Ungarn

Osteuropas Hollywood

Wer durch die Traumfabrik von Laszlo Krisan spaziert, braucht Phantasie. Der Filmstudio-Chef erzählt von millionenschweren Hollywood-Produktionen, gigantischen Sets und Unterwasser-Werbeaufnahmen - alles hier, in den Hügeln des ungarischen Weingebiets Etyek nahe Budapest. Zu sehen ist davon an diesem Herbsttag jedoch so gut wie nichts. Die großen Hallen und Parkplätze der Korda Studios sind leer und verlassen. Schuld daran sind laut Studiochef Krisan vor allem die streikfreudigen Kollegen in 10.000 Kilometer Entfernung. Wird in Hollywood die Arbeit niedergelegt, dann ruht auch in Etyek der Betrieb. Und 2008 war in dieser Hinsicht bislang kein gutes Jahr. Erst gingen Hollywoods Drehbuchautoren in den Arbeitskampf, dann auch die Schauspieler.


Aufnahme-Schild in den Korda Studios im ungarischen Etyek / Nicholas Brautlecht, n-ost


Bis Jahresbeginn sah es in den Korda Studios dagegen noch ganz anders aus. Da rettete auf dem ehemaligen Militärareal in Etyek ein knallroter, muskelbepackter Held mit abgesägten Teufelshörnern die Welt. Mehr als sieben Monate bevölkerten die Hundertschaften von Regisseur Guillermo del Toro die Korda Studios. Dabei wirbelten sie amerikanische Straßenkreuzer durch die Luft und ließen großmäulige Monster in Flammen aufgehen. Del Toro, dessen Film "Pans Labyrinth" 2007 drei Oscars gewann, drehte die Fortsetzung der Comicverfilmung "Hellboy".

Seit Mitte Oktober ist das 72 Millionen Dollar teure Spektakel von Universal Pictures auch in deutschen Kinos zu sehen.Geduldigen Zuschauern wird beim Abspann die Dichte ungarischer Namen auffallen. Denn die meisten, die sich als Stunt-Double für die Hauptdarsteller ins Feuer warfen oder verhinderten, dass in den Kampfszenen das Make-up der Monster verlief, trugen Namen wie Attila, Balazs und Zsuzsa. In "Etyekwood" erinnert derweil nur noch eine New Yorker Straßenzug an den Kampf des Actionhelden gegen die Unterwelt.Studio-Chef Krisan ist indes überzeugt, dass "Hellboy II - Die Goldene Armee" nur der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen Hollywood und Etyek gewesen ist. Der Manager spekuliert darauf, dass Kinogänger in Zukunft immer häufiger ungarische Namen im Abspann von Blockbustern lesen können.

Er sei gerade erst aus Los Angeles zurückgekehrt, wo er viel versprechende Gespräche geführt habe, sagt Krisan. Einzelheiten will er nicht preisgeben. Doch sicher ist: Der Ungar wird den Studiobossen in Kalifornien vorgerechnet haben, um wie viel günstiger seine Set-Designer, Techniker und Komparsen im Vergleich zu den gewerkschaftlich organisierten Kollegen in Los Angeles sind.


Laszlo Krisán, Chef der Korda Studios im ungarischen Etyek /  Nicholas Brautlecht, n-ost


Und dann wird er ihnen die Pläne für das größte Studio der Welt vorgelegt haben, das ebenfalls in Etyek entstehen soll. Dieser Tage ist an der Stelle nur ein Skelett aus Stahlträgern zu sehen. Aber laut Krisan soll der mächtige Bau bis Anfang 2009 fertig sein. Läuft alles nach Plan, wird das Studio mit rund 6 000 Quadratmetern etwa die Fläche eines Fußballfeldes haben und mit einer Höhe von knapp 30 Metern auch eine originalgetreue Kopie des Brandenburger Tors beherbergen können. Nur die Siegesgöttin Viktoria auf ihrer Quadriga müsste den Kopf ein wenig einziehen.Laszlo Krisan und die Korda Studios stehen für den Ehrgeiz Ungarns, sich als führenden Filmproduktionsstandort in Osteuropa zu etablieren. Dabei vergleichen sich die Magyaren vor allem mit den Tschechen.

