem Projekt ihren Sanktus gegeben – auch wenn man nicht weiß, ob sich das vier Milliarden teure Projekt je rentieren wird.
In der Industriezone liegt das „Gymnasium für Atomenergie – Marie Curie“. „Im Ort war mal viel los“, beschreibt die Lehrerin Alena Drazhanska die Stimmung während der 80er Jahre. Auch sie sollte im AKW als Ingenieurin arbeiten. Als das Projekt eingefroren wurde, ließ sich Drazhanska zur Lehrerin weiterbilden und fand Arbeit in der Schule. Das Gymnasium, gebaut, um heimische Fachkräfte für das Kraftwerk auszubilden, ist ein Überbleibsel der verpatzten Geschichte, eines der vielen Symbole für den nicht verwirklichten sozialistischen Plan.Die Schüler aus der Abschlussklasse scheint die Karriere-Chance AKW nicht sonderlich zu beeindrucken, der Arbeitsplatz Kraftwerk klänge verheißungsvoller, wenn er sich in einer großen Stadt befände. „Das ist doch wie ein Dorf hier“, sagt der 19-jährige Valentin Hristov. Wie gern würde er ins Ausland gehen. Kommen künftig mehr Leute nach Belene, werde es vielleicht ein bisschen besser.
Schüler im Atomenergie-Gymnasium. / Jutta Sommerbauer, n-ost
In Belene glaubt man an die Atomkraft, weil man über all die vielen Jahre an sie geglaubt hat. Es ist wie die Einlösung eines Versprechens. Selbst die Umweltschützer aus dem Naturpark „Persina“ sind dafür. „Eine Chance für den Tourismus“ nennt es Naturpark-Sprecherin Daniela Karakascheva. Bird-Watching neben dem AKW – ist das kein Widerspruch? Doch, aber ein „interessanter“, findet sie.Protest, das sagen alle in Belene, komme nur von außerhalb. Von Aktivisten aus Sofia, Neidern aus der benachbarten Stadt Swischtow, aus Rumänien, einem Land, das sich doch selbst in den nächsten Jahren atomar aufrüsten will. In Belene blickt man vertrauensvoll in die Zukunft. Vielleicht, „weil dann hier endlich etwas passiert“, wie Karakascheva sagt. Und sei es auch, dass ein Atomkraftwerk gebaut wird.