DIE PROPAGANDA-MASCHINE RATTERT
(n-ost) - Vor der Moskauer EU-Delegation demonstriert ein harmloses Häuflein blutjunger Kremlanhänger. Sie schwenken Fahnen und zeigen Plakate, mit denen sie auf den angeblichen Völkermord aufmerksam machen wollen, den die georgische Führung in Südossetien verübt haben soll. Auf der Brücke, die unmittelbar von der russischen Dependance der Europäischen Union über den Moskwa-Fluss in Richtung Kreml führt, hat die Jugendbewegung "Naschi" einen Informationsstand aufgeschlagen. An Stellwänden hängen Bilder grausamer Kriegsverbrechen, für die Russland georgische Truppen verantwortlich macht. Den ganz Hartgesottenen zeigen die Jugendlichen auf einem Notebook Videos, die ihre Delegation in der Krisenregion Südossetien aufgenommen haben will.Die vom Kreml finanzierten Jugendgruppen "Naschi" (Die Unsrigen) und "Molodaja Gwardia" (Junge Garde) sind im Dauereinsatz. Fast täglich organisieren sie in russischen Städten Demonstrationen gegen Georgien, die USA und den Westen und halten Mahnwachen und Blockaden vor den Vertretungen Georgiens und Amerikas. Die Bevölkerung soll glauben, dass der Konflikt in Südossetien ein "Völkermord" des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili war, der dafür vor das internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gestellt werden soll. Dass die Russen mit ihren 10.000 Soldaten nicht an der südossetischen Grenze zu Georgien halt gemacht haben, sondern in die unabhängige Ex-Sowjetrepublik einmarschiert sind - das verschweigen die Demonstranten.Dabei bedarf es dieser Aktionen gar nicht, um die Meinung der russischen Bevölkerung zu beeinflussen. Das staatlich kontrollierte Fernsehen verkauft den Krieg seit Wochen so, wie es die politische Führung gerne hätte: als russische Friedensmission, die den georgischen Völkermord erfolgreich stoppte und nebenbei auch dem Westen die Stirn zeigte, der das Nachbarland unterstützt haben soll.Nach Umfragen des Moskauer Lewada-Instituts glauben 50 Prozent der Russen, dass sie "sehr gut" informiert sind über den Krieg in Südossetien. 49 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die USA damit den Einfluss Russlands in der Region eindämmen wollten. 32 Prozent glauben, dass der Konflikt eine Folge der diskriminierenden Politik Georgiens gewesen sei. Nach einer Befragung des "Fonds Öffentliche Meinung" unterstützen 80 Prozent der russischen Bevölkerung das Vorgehen ihres Militärs in Südossetien - eine Reaktion auf die einseitige Fernsehberichterstattung?Kora Tserkepeli schaut keine Fernsehnachrichten mehr. Sie ärgert sich sowieso nur über die Märchen, die ihr die russischen Reporter aufzutischen versuchen. "Was ist denn das für eine Friedenstruppe?", fragt sie. Sogar Postsendungen hätten die Russen zurückgehalten, noch bevor die Kämpfe richtig ausbrachen. Die 73-Jährige, eine pensionierte Professorin für Kinematografie, ist in Tiflis aufgewachsen und hat im ganzen Land viele Freunde. Als die ersten Granaten auf Südossetien niedergingen, war das ein Schock für sie.Doch richtig ärgerlich wurde sie, als sie im Internet von russischen Bombenangriffen auf ganz Georgien las. "Wenn die Russen an der Grenze zu Georgien gestoppt wären, hätte es wahrscheinlich keine großen Fragen gegeben", analysiert die resolute Rentnerin. Die flächendeckende Bombardierung Georgiens sei ein schwerer Fehler gewesen.Dass die russische Luftwaffe georgisches Territorium bombardiert hat, verschweigen die russischen Medien. Doch Eduard Gongadse (Name geändert) war dabei. Der 57-jährige Georgier, der in Moskau lebt und seinen richtigen Namen nicht nennen will, war in Samtredia, als der Krieg in ausbrach. In der westgeorgischen Kleinstadt waren die dumpfen Explosionen russischer Bomben zu hören, die den 27 Kilometer entfernten Militärstützpunkt von Kutaissi trafen. "Die Russen haben die georgischen Basen in Schutt und Asche gelegt", sagt er, "das hat in der Zivilbevölkerung viele Opfer gekostet."Viele der rund 100.000 Exil-Georgier, die allein in Moskau leben, halten nichts von der aggressiven Politik ihres Präsidenten Michail Saakaschwili. Sie waren von Anfang an schockiert über den Krieg, manch einer fordert Saakaschwilis Rücktritt. Trotzdem haben sie Angst vor Attacken der Russen - Beschimpfungen, Angriffe von Skinheads, willkürliche Schließungen von georgischen Restaurants. "Die Russen machen uns für diesen Krieg verantwortlich", erzählt Gongadse, "dabei waren sie es doch, die ganz Georgien bombardiert haben."Doch davon will Sergej Omeljantschuk nichts hören. Der 19-Jährige ist Berufs-Aktivist von "Naschi". Er leitet den Info-Stand vor der EU-Repräsentanz - und teilt jedem, der es hören möchte, die staatlich vorgegebene Version vom Krieg in Südossetien mit: "Wir sind der Meinung, dass die Georgier in diesem Krieg einen Völkermord an Südosseten verübt haben." Jetzt müsse Saakaschwili zurücktreten und vor das Kriegsgericht gestellt werden. Der Westen, glaubt der junge Mann, sei "desinformiert" durch die Berichterstattung des amerikanischen Fernsehsenders CNN. Russische Medien, behauptet Omeljantschuk, berichten "eher adäquat" über die Vorgänge.Daran hat Iwan Schopin seine Zweifel. Der 45-jährige Russe ist zufällig vorbeigekommen und hat sich von den "Naschisten" die Videos aus Südossetien zeigen lassen. Doch er bezweifelt, ob man alle Taten so einfach den Russen in die Schuhe schieben könne. Der Kaukasuskonflikt sei Geopolitik. "Jeder Staat, der stark ist, fängt mit solchen Spielchen an", sagt Schopin.Russland fühle sich wieder stark, deswegen habe sein Land gegen Georgien und indirekt auch gegen die USA Krieg geführt. Wenn der georgische Präsident deswegen vor dass Kriegstribunal gestellt werden soll, "dann hättet ihr auch Jelzin wegen seiner Kriege in Tschetschenien verurteilen müssen". Dann ruft er dem Naschi-Aktivisten zu: "Stimmt doch, Sergej, oder?" Omeljantschuk stutzt. Er scheint nicht ganz zu wissen, was er dem Passanten mit der eigenen Meinung antworten soll. Dann sagt er verächtlich: "Das würde ich nicht sagen. Das ist ihre private Meinung." Ein letztes Aufbäumen der Meinungsfreiheit im staatlich kontrollierten Russland.
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