Die 1931 gegründeten Barrandov-Studios in Prag sorgten bereits vor dem Fall des Eisernen Vorhangs mit Kinofilmen wie "Amadeus" oder TV-Co-Produktionen wie "Pan Tau" im Ausland für Aufsehen. In den 90er Jahren folgten Blockbuster wie "Mission: Impossible" mit Tom Cruise. Nach Ungarn kam Hollywood dagegen vor allem wegen der echten Kulissen seiner Hauptstadt. Budapest ist reich an historischer Bausubstanz. An einem Tag mimt die Donau-Metropole Buenos Aires wie in Alan Parkers "Evita", am nächsten doubelt sie Paris für Steven Spielbergs Politthriller "München"."Bislang haben wir im Vergleich zu Prag schlecht abgeschnitten, weil wir nicht genug Studios hatten", sagt Kata Olah, Sprecherin der ungarischen Filmförderung MMK. Das soll sich jetzt ändern. Seit der Einführung massiver Steuererleichterungen durch die Regierung 2004 wurden in Ungarn eine Handvoll neuer Studiokomplexe gebaut. Das größte Areal bilden die Korda Studios in Etyek. Hauptfinancier der 91 Millionen Euro teuren Anlage ist der vermutlich reichste Mann Ungarns: Sandor Demjan. Der Immobilienmagnat tritt mit seiner Investition in die Fußstapfen von Adolph Zukor und Vilmos Friedmann alias William Fox.

Die beiden Ungarn gründeten die US-Produktionsfirmen Paramount und 20th-Century-Fox. Etwa hundert Jahre später versucht Demjan nun, es seinen Landsmännern gleichzutun, nur dass er sein Glück in der Heimat versucht.Ähnlich wie die deutsche Filmförderung ist auch die ungarische für Del Toro, Spielberg und Co. verlockend. Ausländische Produzenten bekommen 20 Prozent ihrer Gesamtkosten erstattet, wenn sie in Ungarn drehen. Zwar dürfen seit Ende Juli nur noch Filme gefördert werden, die auf gewisse Weise ungarische oder europäische Kultur und Werte vermitteln. Doch nach den Worten Krisans lässt das neue Prüfsystem genügend Raum für Interpretationen: "Für ein bisschen deutsches Kulturgut brauche ich nur eine Szene mit einer großen Kuh, die auf einem Hügel Gras frisst", sagt der Studio-Chef. Daher hat Krisan keine Sorgen, dass Filme wie "Hellboy II" in Zukunft bei der Förderung durchfallen könnten.Dass Ungarn künftig noch öfter das Rennen machen wird, glaubt auch Mark Jaszberenyi.

Der 35-jährige Co-Chef der Budapester Postproduktionsfirma Colorfront lebt eine ungarische Version des amerikanischen Traums. Alles begann vor zehn Jahren. Verwundert über die altmodischen, analogen Methoden der Filmnachbearbeitung bastelten der Mathematik-Student und sein drei Jahre jüngerer Bruder Aron im Haus der Großmutter eines Freundes eine Computersoftware, die die farbliche Nachbearbeitung von Filmen digital ermöglichte - eine Art Photoshop für Filme.

Mark Jászberényi von der Postproduktionsfirma Colorfront in Budapest / Nicholas Brautlecht, n-ost


Danach ging alles ganz schnell. Der Regisseur Peter Jackson wurde auf die ungarischen Brüder aufmerksam und wendete ihre neue Technologie erstmals in seiner Trilogie "Herr der Ringe" an. "Wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort", sagt Mark Jaszberenyi. "Nach 'Herr der Ringe' standen uns viele Türen offen." Auch deutsche Firmen wie das Münchener Filmtechnikunternehmen Arri ließen sich von den Ungarn beraten. 2005 verkauften die Brüder die Rechte an ihrer Software für 15 Millionen Dollar an ein US-Unternehmen. Einen Teil der Millionen steckten sie 2007 in die Neugründung von Colorfront.Der ungarische Cocktail aus Steuererleichterungen, niedrigen Löhnen und neuen Studios scheint im Ausland gut anzukommen.

Nach Angaben der ungarischen Filmvereinigung hat sich der Umsatz der Branche seit 2004 verzehnfacht und ausländische Produktionen hatten daran erheblichen Anteil. Bestes Beispiel ist der Regisseur Guillermo del Toro. Drehte der Mexikaner den ersten Teil von "Hellboy" noch in Prag, entschied er sich bei der Fortsetzung für Budapest.Doch der Branche ist bewusst, dass der Wanderzirkus Hollywood jederzeit weiterziehen könnte, wenn man neben Kostenvorteilen nicht auch besseren Service bietet. Laut Kata Olah von der Filmförderung ist daher auch die Einrichtung neuer Schulen für Servicepersonal wie Maskenbildner und Beleuchter im Gespräch. "Wir brauchen noch mehr gut ausgebildete Fachkräfte mit Englischkenntnissen."Offenbar haben sich die Worte eingeprägt, die im Hollywood der Nachkriegszeit über einer Studiotür prangten. Auch Casablanca-Regisseur Mihaly Kertesz, bekannt als Michael Curtiz, und andere berühmte Hollywood-Ungarn dieser Zeit mögen sie gelesen haben: "Es genügt nicht, Ungar zu sein, man muss auch Talent haben."


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