Albanien

Zwischen Hollywood und Balkanklischees

Um einen Film im Kino sehen zu können, braucht es in Albanien mindestens vier Zuschauer. Vereinzelt warten deshalb vor dem Kino „Millenium“ in Elbasan, einer Stadt in Mittelalbanien, willige Kinogänger darauf, Gleichgesinnte zu treffen. Doch das ist schwieriger, als jemanden zu finden, mit dem man einen Kaffee trinken kann.Die gähnende Leere in albanischen Kinos hat nichts mit den Preisen zu tun: In Elbasan kostet eine Karte umgerechnet knapp einen Euro, manchmal sind die Vorführungen sogar kostenlos. Für dieses Geld bekommt man zwei Kaffee. Trotzdem ist Kaffeetrinken weitaus populärer als der Gang ins Kino. Denn im Café wird man gesehen und kann sich sehen lassen.Dieser soziale Exhibitionismus ist für die meisten Albaner weit mehr wert als in einem dunklen Saal unerkannt zu verschwinden.

„Man sitzt zwei Stunden in der Dunkelheit wie ein einsamer Mensch. Mit dem gleichen Geld kann ich meine Freunde in die Cafeteria einladen. Ich kann mit ihnen über unsere Welt sprechen und gleichzeitig gewinne ich an Prestige“, sagt ein Mann, der gerade auf dem Weg in eine der Cafeterias vor dem Kino „Millenium“ ist.Der Graben zwischen der realen Welt der Zuschauer und der heilen Welt auf der Kinoleinwand macht dem albanischen Film zu schaffen. Der albanische Film wird sein Image, sich mit unrealistischen und unrepräsentativen Inhalten nicht um die sozialen Bedürfnisse der Albaner zu scheren, nicht los. Genau 50 Jahre, nachdem der erste albanische Film „Tana“ über die Leinwand flimmerte, werden die Kinoprogramme von kommerziellen Hollywood-Streifen beherrscht, die nichts mit der albanischen Realität zu tun haben.

Dieses Problem existiert nicht erst seit heute. Der Maler und Filmkritiker Gëzim Qendro erklärt, dass der albanische Film bereits zu Zeiten des Diktators Enver Hoxha in einem eher  surrealen Verhältnis zur Wirklichkeit stand. Schon damals gaukelte man den Zuschauern auf der Leinwand eine Realität vor, die mit der Lebenswirklichkeit nichts zu tun hatte. Schlecht ausgearbeitete Drehbücher, mangelnder Professionalismus und fehlende Geldmittel sind heute die Grundprobleme des albanischen Films.In Webforen wird die Hauptursache für die Misere in der fehlenden finanziellen Unabhängigkeit des albanischen Films gesucht: Weil die meisten der aktuellen albanischen Filme in Zusammenarbeit mit dem Ausland und in Abhängigkeit von europäischen Geldern produziert werden, werden die Filme von den ästhetischen Erwartungen des westeuropäischen Kulturbetriebs geprägt. Sie bedienen daher exotisch erscheinende Klischees und Balkan-Stereotypen, so die Meinung der User auf den Webforen.

Beispielhaft für das Versagen der albanischen Filmindustrie ist einer der jüngsten Filme: „Die Zeit des Kometen“ („Koha e Kometit“). Die deutsch-albanisch-mazedonisch-französische Co-Produktion hat nicht nur wegen seiner Bewerbung „als Wendepunkt der albanischen Kinematographie“ große Erwartungen geweckt. Auch die überdurchschnittlichen Produktionskosten, die höher liegen als die aller bisher produzierten albanischen Filme, waren ein Indiz dafür, das Neues auf der Leinwand zu erwarten ist.Die Grundlage für den Film bildet das Buch „Das verflixte Jahr“ des albanischen Schriftstellers Ismail Kadare, geschrieben 1985, im Todesjahr des Diktators Enver Hoxha. Der Plot ist schnell erzählt: Im Jahr 1914 ernennen die Großmächte einen deutschen Fürsten zum König des neu gegründeten Staates Albanien. Eine Gruppe Jugendlicher verlässt ihr Dorf, um den Krieg zu finden und für den neuen König zu kämpfen. Doch statt Krieg finden sie in ihrem Land nur Anarchie und Chaos. Es gibt keinen Feind – das ist die erstaunliche Schlusseinsicht der Protagonisten. Ein ungewöhnlich versöhnliches und tolerantes Fazit für einen Film vom Balkan, wo das Medium immer wieder dazu benutzt wurde, um Nationalismen und Hass zu schüren.

Regisseur Fatmir Koçi setzt bei den Schauspielern neben den Albanern Blerim Destani und Masiela Lusha auch auf deutsche Akteure wie Thomas Heinze und Ralf Möller. Mit diesem Film wurde Ende August das diesjährige Internationale Filmfestival von Durrës eröffnet, wo er als bester albanischer Film eine Auszeichnung erhielt. Trotz der großen Ambitionen krankt aber auch dieser Film an der Wirklichkeitsferne. Bis jetzt ist der Film beim albanischen Publikum glatt durchgefallen: Er hatte gerade einmal 2.100 Zuschauer.In Koçis ereignislosem Werk zeigen sich einmal mehr die Schwächen des albanischen Kinos: das Überagieren der Schauspieler, das Exotisieren des Landes, monotone Dialoge und fehlende historische Exaktheit. Der Film bietet kaum Bezüge zu einer albanischen Realität, die immer mehr durch Korruption und den Kampf um das tägliche Überleben bestimmt wird. Publikum und Produzenten finden sich an den entgegengesetzten Enden einer ästhetischen Skala wieder.Ein weiteres Problem: Gerade im Vergleich zu den actionreichen und für Albaner glanzvollen Streifen aus Hollywood, die dem idealisierten Bild des Westens entsprechen, haben einheimische Filme kaum eine Chance. Jeder Film auf dem albanischen Markt muss sich mit Hollywood als Referenz messen. Und da wird der albanische Film in der Öffentlichkeit als zu schwer verdaulich und zu düster kritisiert. Kino sollte zu einem Ort des leichten Entertainments werden. Für Filmkunst will keiner bezahlen, für gute Unterhaltung schon.Den Bedarf an Unterhaltung stillt der Albaner vor dem Fernseher in Form von Telenovelas, die als Auslandsimport mit albanischen Untertiteln das Vorabendprogramm bestimmen. Um diese Fernsehserien hat sich eine treue Anhängerschaft gebildet, die aber keinerlei Beziehung zur Institution Kino entwickelt hat.

Da zeigt sich ein weiteres Problem des albanischen Kinos und seines Publikums: Das sozialistische Regime wird für die fehlende Herausbildung eines gefestigten ästhetischen Geschmacks verantwortlich gemacht.In der albanischen Öffentlichkeit ist zudem die Institution Kino im weitesten Sinne umstritten. Die Zeit der Umbrüche in den 90er-Jahren hat dem albanischen Kino einen anrüchigen Beigeschmack mitgegeben: In dieser Zeit wurden die Kinosäle zu Orten für Glücksspiele und Billiard umfunktioniert. Im heutigen Albanien sind das Kino und der Film anders als in Westeuropa kein soziales Ereignis. Sie sind nicht einmal Teil der albanischen Alltagskultur.


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