Russland

Fußballtickets für Reiche - Striptease umsonst

Moskau rüstet sich für das Champions League-Finale: 50.000 Fußballfans werden erwartet(n-ost) – Im Olympia-Stadion „Luschniki“ in Moskau dröhnt es durch die bunten Sitzreihen. Bauarbeiter hämmert, schweißen, bohren und sägen an den Sicherheitsabsperrung, um sie fest im Boden zu verankern. Die Hinweisschilder für die Rangplätze leuchten in neuen Farben und sind auf Englisch ausgewiesen. Mit Bannern und Postern hat man versucht, die bröcklige Fassade etwas hübscher zu gestalten. „Wir wollen unsere großartige Stadt von der besten Seite präsentieren“, so der neu ernannte Minister für Sport, Tourismus und Jugend, Witalij Mutko. Auch vor dem Kreml stehen schon Buden und Bühnen in den Farben der Fußballclubs Rot und Blau. Der Rote Platz verwandelt sich allmählich in eine Fan-Meile. In Moskau dreht sich dieser Tage alles um Fußball.Mit rund 50.000 ausländischen Fans rechnet Mutko, der gleichzeitig Chef des russischen Fußballverbandes ist. Sie kommen mit dem Flugzeug, mit dem Zug oder mit dem Auto, um am 21. Mai das Champions League Finale FC Chelsea gegen Manchester United in Moskau live zu verfolgen. Und obwohl zwei englische Clubs gegeneinander antreten, ist es auch für russische Fußballbegeisterte ein kleines Heimspiel. Immerhin gehört der legendäre Club FC Chelsea dem russischen Oligarchen Roman Abramowitsch.
Bauarbeiter im Luschnkiki-Stadion
FOTO: Simone SchlindweinWomöglich hat diese Beziehung auch dazu beigetragen, dass die diplomatischen Querelen zwischen Russland und Großbritannien erst einmal auf Eis gelegt sind. Der neue Präsident Dmitrij Medwedew unterzeichnete ein Dekret, das die Visa-Bestimmungen für ausländische Fans deutlich erleichtert. So gelten die Tickets nun an der Grenze automatisch als 72-Stunden Visum. Die russischen Konsulate in England hatten ohnehin befürchtet, dass sie die Visa-Anträge nicht bewältigen können. Doch für viele kommt diese Botschaft zu spät. Chelsea-Fans wie Nick Atherton, der aus London anreist, erstanden ihre Tickets inklusive Flug- und Visa-Kosten als Gesamtpaket. „Die Visaerleichterungen helfen mir wenig, denn die Botschaft will uns das Geld nicht zurückgeben“, beschwert er sich.  Doch er hatte noch Glück: Die beiden englischen Clubs verkauften je 21.000 Tickets an ihre Fans für umgerechnet rund 120 Euro. Anderswo sind sie deutlich teurer. In Moskau boomt derzeit der Schwarzmarkt um die begehrten Eintrittskarten. Vor ein paar Tagen lagen die Preise zwischen 3000 und 5000 Euro für einen normalen Rangplatz – jetzt sinken sie wieder unter die 3000-Euro-Marke. Der Schotte Nick Rees, der seit 13 Jahren in Moskau lebt und den Expat-Fußball-Club organisiert, hat fünf Tickets von englischen Freunden über das Internet für 1500 Euro verhökert. Eine Woche zuvor hätte er noch gut das Doppelte verlangen können. Denn wie seine Freunde, so haben auch andere Fans festgestellt, wie teuer der Kurztrip in die russische Hauptstadt werden würde. Das können sich bei weitem nicht alle Ticketinhaber leisten. Deswegen überfluten die Tickets nun den Schwarzmarkt.
 
