Bulgarien

Umweltschützer gegen Bauherren

Ein kleiner Park neben dem Parlamentsgebäude in Sofia: Stefan Awramow von der Umweltschutz-Initiative „Biodiversity Foundation“ steht gut sichtbar mitten auf einem der Hauptwege. Die Abgeordneten müssen an ihm vorbei, wenn sie vom Parlament zu einem ihrer Lieblingscafés gehen.

Den Standort hat Awramow bewusst gewählt. Die Abgeordneten sollen spüren, dass die Initiative ihnen im Nacken sitzt, sagt er. Sie sollen wissen, dass das Volk nicht schläft. „Einige von ihnen gehen Umwege, weil sie wissen, dass ich sie ansprechen werde. Das ist Teil unserer Taktik“, erklärt er.

Seine Mitstreiter von der Umweltschutzgruppe patrouillieren direkt am Parlamentsgebäude. Sie wollen dort einzelne Abgeordnete ansprechen. Ein Dutzend freiwillige Helfer ist gekommen. Der Plan der Umweltschützer: Sie wollen eine Gesetzesänderung verhindern, die es einfacher machen soll, Grundstücke in Naturschutzgebieten an private Investoren zu verkaufen.

Aktionen wie diese sind in Sofia inzwischen an der Tagesordnung. Bulgarien erlebt seit einiger Zeit einen regelrechten Boom in Sachen Umwelt-Aktionismus. Immer mehr Menschen treten Umweltschutzgruppen bei. Seit zwei Jahren gibt es auch ein Netzwerk, in dem sich 30 solcher Initiativen zusammengeschlossen haben. Der Name des Netzwerks ist Programm: „Damit noch Natur in Bulgarien verbleibt“. Die Mitglieder wollen vor allem die Bauwut im Land stoppen, die auch vor Naturschutzgebieten nicht Halt macht.

Der Aufsehen erregendste Kampf war bislang der für den Nationalpark Strandscha. Der Park liegt im Südosten des Landes und sein „Fehler“ ist, dass er ans Schwarze Meer grenzt. Der Strandscha ist berühmt für seine riesigen Eichenwälder und einsamen Strände. Die Hälfte aller Pflanzen des Landes wachsen hier. Die Gemeinde Zarewo, die den Naturpark verwaltet, soll angeblich fest in der Hand der bulgarischen Baumafia sein.

Im vergangenen Jahr hat das Oberste Verwaltungsgericht schließlich die Bebauung des Nationalparks per Gerichtsbeschluss zugelassen. Jordanka Dinewa schlug sofort Alarm. Die Koordinatorin des Netzwerkes „Damit noch Natur in Bulgarien verbleibt“ war in jenen Wochen Tag und Nacht im Einsatz für die Natur.

„Wir haben damals nichts unversucht gelassen“, sagt sie. Sie haben Mahnwachen und Diskussionsveranstaltungen organisiert. Sie haben sich an internationale Umweltschutz- Organisationen gewandt. So konnte das Netzwerk viele berühmte Musiker, Schauspieler und Wissenschaftler für seine Sache gewinnen.

Zunächst sah es so aus, als ob die Zivilgesellschaft den Ausverkauf der Natur stoppen könne. 50.000 Bulgaren beteiligten sich an den Protesten. Internationale Medien berichteten über ihren Kampf. Schließlich änderte die bulgarische Regierung das Naturschutzgesetz: Der Strandscha durfte seinen Status als Nationalpark behalten. Die Umweltschützer hatten dies als Riesenerfolg gefeiert, sagt Dinewa.

In diesem Jahr jedoch legte die Gemeinde Zarewo - praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit - einen neuen Bebauungsplan vor, der zahlreiche touristische Neubauten mitten im Naturpark vorsah. Mit diesem Plan blieb sie innerhalb der geltenden Gesetze und Regeln, mit Hilfe juristischer Kniffe. Im August dieses Jahres genehmigten Behörden den Plan dann still und leise.

Jordanka Dinewa und ihre Mitstreiter bekamen davon kaum etwas mit, obwohl sie jeden Tag nachgefragt hatten, ob der Bebauungsplan bereits begutachtet worden wäre. „Immer wurden wir abgewimmelt. Eines Tages dann gab das Umweltministerium die Genehmigung offiziell bekannt“, sagt Dinewa. Dass die bulgarischen Behörden die Bürger des Landes vor vollendete Tatsachen stellten, habe System, klagt Jordanka Dinewa. Gestern noch geschützte Gegenden verwandelten sich über Nacht in riesige Baustellen.Neben den Küstenstreifen seien besonders die Berge gefährdet, sagt sie weiter. Ganz konkret das Rila-Gebirge im Südwesten Bulgariens. Es ist das höchste Gebirge auf der Balkanhalbinsel: Schneebedeckte Gipfel, tiefe Schluchten und eisige Bergseen prägen sein Bild. Hier gibt es noch Bären und Adler.

Die neuen Bauherren, die sich hier breit machten - seien sie legal oder illegal vor Ort - betrachteten die menschenleere Gegend nicht selten als rechtsfreien Raum, sagt Dinewa. Bei einer Aktion fürchtete die Umweltschützerin sogar um ihr Leben: „Einmal kam ein Mann mit einem Maschinengewehr auf uns zu und rief: ‚Alle auf den Boden. Ich bringe euch um. Hier gelten andere Gesetze. Hier bestimme ich die Regeln’. Er richtete die Waffe auf einen der Jungs. Wir waren wie versteinert.“

Jordanka Dinewa macht trotzdem weiter. Sie will sich nicht einschüchtern lassen. Sie plant schon ihre nächste Reise ins Rila-Gebirge, denn sie hat gehört, dass dort ohne Genehmigung  ein Skilift gebaut werden soll.

Über solches Engagement freut sich Georgi Stefanow vom „Umwelt-Informationszentrum“ in Sofia, einer Nichtregierungsorganisation. Allerdings müsse man realistisch sein, was Umweltschützer tatsächlich bewirken könnten, schränkt er ein. Zwar hätten sich in den vergangenen zwei, drei Jahren viele Menschen der Umweltbewegung angeschlossen und es gebe auch Erfolge. „Aber unter dem Strich haben die Probleme zugenommen. Noch nie wurden in Bulgarien so viele natürliche Ressourcen zerstört, wie in den vergangenen fünf Jahren“, sagt er. „Wir können nur versuchen, einzelne Schlachten zu gewinnen. Aber oft sind diese eher klein, und die Erfolge unbedeutend. Und wir wissen nie, ob es im nächsten Augenblick nicht doch wieder von vorne losgeht.“


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