Russland

VON WEGEN SCHOSSHUND

Kremlchef Dmitri Medwedew präsentiert Russland als selbstbewusste Großmacht(n-ost) – Langsam werden sie langweilig, die vielen Witze, die in Russland über Dmitri Medwedew kursieren. Der neue Präsident wird abwechselnd als „Beilage“, „Kinderüberraschung“ oder „Marionette“ verspottet. Die Tatsache, dass sich überhaupt jemand diese Witze ausgedacht hat, zeugt von der tiefen Skepsis gegenüber der Souveränität des Staatschefs, den die Russen im März mit überwältigender Mehrheit gewählt haben. Dass die Witze jetzt aus dem Alltag verschwinden, spricht für den Respekt, den sich der Neue im Kreml langsam erarbeitet: Dmitri Medwedew macht unabhängig von seinem Mentor und Amtsvorgänger Wladimir Putin Politik – und zwar taktisch klug, im Ausland gut aufgestellt, aber nicht so offensiv wie der polternde Putin während seiner letzten Amtsmonate. Selbstverständlich ist das nicht. Putin hat ein politisches System hinterlassen, das stark auf seine Person zugeschnitten ist. Auch nach seinem Rückzug aus dem Kreml behält er als Ministerpräsident viele Fäden der Macht in der Hand. Auf seinem neuen Posten meldet sich Putin wesentlich häufiger in der Öffentlichkeit zu Wort als seine farblosen Vorgänger. Wie stark der Regierungschef die russische Politik tatsächlich beeinflusst, ist auch knapp zwei Monate nach der formalen Amtsübergabe am 7. Mai nicht auszumachen. Klar ist, dass Dmitri Medwedew rhetorisch und inhaltlich einen anderen Kurs einschlägt als Putin. Das erste Zeichen setzte der 42-Jährige, als er vor wenigen Wochen Putins Gesetz zur Verschärfung der Medienkontrolle kippte. Putin hatte es in die Duma einbringen lassen, als ein Moskauer Boulevardblatt über seine angebliche Affäre mit einer Sportlerin berichtete. Außerdem sollen Politiker aus den Aufsichtsräten abgezogen werden, Regeln für Auslandsinvestitionen liberalisiert und der staatliche Einfluss auf die Wirtschaft reduziert werden. Diese Pläne verkündete zwar Igor Schuwalow, der erste Stellvertreter von Ministerpräsident Putin. Doch die geplante Liberalisierung steht in derart scharfem Kontrast zu Putins bisheriger Politik, dass eigentlich nur Medwedew dahinter stecken kann.Auf außenpolitischem Parkett gibt sich der neue Präsident versöhnlich, die Zeiten des russischen Säbelrasselns sind vorerst vorbei. Während seines ersten Staatsbesuchs im Westen, der ihn nach Berlin führte, bekannte sich Medwedew zu einem „einheitlichen euroatlantischen Raum von Vancouver bis Wladiwostok“ und schloss Russland in das „gesamteuropäische Haus“ ein. Er bot EU-Unternehmen an, gemeinsam mit russischen Unternehmen Transit-Pipelines zu betreiben und sprach sich für eine Denkpause in Sachen Raketenabwehr, Kosovo-Frage und Abchasien-Konflikt aus. Ein radikaler Kurswechsel ist dies indes nicht. Medwedew verzichtet auf die Rhetorik des Kalten Kriegs, in die Putin zuletzt zurückgefallen war. Doch er bleibt dabei, dass Russland ein ernst zu nehmender „Global Player“ sei, wie es auch sein Vorgänger immer wieder dick unterstrichen hatte. Russland fühlt sich wieder stark – auch unter Dmitri Medwedew. Der russische Politikwissenschaftler Wladislaw Below glaubt sogar, dass Putins Säbelrasseln „bloße Taktik“ gewesen sei. Damit habe dieser die Grundlage dafür geschaffen, dass der Westen Moskau wieder ernst nehme und als Partner auf Augenhöhe betrachte. Zum Beispiel beim EU-Russland-Gipfel, der am 26. und 27. Juni im sibirischen Chanty-Mansijsk stattfindet. Dort soll ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen ausgehandelt werden. Der neue Ton aus Moskau kann die Eiszeit zwischen Russland und Europa beenden. Ob sich daraus die so oft geforderte Partnerschaft entwickelt, hängt vor allem davon ab, welche Taten Medwedew folgen lässt. Das Russland, das er geerbt hat, ist keine Demokratie, sondern ein Kontrollstaat mit Defiziten bei Menschenrechten, politischen Freiheiten und Rechtssicherheit. Letzterem hat er den Kampf erklärt. Die übrigen Schwachstellen spricht er nicht an, nicht einmal am bürokratischen Kontrollstaat mit seinen inszenierten Wahlen und am Einfluss der Opposition äußert er bislang Zweifel. Das kann die Beziehungen zur EU noch einmal auf die Probe stellen – vor allem wegen des Einflusses der ostmitteleuropäischen Mitgliedsstaaten, die Angst vor dem großen Nachbarn haben und mehr Druck verlangen, um Russland ins demokratische Haus zurück zu holen. Russland fühlt sich stark und gibt sich friedlich. Medwedew ist ein selbstständiger Politiker, der sich vom Übervater Putin emanzipiert. Dennoch ist längst nicht klar, wohin die Reise geht. Zumindest ein Witz bleibt aktuell: Der neue Präsident fragt seinen Regierungschef: „Was macht mein Wirtschaftplan?“ Putin erwidert: „Welcher Plan?“ Medwedew ist verunsichert: „Also wenn Du es nicht weißt, woher soll ich es dann wissen?“ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 259 32 83 - 0


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