Bei Nick Rees klingelt nun dauernd das Telefon. Seit einigen Tagen wird er von Freunden von Freunden von Freunden von ihm bestürmt, die in seinem Wohnzimmer übernachten wollen. „Mit 15 Leuten wird es eng und ich habe nur zwei Schlüssel“, seufzt er. „Doch was soll ich tun? Ein Bekannter kommt sogar aus Nigeria angereist“, erklärt er. Jetzt sucht er noch nach Wolldecken und Matratzen, damit es nicht allzu ungemütlich wird. Die Hotelpreise in Moskau gehören mit zu den höchsten der Welt. Denn in der russischen Hauptstadt gibt es nur 70.000 Hotelzimmer – das sind weniger als die 80.000 Plätze im Fußballstadion. Doch die Hotels seien schon seit Monaten restlos ausgebucht, erklärt Alexej Sorokin, der Beauftragte der Moskauer Stadtverwaltung für die Austragung des Finales. Also müssen jetzt außerordentliche Methoden her, um Schlafplätze für die Fans zu finden. Der britische Reiseunternehmer Steven Penny hat drei Boote auf dem Moskau-Fluss zu schwimmenden Hotels umfunktioniert. „Das ist der einzige Weg, die Kapazitäten kurzfristig zu erhöhen“, sagt er. Doch auch seine Kojen sind nicht billig: 420 Euro für zwei Nächte. Dennoch gingen die Betten auf seinen ersten beiden Schiffen weg wie warme Semmeln. Deswegen hat er das Dritte aus dem südrussischen Rostow am Don nach Moskau schiffen lassen. Der Familienvater Mark Danby aus Manchester übernachtet mit seinen beiden Söhnen in einem gemieteten Auto. „Es war unmöglich, ein Hotel zu finden“, seufzt er. Der Ausflug sei ja ohnehin schon so teuer und gleich nach dem Spiel wieder abzureisen, sei ja auch schade. „Ich will mehr von Moskau sehen als nur den Flughafen und das Stadion“, sagt er. Mit einem Umweg über München spart er sich zumindest die Kosten für den teuren Direktflug. Jetzt brauche er nur noch einen sicheren Parkplatz und dicke Wolldecken, um nach dem aufregenden Spiel auch etwas Ruhe zu finden, sagt er. Einen wahren Fan kann nichts erschüttern. Immerhin, so Nick Rees, seien die Reisekosten nach Moskau so hoch, dass sich die englischen Hooligans den Trip nicht leisten können. Dennoch macht er sich etwas Sorgen, um seine Bekannten, die sich in Moskau nicht auskennen. Er hat ihnen schon wertvolle Tipps zugemailt: „Englische Fans stehen nach dem Spiel in Gruppen auf der Straße, trinken viel Bier und grölen Lieder“, erklärt er. Doch in Russland herrsche eine andere Kultur, meint Rees „Die Polizei könnte uns leicht für Hooligans halten und die Polizisten diskutieren hier nicht lange.“ Das sei aber auch verständlich, lenkt er ein. Nach dem UEFA-Cup Finale vergangenen Mittwoch in England hat es Randale gegeben. Ein russischer Zenit St. Petersburg-Fan ist sogar niedergestochen worden.   So legen die Russen besonders Wert auf die Sicherheitsbestimmungen, denn britische Fußballfreunde genießen auch in Russland keinen wirklich guten Ruf. Rund 6000 Polizisten und Spezialeinheiten des Innenministeriums werden rund um das Stadion postiert. Rund 1000 Polizisten sichern die Fan-Meile auf dem Roten Platz im Zentrum. „Außerdem tun wir alles, um die Fans der beiden Clubs getrennt zu halten“, erklärt Sportminister Mutko. Die Chartermaschinen der beiden Verein-Fan-Clubs landen am Vormittag vor dem Spiel an zwei verschiedenen Flughäfen. Rund 700 Busse in den Vereins-Farben Rot und Blau schaffen die Anhänger dann direkt zum Stadion – mit Polizeieskorten, damit auch niemand im berüchtigten Moskauer Stau stecken bleibt. „Die beiden Stadionhälften sind strikt voneinander getrennt“, erläutert Mutko das von der UEFA geprüfte Sicherheitskonzept. Auf beiden Seiten gebe es Plätze zum Ausruhen und genug Verpflegung, bevor das Spiel anfängt, sagt er. Doch eines gibt es nicht, und das wird jeder Fußballbegeisterte vermissen: Alkohol wird kilometerweit rund um das Luschniki-Fußballfeld nicht verkauft. Darüber freuen sich vor allem die Sportbars in der Innenstadt – und auch die Moskauer Stripteaselokale. Sie rechnen mit dem Ansturm derjenigen Fans, die keine Tickets mehr erstehen können. Der Strip-Club Deja Vue, der normalerweise umgerechnet rund 30 Euro Eintritt verlangt, ist Mittwoch-Nacht ausnahmsweise für umsonst. „Wir stellen in der einen Hälfte des Clubs Flachbildschirme für die Fans auf“, erzählt Sakhar, der Manager, der seinen Nachnamen nicht nennen will. In der anderen Hälfte läuft der normale Betrieb. Und andere Erotik-Lokale machen es ihm nach. „Es wird sicher voll werden in dieser Nacht“, freut sich der Sprecher des Violette-Clubs. Um Sicherheitsbestimmungen macht er sich keine Gedanken. „Unsere Türsteher werden damit schon fertig“, sagt er. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87


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