Heiße Luft am Ende der Eiszeit
Dmitri Medwedew ist ein besserer Diplomat als Wladimir Putin. Er droht nicht mit militärischer Aufrüstung, der Bildung eines Gaskartells mit Schurkenstaaten oder damit, sich vom Westen abzuwenden. Stattdessen formuliert er Sätze wie Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier: „Die deutsch-russischen Beziehungen sind in erster Linie europäisch-russische Beziehungen“, sagte Medwedew vor wenigen Wochen in Berlin während seines ersten Staatsbesuchs im Westen.
Für EU-Politiker ist dies ein Zeichen, dass sich mit dem Neuen im Kreml reden lässt. Anderthalb Jahre hat es gedauert, bis die EU-Kommission überhaupt ein Mandat hatte, mit Russland ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen auszuarbeiten. Erst blockierte Polen die Aufnahme von Gesprächen, dann Litauen. Erst seit Mai ist der Weg frei für Verhandlungen über die Zukunft der europäisch-russischen Beziehungen. Am Wochenende werden die Unterhändler zum EU-Russland-Gipfel im sibirischen Chanty-Mansijsk zusammentreffen, um die ersten Pflöcke einzuschlagen: In der Energie-, Sicherheits- und Außenpolitik, in Fragen zu Menschenrechten, zur Wissenschafts- und Wirtschaftskooperation. Bis zu zwei Jahre kann es nach Meinung von Experten dauern, bis der Text eines vermutlich wolkig verklausulierten Kompromisswerks feststeht.Was kann beim Gipfel in dem sibirischen Ölstädtchen konkret herauskommen? „Nichts“, glaubt der Innsbrucker Politikwissenschaftler Gerhard Mangott. „Es gibt nicht viel, was beide Seiten sich anzubieten haben.“
Die Russen würden sich weder auf feste Gasliefermengen einlassen noch klare Zugeständnisse in Menschenrechtsfragen machen. Die Europäer würden ihre Energiemärkte nicht für russische Unternehmen öffnen und ebenso wenig von Forderungen nach mehr Demokratisierung in Russland ablassen. Beide gehen mit Maximalforderungen in die Verhandlungen, um sich irgendwann in der Mitte zu treffen. Daran ist bereits der letzte Gipfel unter der Führung von Kanzlerin Angela Merkel gescheitert: Damals brachten die Delegationen nicht einmal ein gemeinsames Abschlussdokument zu Papier. Als sich Ost- und Westeuropäer im Juni vergangenen Jahres in der Wolgastadt Samara zusammensetzten, war der damalige Präsident Wladimir Putin noch in wilder Säbelrassel-Stimmung – und ließ jegliche Kritik an der Schieflage der Demokratie in seinem Land an sich abperlen.
Mit der großspurigen Rhetorik hatte er bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 begonnen, als er den Hegemonialanspruch der USA scharf kritisierte. In ähnlicher Manier konterte er in Samara Kritik an der beschränkten Meinungsfreiheit in Russland. Auch im Westen seien Demonstrationen verboten, sagte Putin mit Verweis auf das Demonstrationsverbot beim G8-Gipfel in Heiligendamm. Mit so viel Konfrontation ist jetzt Schluss. Denn Kremlchef Dmitri Medwedew geht auf konstruktiven Schmusekurs zum Westen. Er gesteht Probleme in Sachen Rechtssicherheit, Korruption und Menschenrechte eher ein als Putin.
Beim Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg schlug er vor, eine Währungs- und Rohstoffkonferenz in Russland abzuhalten. In Berlin brachte er die Idee eines gesamteuropäischen Treffens ein, um Sicherheits- und Energiefragen zu lösen. Der 42-Jährige will Verantwortung in der Welt übernehmen, distanziert sich dabei aber keinen Meter vom neuen russischen Selbstverständnis einer ernst zu nehmenden Großmacht, das sein Vorgänger aufgebaut hat. Die aggressive bis arrogante Politik, die Putin in seinen letzten Amtsmonaten verfolgte, bezeichnet der Moskauer Politikwissenschaftler Wladislaw Below als „taktisch“: Brüssel habe jetzt verstanden, dass es mit Russland nicht mehr nach Belieben umspringen könne. So habe Putin die Grundlagen für Verhandlungen auf Beinahe-Augenhöhe mit der EU geschaffen. Und das ganz ohne Zeitdruck, denn für Russland sind vor allem die wirtschaftlichen Beziehungen zu Europa wichtig – und die funktionieren schon jetzt reibungslos, zumal dafür bestenfalls Rechtssicherheit, nicht aber Demokratie nötig ist.
Die Gretchenfrage hat die EU im Unterschied zu Russland nicht beantwortet: Soll der mächtige Nachbar im Osten ganz pragmatisch ein Wirtschaftspartner bleiben oder doch noch ins demokratische Haus gelockt werden? Die Suche nach der Antwort bringt Konfliktpotential in die Verhandlungen, selbst wenn die dauerhaften Streitthemen wie Kosovo, Raketenabwehr oder Abchasien-Konflikt ausgeklammert werden. Denn die neuen Mitgliedsstaaten im Osten der EU haben Angst vor Russland und fordern, den Nachbarn mit politischem Druck demokratischer und damit berechenbarer zu machen. Große Staaten wie Deutschland, Frankreich und Italien hingegen verdienen prächtig am Handel mit Russland, setzen auf eine pragmatische Wirtschaftspolitik und würden Forderungen nach mehr Demokratie und verbesserten Menschenrechten gern schwammig halten.
Das kommt der russischen Linie am nächsten. Ein Kompromiss wird schwer zu finden sein. Vorerst bleibt also alles wie es ist: Das bisherige Abkommen, ein wolkiges Bürokratenwerk aus Brüssel, wird vermutlich verlängert, die Wirtschaftszusammenarbeit bilateral flankiert. Eine engere wirtschaftliche und vor allem politische Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland wird in Chanty-Mansijsk nicht in Stein gemeißelt. Ein Gipfel der heißen Luft steht bevor, der trotzdem ein Erfolg werden dürfte: Beide Parteien wollen das Kriegsbeil begraben und zu ständigen Gesprächen zurückfinden. Dies würde die lange Eiszeit in den europäisch-russischen Beziehungen beenden – und wäre immerhin ein Anfang.